Michael Kretschmer ist seit Dezember 2017 Ministerpräsident von Sachsen. Foto: Lichtgut/Christoph Schmidt

Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) will, dass die europäischen Außengrenzen dicht gemacht werden – aber Asylsuchende trotzdem einen Weg nach Europa finden können.

Stuttgart - Europa hat Italien zu lange beim Grenzschutz und bei der Aufnahme von Flüchtlingen allein gelassen. Das müsse sich ändern, sagt der sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) im Interview mit unserer Zeitung.

Herr Kretschmer, die Unionsparteien haben einen wochenlangen Streit um den richtigen Kurs in der Asylpolitik hinter sich. Wie tief war der Abgrund, in den Sie geschaut haben?
Es war eine sehr ernste Situation, weil beide Seiten die Sache immer weiter zugespitzt haben. Das war gefährlich.
Herr Seehofer ist für Sie nicht der Hauptschuldige?
Es gab den Bedarf nachzusteuern. Wenn nur 15 Prozent der Dublin-Rücküberstellungen tatsächlich realisiert werden, dann ist das nicht tragbar. Das hat Horst Seehofer auf den Punkt gebracht. Die Art und Weise, wie er das tat, sorgte für Irritationen.
Geht der ganze Zinnober von vorne los, wenn es nicht zu den erwünschten Abkommen mit Italien und Österreich über eine Rückführung von Flüchtlingen kommt?
Auch Italien und Österreich haben Interesse an geordneten Verfahren – und es geht ja auch darum, dass sie im Gegenzug etwas bekommen: zum Beispiel Italien eine starke Unterstützung bei der Sicherung der europäischen Außengrenze. Zu den versprochenen 10000 Grenzschützern müssen natürlich auch deutsche Beamte gehören. Und wir sagen zu, weiterhin Flüchtlinge aus den Grenzländern in Deutschland aufzunehmen.
Mit dem Dublin-Verfahren war eigentlich in Europa verabredet, dass die Flüchtlinge auf die EU-Staaten fair verteilt werden. Offensichtlich hat selbst Merkel inzwischen aufgegeben, an eine Verteilung zu glauben.
Die Grundvereinbarung in Europa ist nicht, dass wir Flüchtlinge verteilen. Wir haben die Verabredung, dass die Länder die Außengrenze der EU sichern und in den Erstaufnahmeländern die Asylverfahren stattfinden. Die Italiener beklagen sich zurecht bitter, dass wir sie lange Zeit alleingelassen haben mit dem Außenschutz und bei der Aufnahme der Flüchtlinge. Dann haben sie gesagt: Okay, wir lassen diese Flüchtlinge einfach losziehen in andere EU-Länder. So kann das nicht weitergehen.
Heißt Sicherung der Außengrenze, dass diese Grenze dicht gemacht wird?
Natürlich wird es weiterhin Asylbewerber geben. Über deren Schicksal sollen aber nicht mehr Schlepper entscheiden, sondern Europa klärt in einem ordentlichen Verfahren, wer kommen darf und wer nicht.
Wie wollen sie so etwas in einem Staat wie Libyen, in dem Milizen und Warlords das Sagen haben, nach rechtsstaatlichen Kriterien organisieren?
Das Flüchtlingsabkommen mit der Türkei hat gezeigt, dass solche Abmachungen funktionieren können. Auch mit Libyen müssen wir zu Vereinbarungen kommen. Italien bildet bereits die libysche Küstenwache aus.
Wie viele Menschen würden sie denn auf einem solchen Weg in die EU lassen?
Das müssen wir in Europa besprechen. Aber es wäre zynisch, wenn wir nur sagten: Wir kümmern uns um sichere Grenzen und was mit den Menschen in Afrika passiert, das interessiert uns nicht - ob die verhungern, ob sie geschlagen oder vergewaltigt werden.
Hat von der Zuspitzung des deutschen Flüchtlingsstreits letztlich nicht allein die AfD profitiert?
Das wissen wir noch nicht. Zudem sollte im Vordergrund die Frage stehen: Geht es um ein reales Problem oder nicht? Über Umgangsformen und die Tonalität der Debatten kann man lange streiten. Da habe auch ich viele Kritikpunkte.
Was empfehlen Sie denn Ihrer Partei, wie sie mit der AfD umgehen sollte?
Nicht über jedes Stöckchen springen! Man muss klar und deutlich sagen, wo die AfD Grenzen des Anstands überschreitet und Tatsachen verdreht. Ansonsten geht es darum, eine gute Arbeit zu leisten. Der Erfolg des Populismus bedeutet für mich zunächst einmal, dass Teile der Bevölkerung die Art, wie wir Probleme wahrnehmen und angehen, falsch findet. Sie wollen Lösungen.
Sehen Sie langfristige Perspektiven für eine Zusammenarbeit ihrer Partei mit der AfD?
Nein. Und es reicht, sich einen halben Tag in den Bundestag oder in den Sächsischen Landtag zu setzen. Da ist so viel Hass, Demagogie und Bösartigkeit im Spiel. Mit denen haben wir keine Schnittmenge. Mit denen wollen wir nichts zu tun haben - und für die AfD sind wir der größte Feind.
Wie denken Sie über Seehofers Bemerkung zu den 69 abgeschobenen Afghanen an seinem 69. Geburtstag. Halten Sie das für einen angemessenen Stil?
Ich glaube, dass die Art, wie das interpretiert worden ist, nicht das ist, was er gemeint hat. Er ist wohl schlicht froh darüber, dass man bei der Abschiebung zu Zahlen kommt, die nicht nur im einstelligen Bereich liegen. Jede einzelne Abschiebung ist ein menschliches Drama – allerdings auch für die Polizisten, die das begleiten, und jeden Verwaltungsbeamten, der darüber entscheiden muss. Seehofers Aufgabe ist es, dass auch dieser unangenehme Aspekt der Asylpolitik konsequent nach geltender Rechtslage durchgesetzt wird. Mehr sollte man ihm nicht unterstellen.