Landtagspräsidentin Muhterem Aras eröffnet mit der Glocke eine Sitzung des Parlaments. Foto: dpa/Bernd Weißbrod

Volker Haug ist Experte für die Landesverfassung Baden-Württembergs. Im Interview hat er die Hakenkreuzaffäre im Landtag analysiert. Welche Änderungen er fordert.

Wenn der Landtag nach den Sommerferien seine Arbeit wieder aufnimmt, werden die Fraktionen sich auch mit der Frage befassen, ob Landtagspräsidentin Muhterem Aras Fehler im Umgang mit der von dem SPD-Politiker Daniel Born ausgelösten Hakenkreuzaffäre gemacht hat und welche Konsequenzen sie daraus ziehen. Im Interview erläutert der Verfassungsrechtler Volker Haug die Rechtslage.

 

Wie bewerten Sie den Umgang von Parlamentspräsidentin Aras mit der Hakenkreuzaffäre im Landtag?

Volker Haug: Verfassungs- und parlamentsrechtlich sehe ich keinen Punkt, an dem die Landtagspräsidentin gegen ihre Amtspflichten verstoßen hätte. Sie hat sich aber in der Situation für ihr Amt wenig souverän und etwas zu emotional gezeigt. Das kann man schon daran festmachen, dass sie die Sitzungsunterbrechung, die wegen der Auszählung erfolgt war, nicht abgewartet und die bei Vizepräsident Wolfgang Reinhart liegende Sitzungsleitung vorübergehend an sich gezogen hat. In meinen Augen wäre es besser gewesen, zunächst die Auszählung abzuwarten, dann die Sitzung wieder aufzunehmen, das Wahlergebnis bekannt zu geben und anschließend mit klaren Worten das Hakenkreuz anzusprechen und zu verurteilen. Man kann also in der B-Note vieles kritisieren, aber Rechts- und Verfassungsverstöße erkenne ich nicht.

Durfte sie Anzeige erstatten, obwohl die Indemnität die freie Ausübung des Abgeordnetenmandats gerade im Blick auf parlamentarische Handlungen besonders schützt?

Die Indemnität richtet sich nicht an die Landtagspräsidentin, sondern an die Strafverfolgungsbehörden. Hätte die Staatsanwaltschaft Ermittlungen aufgenommen, was sie nicht getan hat, dann hätte die Staatsanwaltschaft gegen die Indemnität verstoßen. Frau Aras hat im Plenum eine juristische Einschätzung vertreten, die falsch ist: Dass es sich um eine Straftat handelt. Das ist unschön. Aber es ist nicht rechtswidrig, falsche Rechtseinschätzungen abzugeben.

Wurde das Wahlgeheimnis verletzt, weil Frau Aras den Stimmzettel in die Kamera gehalten hat?

Zunächst will ich hervorheben, dass das Verschweigen des Vorgangs keine Option war. Dass die Präsidentin den Stimmzettel in öffentlicher Sitzung als Beweismittel hochgehalten hat, wäre aus meiner Sicht nicht erforderlich gewesen und erhöht die Publizität des Hakenkreuzes unnötig. Aber es ist allein noch keine Verletzung des Wahlgeheimnisses. Die entsteht erst im Zusammenwirken damit, dass der Abgeordnete Daniel Born sich später als Urheber geoutet hat.

Geht es demnach beim Verhalten von Muhterem Aras nicht um Rechtsfragen, sondern um politische Klugheit?

Wegen Verfassungsverstößen sind Parlamentspräsidenten in der Vergangenheit nie zurückgetreten, sondern weil sie sich dem Amt nicht würdig erwiesen haben. Was Souveränität, Klugheit und die Fähigkeit zur Konfliktlösung anlangt, stellt das Amt ja noch sehr viele weitere Anforderungen als die bloße Einhaltung der Verfassung. Insofern war der Auftritt von Frau Aras zwar nicht optimal, aber angesichts der besonderen Hakenkreuz-Symbolik zumindest menschlich verständlich.

Wie bewerten Sie, dass man im Landtag bei einer geheimen Wahl mit zwei Urnen und mit getrennten Wahllisten schnell wusste, dass das Hakenkreuz aus der Urne mit den Stimmzetteln von roten und grünen Abgeordneten kam. Verletzt das das Wahlgeheimnis?

Das Wahlgeheimnis schützt nicht nur den einzelnen Wähler, sondern auch die Integrität des Wahlvorgangs insgesamt. Gegen die getrennte Erfassung der Stimmzettel in zwei Urnen ist nichts einzuwenden. Aber man darf nicht getrennt auszählen. Wenn trennscharf in der einen Urne die Stimmzettel von drei Fraktionen und in der anderen Urne die Stimmen von den anderen beiden Fraktionen gesammelt und ausgezählt werden, ist das unzulässig. Das ist eine Konterkarierung des Wahlgeheimnisses, weil es Rückschlüsse auf die Abstimmung nach Fraktionszugehörigkeit zulässt. Eine geheime Wahl ist aber eben geheim. Die Landtagsverwaltung muss alle Vorkehrungen treffen, dass das Wahlgeheimnis bestmöglich geschützt ist. Dass lagerbezogen ausgezählt und erst danach die Teilergebnisse zusammengeführt werden, geht nicht.

Darf die Landtagspräsidentin einen frei gewählten Abgeordneten zum Mandatsverzicht auffordern?

Im Landtag am Pult hat sie das nicht getan.

In zwei Pressemitteilungen fordert sie das schon in der Überschrift als „Landtagspräsidentin Aras“.

Frau Aras ist als Landtagspräsidentin nicht nur dem Schutz der einzelnen Abgeordneten verpflichtet, sondern – mindestens ebenso – dem Schutz der Würde und der Integrität des Gesamtparlaments. Da kann es schon vertretbar sein, als Parlamentspräsidentin eine Mandatsniederlegung zu fordern, wenn der betroffene Abgeordnete – wie das hier der Fall ist – dem Ansehen des Parlaments durch sein Verhalten besonders gravierend geschadet hat. Insofern halte ich das Vorgehen, auch wenn es mir nicht zwingend erscheint, noch für vereinbar mit der Aufgabenstellung der Landtagspräsidentin.

Zur Person

Jurist
Volker Haug, Jahrgang 1965, hat in Tübingen Rechtswissenschaften studiert und war viele Jahre in der Landesverwaltung eingesetzt. Inzwischen lehrt er Öffentliches Recht an der Hochschule für öffentliche Verwaltung in Ludwigsburg mit Schwerpunkten im Parlaments-, Gesetzgebungs-, Medien-, Partizipations- und Hochschulrecht.

Spezialist
Haug darf als herausragender Kenner der Landesverfassung gelten. 2018 – zum 65. Geburtstag von Baden-Württemberg – hat er den neuen Kommentar zur Landesverfassung herausgegeben, der in bis dato unbekannter Gründlichkeit alle Bestimmungen der Verfassung einordnet und dabei auch die Rechtsprechung berücksichtigt. luß