Wer soll über Freihandelsabkommen abstimmen, die die EU-Kommission aushandelt? Foto: dpa

Jean-Claude Juncker, EU-Kommissionspräsident, hat angekündigt, dass das Freihandelsabkommen mit Kanada ohne die Beteiligung von Bundesrat und Bundestag beschlossen werden soll. Damit hat er viel Zorn auf sich gezogen. Darüber spricht der Karlsruher EU-Abgeordnete Daniel Caspary im Interview.

Brüssel - Jean-Claude Juncker, EU-Kommissionspräsident, hat angekündigt, dass das Freihandelsabkommen mit Kanada (Ceta) ohne die Beteiligung von Bundesrat und Bundestag beschlossen werden soll. Damit hat er viel Zorn auf sich gezogen.

Herr Caspary, war es instinktlos von Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker, ausgerechnet jetzt den Alleingang der Kommission beim Freihandelsabkommen mit Kanada (Ceta) anzukündigen?
Nein, instinktlos ist die Art und Weise der Reaktion von manchen auf Juncker. Die Ankündigung des Kommissionspräsidenten, dass es sich nach Meinung der Kommission um ein reines Freihandelsabkommen handelt und daher die Sache in Europa entschieden wird, ist richtig und war zu erwarten. Die Kommission geht bei Ceta genau den Weg, den sie auch bisher bei den Handelsabkommen gewählt hat. Ich verstehe den Aufschrei nicht.
Man muss doch unterscheiden zwischen der Rechtslage und der politischen Lage. Es hat gerade das Referendum in Großbritannien gegeben, Europa wird Bürgerferne vorgeworfen. Hätte Juncker, der für sich in Anspruch nimmt, eine „politische“ Kommission zu führen, bei einem so sensiblen Thema nicht mehr Fingerspitzengefühl haben müssen?
Insgesamt wünsche ich mir auch mehr Sensibilität von Seiten der Kommission. Juncker wäre sicher gut beraten gewesen, wenn er Ceta nicht zum großen Thema beim EU-Gipfel gemacht hätte. Über Stilfragen müssen wir aber auch auf der anderen Seite reden: Sigmar Gabriel hat die Dampfwalze gegeben und hätte nicht so draufschlagen dürfen. Als Wirtschaftsminister müsste er doch alles tun, um dieses anerkanntermaßen gute und für die Unternehmen wichtige Abkommen zu sichern, statt die Stimmung weiter anzuheizen.
Was ist mit der Bürgerferne?
Achtung, hier müssen wir genau hinschauen. In der Europapolitik gilt der Lissaboner Vertrag. Sämtliche Parlamente haben ihm zugestimmt. Damit kann es also keinen Zweifel an seiner Legitimität geben. Und dieser Vertrag regelt, dass Handelspolitik und damit auch das Abschließen von Handelsverträgen glasklar Sache der EU ist. Die Rechtslage ist nun einmal, dass im Europaparlament und im Rat über Freihandelsverträge abgestimmt wird und nicht woanders. Die Entscheidung ist da auch gut aufgehoben, wir sind nämlich alle frei gewählte Abgeordnete. Man stelle sich vor, Entscheidungen, die verfassungsrechtlich eindeutig in die Kompetenz des Bundestages fallen, würden plötzlich angezweifelt, weil nicht auch die Landtage abstimmen dürfen. Absurd. Oder es würde gefordert, eine Entscheidung des Landtages wäre erst demokratisch legitimiert, wenn auch alle Gemeinderäte in Baden-Württemberg zugestimmt haben. So geht es nicht. Wir müssen uns an den Gedanken gewöhnen, dass es Spielregeln und entsprechende Zuständigkeiten der verschiedenen politischen Ebenen gibt.
Auch die Kanzlerin ist ja dafür, dass der Bundestag einbezogen wird. . .
Angela Merkel hat sich aber weiser und besonnener ausgedrückt als Gabriel. Ich höre von ihr, dass sie den Bundestag beteiligen möchte. Das ist auch sinnvoll. Es ist demokratisch vorbildlich und politisch klug, wenn sich die Bundesregierung für ihre Abstimmung im Rat ein Stimmungsbild des Bundestages zu Ceta einholt. Es ist Aufgabe des deutschen Parlamentes, die Bundesregierung zu kontrollieren. Und Aufgabe des Europaparlamentes ist es, die Arbeit der Kommission zu kontrollieren und über europäische Zuständigkeiten zu entscheiden. Daher gefällt mir die Aussage der Kanzlerin sehr und das Toben von Gabriel gar nicht.
Befürchten Sie, dass Ceta nicht wie geplant bald in Kraft treten kann?
Die Vertragslage ist eindeutig: Ein Handelsabkommen tritt in Kraft, wenn der Ministerrat als Vertretung der Mitgliedstaaten und das Europaparlament als Vertretung der Völker zugestimmt haben. Sollte nun der Rat, worauf einiges hindeutet, entscheiden, dass es sich nicht um ein reines Handelsabkommen, sondern um ein gemischtes Abkommen handelt, sähe der Weg so aus: Es könnte erst endgültig in Kraft treten, wenn alle Länder ratifiziert haben. Das kann sich aber über Jahre und Jahrzehnte hinziehen. Es ist deshalb gängige Praxis, dass gemischte Abkommen dann vorläufig in Kraft treten, sobald der Ministerrat und das Europaparlament zugestimmt haben. Ich werbe sehr dafür, dass Ceta möglichst schnell in Kraft tritt, weil es uns bei der Gestaltung der Globalisierung helfen würde.
Was ist zu tun, damit das transatlantische Freihandelsabkommen ( TTIP) und Ceta gerettet werden?
Die Debatte muss sich von den Mythen verabschieden, Argumente in der Sache müssen wieder eine Chance bekommen. Ceta ist ein sehr gutes Abkommen, es gewährt Marktzugang, sichert Standards, hat keine negativen Auswirkungen auf die kommunale Daseinsvorsorge, und die Regelungen zu den Schiedsgerichten sind so vorbildlich wie bei keinem anderen Abkommen. Ich warne davor, die Debatten weiter auf der Basis von Halbwahrheiten, Behauptungen oder objektiven Lügen zu führen. Das geht schief, wie wir alle gerade beim Referendum in Großbritannien erleben. Das gilt auch für TTIP: Ich möchte die Vertragstexte sehen. Erst wenn sie ausgehandelt sind und vorliegen, kann ich mir ein Urteil bilden. Wahrscheinlich kommt die Politik bei der Bewertung anschließend zu unterschiedlichen Urteilen. Das ist normal. Da können wir streiten. Inzwischen reden wir im Freihandel aber gar nicht mehr über Fakten, sondern nur noch über Gefühle und Stimmungen. Wenn diese Debattenkultur nicht besser wird, geht unser Gemeinwesen kaputt.