Daniel Brühl (li.) und Jesper Christensen Foto: X-Verleih/Warner

2003 räumte Wolfgang Becker mit der Tragikomödie „Good Bye, Lenin!“ Preise ab und wurde für den Golden Globe nominiert. Woody Allen hat seither zwölf Filme inszeniert – Becker nun den ersten: Die Daniel-Kehlmann-Adaption „Ich und Kaminski“ mit Daniel Brühl in der Hauptrolle.

Berlin -

Herr Becker, sind Sie ein fauler Filmemacher?
Wenn ich einen Film mache, bin ich bestimmt nicht faul, sondern sehr fleißig. Aber ich habe Phasen, in denen ich etwas anderes mache. In Ermangelung geeigneter Drehbücher ziehe ich es vor, so lange zu warten, bis sich ein Skript für mich richtig anfühlt.
So wie „Ich und Kaminski“?
Am Roman haben mir Thematik, Erzählweise und Humor gefallen. Fälschlicherweise dachte ich, er würde sich leicht fürs Kino adaptieren lassen. Ich habe mich gründlich geirrt. Es gibt zwei zentrale Probleme. Das eine war mir bewusst: Der Roman wird von einer Figur aus der Ich-Perspektive erzählt, die offensichtlich ein Problem hat – Sebastian Zöllners Selbstwahrnehmung klafft extrem mit seiner Außenwirkung auseinander. Er neigt zu einer bis zur Hybris übersteigerten Selbstüberschätzung. Das kann man im Film so nicht erzählen, weil man sich hier immer eher in der dritten Person befindet.
Und welches Problem war Ihnen nicht bewusst?
Es ist eigentlich kein richtiger Roman, eher eine zu lang geratene Novelle, weil ihm der dritte Akt fehlt. Folglich passte die Geschichte nicht in den Rahmen eines Dreiakters, den Kinogänger gewohnt sind. Wir haben dann eine Kapitel-Struktur eingeführt, um das Ganze dramaturgisch in den Griff zu bekommen.
Ist Ihr Sebastian zugänglicher als der im Buch?
Ich glaube, der Film mag die meisten Figuren mehr als der Roman. Wir lesen Bücher anders, als wir Filme gucken. Im Roman können Figuren viel extremer und krasser sein, den Grad der Vermessenheit, Arroganz, Selbstüberschätzung bestimmen wir beim Lesen selbst. Wir können Unverschämtheit in der Vorstellung so justieren, dass es für uns erträglich bleibt. Im Film wird das objektiviert. Wir sehen einfach, wie unverschämt jemand handelt. Der Moment, der uns das graduell einpegeln lässt, ist nicht mehr gegeben. Beim Lesen erzeugen wir unseren Film im Kopf, das Zwiegespräch mit dem Buch verläuft bei jedem Leser verschieden. Beim Film ist das ganz anders.
Noch ein Beispiel für diesen Unterschied?
Kehlmann musste kein einziges Bild malen. Er konnte einfach behaupten, dass Kaminskis Bilder großartige Kunst von Weltrang sind. Im Film muss man irgendwann ein Bild zeigen. Das ist ein großes Problem. Man kann das nicht einem Requisitenmaler überlassen. Wenn jemand wirklich eine künstlerische Potenz hat, dann wird er nicht Requisitenmaler. An den Bildern wurde drei Jahre lang intensiv gearbeitet. Wir sehen letztendlich wenige, aber es sind Hunderte gemalt worden: Vorstudien, Bleistiftzeichnungen, Kreidezeichnungen, Aquarelle. So lange, bis wir das richtige Bild gefunden hatten.
Daniel Brühl war vor zwölf Jahren noch ein Küken, wie er selbst sagt. Wie hat er sich aus Ihrer Sicht als Schauspieler verändert?
Daniel hat in der Zwischenzeit viel mehr gemacht als ich. Das ist auch der Normalfall. Ein Regisseur ist meistens zwei oder drei Jahre mit einem Film beschäftigt. Daniel hat wahnsinnig viel Erfahrung gesammelt, international gedreht, viele Schauspieler, Regisseure und deren Arbeitsweise kennengelernt. Er ist nicht mehr das Küken, er ist ein emanzipierter, selbstbewusster Schauspieler. Es war mir aber klar, dass wir nicht nach dem Motto „Never change a winning team“ an früher würden anknüpfen können. Es würde kein einfacher Ritt werden.
Inwiefern?
Aus einer Weiterentwicklung ergeben sich manchmal auch Probleme. Das Grundvertrauen, dass wir es zusammen schaffen, war immer gegeben. Daniel macht nach wie vor vieles mit und probiert aus. Es ist ja ein ziemlicher Rollenwechsel vom Traumschwiegersohn zu einer solchen Kotzbrockenfigur. Als Nicki Lauda in „Rush“ kam Daniel auch nicht sympathisch rüber, aber er konnte sich am realen Vorbild orientieren. Sebastian Zöllner war neues Terrain, auf dem er keine Routine hatte. Wo Daniel den Ton sonst sehr schnell trifft, musste er sich hier herantasten. Das bringt automatisch eine gewisse Unsicherheit: Ist der Charakter in seiner Arroganz und Hybris noch glaubwürdig? Darüber wurde lange diskutiert.
Der Film geht mit den Themen Alter und Vergänglichkeit um . . .
Der Roman gibt ja das Wesentliche vor. Dieser Aspekt hat mich beim Lesen auch am meisten interessiert. Ich finde es erstaunlich, dass Kehlmann, der ja damals noch sehr jung war, so großartige Sätze dafür gefunden hat. Er schreibt nie flamboyant oder Mitleid erhaschend. Das Alter wird beschrieben wie ein Wechsel des Aggregatzustandes. Dominik Silva, Kaminskis Mäzen von früher, spricht an einer Stelle darüber, wie man im Alter unsichtbar wird: „Alter ist etwas Absurdes. Man ist da, und man ist nicht mehr da, wie ein Phantom“. Als es der damals 88-jährige, nun leider verstorbene Jacques Herlin gespielt hat, wusste er genau, worüber er da sprach. Das war im gesamten Raum zu spüren. Die großartigen Sätze stammen von Kehlmann, wir haben sie in einen filmischen Kontext gestellt. Ehre, wem Ehre gebührt.
Möchte man sich als Filmemacher auch ein stückweit unvergänglich machen?
Die Frage stellt sich wohl jedem: Was bleibt von mir übrig, wenn ich mal nicht mehr bin? Die meisten begnügen sich damit, Kinder in die Welt zu setzen. Das ist eine ebenso wichtige Lebensleistung, wie einen Evergreen zu schreiben. Vielleicht schreibt ja dieses Kind den nächsten Evergreen? Aber nur, wenn es in einer richtigen Weise ins Leben geführt worden ist. Insofern sollte man das nie kleinreden. Kaminskis Jugendliebe hat diesen Weg gewählt. Ihr Lebensgefährte bringt es auf den Punkt: „Vier Kinder, sieben Enkel, das ist doch was!“. Der berühmte Maler dagegen ist nicht glücklich, lebt isoliert in Vergessenheit. Am Ende des Lebens gelangt er zu der Erkenntnis, dass Kunst nicht alles ist.
Ist „Good Bye, Lenin!“ ein Stück Unvergänglichkeit?
Der Film wird natürlich immer mit mir in Verbindung gebracht. Bei Daniel ist es auch so. Aber er macht dann einen Kracher wie „Rush“ und schon ändern die Journalisten in ihren Texten den Verweis – „Good Bye, Lenin!“rutscht raus, jetzt steht der nächste Film dahinter. Man kann so einen Erfolg nicht planen. Das ist für mich auch keine Antriebsfeder. Natürlich ist es eine nachträgliche Befriedigung, für etwas belohnt zu werden, woran man hart gearbeitet hat. Ich würde einiges in meinen alten Filmen heute anders machen. Ich sehe mit Abstand lauter Fehler beim Schnitt. Aber ich muss nie sagen: „Um Gottes Willen, was habe ich da bloß gedreht!“. Da klopfe ich mal auf Holz.