Verkehrsminister Winfried Hermann will Fahrverbote vermeiden. Foto: Lichtgut/Leif Piechowski

Landesverkehrsminister Winfried Hermann spricht sich im Interview gegen eine Benachteiligung der Euro-4-Diesel-Autos aus. Denn die hätten niedriger Emissionswerte. Und er will eine Blaues „Plakettle“ fürs Land.

Stuttgart - In diesen Tagen wird die schriftliche Begründung zum Fahrverbotsurteil des Bundesverwaltungsgerichts erwartet. Dann wird es ernst mit dem neuen Luftreinhalteplan und möglichen Fahrver boten. Aber die will auch Minister Hermann möglichst vermeiden.

Herr Minister , wir warten alle auf die Urteilbegründung aus Leipzig. Wann sagen Sie dem Besitzer eines älteren Dieselfahrzeugs in Stuttgart, was auf ihn zu kommt?
Da muss er noch warten, auch wir warten auf die Begründung. Es dauert lange und erfordert Geduld. Wir wollen nicht zu einer finalen Lösung mit dem Luftreinhalteplan für Stuttgart kommen, wenn wir nicht genau wissen, wie das Gericht sein Urteil begründet. Aus unserer Sicht war der Spruch eindeutig, aber er wird unterschiedlich ausgelegt. Einige sagen klipp und klar, es müsse Verkehrsbeschränkungen schnellst möglich für Diesel mit Euro 4 geben und frühestens ab 1. September 2019 für die mit Euro 5. Andere betonen die in Leipzig angesprochene Verhältnismäßigkeit von Verkehrsbeschränkungen, und sagen, eine Beschränkung sei nie verhältnismäßig und das werde es nicht geben. Da haben wir ein breites Spektrum. Die Verhältnismäßigkeit des Gerichts hat sich unseres Erachtens bezogen auf die Gewährung von Übergangsfristen.
Also abwarten und Tee trinken?
Wir handeln längst. Wir prüfen, was an Maßnahmen notwendig ist, um den allgemeinen Wunsch, Fahrverbote zu vermeiden, zu erfüllen. Wir wollen den ÖPNV verbessern, etwa durch zwei neue Expressbuslinien von Cannstatt und Leonberg kommend. Ab Ende 2019 wollen wir weitere Schnellbuslinien und neue Metropolexpresszüge. Es geht weiter mit dem Ausbau des Radverkehrs, mehr Jobtickets in Betrieben und Mitfahr-Apps, günstige Tickets, intelligente Verkehrssteuerung und mehr E-Fahrzeuge. Wenn wir nur noch knapp über dem Grenzwert sind und das alles in einem Bündnis für die Luftreinhaltung hinkriegen und viele umsteigen, könnten Verkehrsbeschränkungen vermeidbar sein.
Wenn nicht, müssen Sie pauschal und flächendeckend zu Fahrverboten greifen?
Ich habe kein einziges Mal für ein pauschales Verbot plädiert, ich habe von Anfang an gesagt, es gibt saubere und unsaubere Diesel. Was die Deutsche Umwelthilfe macht, alle Diesel undifferenziert zu verdammen, ist politisch und technisch dumm. Aber es geht auch nicht, die DUH zu beschimpfen, weil sie zu radikal ist, während die Autoindustrie in Milliardenhöhe betrogen hat und die DUH dies anprangert. Die DUH betont zur Recht, dass Gesetze einzuhalten sind. Letzte Woche bei dem Vorfall in Ellwangen gab es einen öffentlichen Aufschrei gab, weil da rechtsfreie Räume entstanden seien. Das darf es nicht geben, allerdings auch nicht im Umweltbereich.
Wenn am Neckartor ein Grenzwert überschritten wird, gilt dann das Fahrverbot für die gesamte Stadt Stuttgart?
Sie fragen immer nach dem Worst Case. Mein Job ist es, den zu vermeiden. Wir werden Alternativen prüfen. Es wird eine politische Auseinandersetzung geben. Wenn alle sagen, sie wollen keine Verkehrsbeschränkungen, müssen wir fragen, was wir statt dessen tun sollen. Wieviel Geld stecken wir zusätzlich in den ÖPNV der Region Stuttgart? Wie sieht es aus mit Tempolimits? Auch die hätten einen Effekt. Im Übrigen will ich von dieser blöden Fahrverbotsdebatte runter, es geht mir um zukunftsorientierte Mobilität. Ich erwarte auch keinen Fahrverbotswahlkampf bei der Landtagswahl. Städte wie Tokio haben 60 Prozent ÖPNV-Anteil, da sind wir noch weit davon entfernt. Die Citymaut gibt es in London seit 15 Jahren. Anderswo wird unideologisch im Sinne der Luftreinhaltung entschieden, wir sind sehr autoaffin.
Wie werden Fahrverbote kontrolliert und bei welchen Immissionswerten?
Klar ist, dass Euro 6 Fahrzeuge fahren dürfen. Ein Mittel war für uns immer die Blaue Plakette. Die will der Bund immer noch nicht. Auch wenn man auf der Schwäbischen Alb und in der Lüneburger Heide keine Plakette braucht, so brauchen wir eine einheitliche Regelung für die Städte mit Grenzwertüberschreitungen. Wenn das Gericht in der Begründung sagt, ihr kommt um Verkehrsbeschränkungen nicht herum und ihr braucht ein Kriterium für die Emmissionswerte der Autos, dann würde das möglicherweise ein „blaues Plakettle“ – das bedeutet eine Ausschilderung „made in Baden-Württemberg“ – rechtfertigen. Aber davon sind wird noch weit entfernt. Was nicht geht, ist jedes Auto anzuhalten und zu prüfen, was hat das für eine Norm. Wir brauchen ein sichtbares Zeichen, das ist eine Plakette. Mal angenommen, wir würden eine Blaue Plakette Stuttgart einführen, dann geht das nicht über Nacht und braucht einen zeitlichen Vorlauf. So eine Plakette kann nicht nach dem Bundesimmissionsschutzgesetz eingeführt werden. Das Gericht in Leipzig hat aber gesagt, wir haben andere Möglichkeiten, diese Verkehrsbeschränkungen außerhalb des Bundesrechtes einzuführen.
Welchen denkbaren Zeitplan gibt es bei Fahrverboten?
Der Bundesrichter hat gesagt, erst Euronorm 4 verbieten, danach Euro 5. Das war sein Urteil zur Staffelung, die war begründet mit dem Eigentumsrecht. Wenn man sich aber die Emissionswerte anschaut, dann liegen die von Euro-4-Autos im Schnitt niedriger als die von Euro 5. Wie will ich das mit der Luftreinhaltung rechtfertigen, den Euro 4 früher zu verbieten? Ich plädiere dafür, dass wir keine zeitliche Differenzierung bei möglichen Verkehrsbeschränkungen für Euro 4 und Euro 5 vornehmen. Ökologisch gesehen sind die Euro-5-Diesel die problematischsten, wegen der hohen Werte, und weil sie auch die größte Fahrzeuggruppe darstellen.
Bedeutet das, dass Fahrverbote sowohl für Euro 4 als für Euro 5 dann ab September 2019 möglich sind, bisher galt der Termin laut Gericht ja nur für die Fünfer?
Klar ist für mich, dass sich effektive Nachrüstung lohnen muss. Fahrzeuge, die durch Nachrüstung einen klar definierten Mindeststandard erreichen, können von Fahrverboten ausgenommen werden. Wenn wir Verkehrsbeschränkungen angehen müssen, dann kann es nach meiner Sicht nicht vor dem 1. September 2019 passieren, und wenn ich die Einsicht habe, dass man die Euro 4-Diesel nicht schlechter behandeln kann als die Euro 5-Diesel, dann gilt dieser Termin also auch für die Euro 4-Diesel. Das ist mein Vorschlag, der ist aber noch nicht abgesprochen in der Koalition, aber ich finde dafür zunehmend Anhänger. Wirksame Maßnahmen müssen in der Koalition im Konsens rasch beschlossen werden.