Handwerkspräsident Reichhold führt einen Elektrobetrieb in dritter Generation. Foto: dpa

Landeshandwerkspräsident Rainer Reichhold verspricht den Azubis gute Aufstiegschancen im Handwerk. Im Gespräch mit dieser Zeitung verrät der Unternehmer auch, welche Kriterien er bei der eigenen Bewerberauswahl zugrunde legt.

Stuttgart -

Herr Reichhold, das Handwerk im Land verzeichnet im dritten Jahr in Folge einen Anstieg bei neuen Lehrverträgen – dieses Mal sogar einen satten. Wie erklären Sie sich das?
Die Betriebe haben erkannt, dass ihnen sonst später die Fachkräfte fehlen, die sie dringend brauchen. Viele müssen in den kommenden Jahren einen Nachfolger suchen. Gleichzeitig fühlen sich die Bewerber von den guten Perspektiven angesprochen, die ihnen die 130 Berufe im Handwerk bieten. Die Lehre ist nur der erste Schritt für eine Karriere. Es gibt viele Aufstiegsmöglichkeiten, etwa zum Techniker, Meister oder Betriebswirt des Handwerks. Das sollte auch den Eltern klar sein, die ihre Kinder immer öfter aufs Gymnasium schicken – meistens mit dem Ziel, später ein Studium aufzunehmen.
Es macht den Eindruck, als ob das Handwerk dabei ist, sein verstaubtes Image abzulegen und auch für Abiturienten attraktiv zu sein. Woran liegt das?
Wir sind mittlerweile im sechsten Jahr erfolgreich mit unserer Kampagne „Das Handwerk – die Wirtschaftsmacht von nebenan“ unterwegs. Dabei stehen die Berufe im Vordergrund. Wir wollen aufzeigen, was wir unter modernem Handwerk verstehen und was Handwerk heute leisten kann. Wir werben auch dafür, mehr Frauen ins Handwerk zu bekommen. Die Erfolge sind in manchen Bereichen schon spürbar, etwa im Kfz- oder Mahlerhandwerk.
Die Kampagne, sind das die launigen Sprüche, die auf den Transportern der Handwerker stehen?
Nur ein Teil davon. Wir sprechen die Jugendlichen auch dort an, wo sie sich aufhalten: In den sozialen Netzwerken sind wir genauso unterwegs wie auf Youtube oder auf anderen digitalen Kanälen.
Trotzdem sind gerade im Handwerk die Abbrecherquoten hoch. In einer aktuellen Studie wird als häufigste Ursache für das Scheitern einer Ausbildung mangelnde Kommunikation genannt. Trifft das auch auf die Handwerksbetriebe im Land zu?
Das glaube ich nicht. Unsere Mitgliedsbetriebe beschäftigen im Schnitt weniger als zehn Mitarbeiter. Daher haben wir eher einen familiären Charakter. Der Unternehmer kann in der Regel leichter auf seine Auszubildenden eingehen als in einem Großbetrieb in der Industrie. An der Kommunikation sollte es also nicht mangeln, aber es gibt natürlich auch hier nichts, was nicht noch verbessert werden kann.
Sind die Handwerker – gerade wenn sie keine geeigneten Bewerber mehr finden – auch bereit, Flüchtlinge auszubilden, und finden sie welche?
In diesem Ausbildungsjahr kommt keine signifikante Zahl von Flüchtlingen in der Lehre zusammen. Damit rechnen wir erst in zwei Jahren. Es bestand bis jetzt einfach zu wenig Rechtssicherheit für die Unternehmen, die bereit waren Flüchtlinge auszubilden .  .  .
. . . . bis zum Inkrafttreten des Integrationsgesetzes im August . . .
Richtig, aber weil es diesen Hemmschuh bis vor wenigen Wochen gab, hatten wir natürlich auch zu wenige Bewerber. Dazu kommt die fehlende Ausbildungsreife. Allein die Tatsache, dass die Menschen da sind, macht sie noch nicht zu möglichen Mitarbeitern. Sie brauchen Förderung, genau wie einheimische Schüler mit Defiziten. Dazu müssen ihnen ausreichend Plätze in den Fachklassen VABO (Vorqualifizierungsjahr Arbeit/Beruf ohne Deutschkenntnisse) an den Berufsschulen angeboten werden. Sie müssen die Sprache gut genug verstehen, um dem Theorieunterricht in der Ausbildung folgen zu können. Ohne diese Deutschkenntnisse gibt es keine erfolgreiche Ausbildung.
Sie führen selbst ein Elektrounternehmen in Nürtingen. Welchen Anspruch stellen Sie an einen Lehrling?
Wir stellen uns bei der Auswahl drei Fragen: Passt er ins Unternehmen und zu den Kollegen? Ist er Willens, diesen Beruf zu erlernen? Und wie müssen wir ihn unterstützen, damit er dieses Ziel erreicht? Das hat in den vergangenen 30 Jahren, in denen ich im Unternehmen bin, meistens funktioniert. Unsere früheren Lehrlinge sind entweder noch im Betrieb oder haben uns als Meister verlassen. Darauf sind wir stolz und so wünsche ich es mir auch von den anderen 133 000 Handwerksunternehmen im Land.