Foto: Archiv/factum/Simon Granville

Vor Ludwigsburger Geschäften wollten Xenia Busam und Anja Binder Passanten auf Erzählreisen mitnehmen. Anlass: der Weltgeschichtentag. Doch jetzt kam alles anders – und reisen lassen kann man nur noch die Gedanken.

Ludwigsburg - Xenia Busam und Anja Binder wollten am 21. März dem Weltgeschichtentag seine Ludwigsburg-Premiere bescheren – eigentlich. Ein Gespräch über die Magie von Geschichten in Zeiten radikaler Einschränkung.

Frau Busam, wegen des Coronavirus kann man jetzt nicht einmal mehr auf imaginäre Reisen gehen, so wie Sie es am Samstag eigentlich vorhatten.

Meine Erzählerinnen-Kollegin Anja Binder und ich wollten den Weltgeschichtentag endlich auch einmal nach Ludwigsburg holen. 2020 steht er ausgerechnet unter dem Motto ,Voyages’, also ,Reisen’. Wir wollten vor Ludwigsburger Geschäften anhand von Objekten, die in den Reisekoffer gehören, Märchen und Geschichten aus aller Welt erzählen. Vor dem Fotoladen, dem Hutgeschäft oder dem Brillenladen zum Beispiel. Es wären aber nicht nur die Dinge selbst gewesen, an denen wir die Geschichten aufhängen wollten, sondern mehr noch die damit verbundenen Gefühle wie Sehnsucht und Fernweh.

Anfang der Woche waren Sie noch ziemlich optimistisch, an dem Projekt festhalten zu können.

Die Menschen werden in den kommenden Wochen auf vieles verzichten müssen, was das soziale Leben ausmacht. Deshalb war es uns wichtig, nicht abzusagen. Wir hätten nur im Freien erzählt, auf den Abstand geachtet und so die Sicherheitsmaßnahmen eingehalten. Und das, was die Menschen von dieser Veranstaltung mit nach Hause gebracht hätten, wäre ein Vorrat an wundervollen Geschichten gewesen. Aber der Druck ist zu groß geworden. Und die Einzelhandelsgeschäfte, mit denen wir zusammenarbeiten wollten, sind am Wochenende gar nicht mehr geöffnet.

Auf dem Smartphone hat der Mensch 24 Stunden am Tag Geschichten und Musik zur Verfügung. Warum sollte er sich überhaupt auf die Straße stellen und Märchen für Erwachsenen zuhören?

Tatsächlich: Der Mensch hängt immer mehr am Medium und hört immer weniger zu. Wir wollten mit unserer Aktion weg vom Konsumieren lenken, hin zum Nachdenken, zum Tiefsinn und zur Freude an der Sprache. Wenn man es mal auf den Film herunterbricht: Da serviert mir jemand seine Bilder. Wenn ich mir aber eine Geschichte anhöre, muss ich mir meine eigenen Bilder machen. Das berührt viel intensiver. Es hält den Geist wach, es fördert die Kreativität. Wenn Kinder viele Geschichten erzählt bekommen, werden sie kluge Kinder. Warum sollte das im Erwachsenenalter aufhören?

Müssen auch Erzähler in Zeiten von Corona über neue Vermittlungsformen nachdenken? In Italien machen die Menschen ja inzwischen auch vom Balkon aus Musik. 

Hätten wir einen Balkon auf dem Marktplatz zur Verfügung, würden wir das auch tun. Es wäre eine unkonventionelle, wahrhaft wundervoll alt- und modische Art. Heutzutage wird der Balkon aber zur Homepage. Und so haben sich einige Erzähler zusammengetan und bieten lebendig erzählte Märchen vom Reisen über das Netz an. Wer Märchen liebt, möge am 20. März, dem Weltgeschichtentag, auf folgende Seite gehen, die Ohren spitzen und unter https://soundcloud.com/erzaehlerverband mit der Traum-Reise beginnen.