Der Schweizer Verkehrsmediziner Rolf Seeger schätzt, dass zwei bis fünf Prozent der älteren Autofahrer sich und andere stark gefährden. Foto: privat

Selbst Gesunde kommen im Alter an ihre Grenzen, sagt Rolf Seeger, Verkehrsmediziner aus der Schweiz. Deshalb hält er praktische Fahrtests für sinvoll. Die gibt es in der Schweiz nur in Ausnahmefällen – allerdings sind für Autofahrer ab 70 alle zwei Jahre medizinische Untersuchungen in der Schweiz vorgeschrieben.

Stuttgart/Zürich - Herr Seeger, wie gefährlich sind ältere Menschen im Straßenverkehr?
Etwa zwei bis fünf Prozent der Senioren sind wirklich gefährlich. Das ist viel, wenn man bedenkt, wie viele Senioren mit dem Auto unterwegs sind. Man muss alle screenen und genau diese Risikogruppe bei den Untersuchungen finden.
Wer gehört zu dieser Risikogruppe?
Die größte Gruppe darunter – etwa die Hälfte – sind jene mit einer beginnenden Hirnleistungsstörung, etwa mit beginnender Demenz oder nach einem Hirnschlag. Und gerade diese Menschen sind oft besonders uneinsichtig. Je nachdem, welche Untersuchung man zugrunde legt, ist die Unfallhäufigkeit bei Dementen zwei bis 18 Mal höher als bei anderen. Weil die Lebenserwartung steigt, nimmt die Wahrscheinlichkeit zu, dass die Menschen irgendwann Alzheimer bekommen. Das Thema wird also eher brisanter. Bei den 70-Jährigen sind etwa drei Prozent an Demenz erkrankt, bei den 90-Jährigen ist mindestens jeder Dritte betroffen.
In der Schweiz sind vom 70. Lebensjahr an regelmäßige medizinische Fahruntersuchungen im Abstand von zwei Jahren gesetzlich vorgeschrieben. Geprüft werden Sehschärfe, Gesichtsfeld, Hörvermögen und der allgemeine Gesundheitszustand. Kann der Hausarzt, der das Zeugnis zur Fahrtauglichkeit ausstellt, sofort erkennen, wer noch fahren darf und wer nicht?
In einer ersten Stufe kann er Auffälligkeiten im Verhalten erkennen, zum Beispiel, wenn sich der Senior auf den Arzt- statt auf den Patientenstuhl setzt. Es gibt Kriterienlisten – und die Hausärzte werden zurzeit speziell dafür geschult. Im Verdachtsfall kann der Arzt Kurztests bezüglich der Hirnleistungsfähigkeit durchführen. Manche geben dann freiwillig ihren Führerschein ab. Es kommt relativ selten vor, dass die Hausärzte die Fahreignung direkt ablehnen. Häufiger heißt es, der Fall müsse durch einen Verkehrsmediziner abgeklärt werden. Dann landet das bei uns. Im Kanton Zürich beurteilen wir zwei Prozent der Senioren über 70, die einen Führerschein haben, die Hälfte davon lehnen wir ab, bei Demenzgruppen sind es 70 Prozent.
Wären Kontrollfahrten sinnvoll?
Bei Demenzkranken gibt es bereits solche praktischen Tests, weil wir in Grenzfällen nicht am Tisch entscheiden können, ob jemand noch fahrtüchtig ist. Bei den Fahrten erleben wir teils brandgefährliche Situationen, die nur deshalb gut ausgehen, weil andere Autofahrer aufmerksam sind. Aber obligatorische Fahrtests wären das absolute Optimum. Gerade Hochbetagte kommen, auch wenn sie gesund sind, irgendwann an ihre Grenzen. Sie machen vielleicht alles richtig im Straßenverkehr, reagieren jedoch viel langsamer als andere. Das könnte man bei Fahrtests erkennen, aber die lassen sich politisch schwer durchsetzen.
Das Mindestalter für medizinische Checks soll von 70 auf 75 erhöht werden. Eine populäre Entscheidung – ist sie auch vernünftig?
Ich gehöre zu den ganz wenigen in der Schweiz, die an der alten Regelung festhalten möchten. Es gibt auch bei den Menschen unter 70 solche, die nicht mehr hinters Steuer gehören, die bleiben dann lange unentdeckt. Und auch bei den 70- bis 75-Jährigen treten Demenzerkrankungen auf. Bei ihnen ist zudem die eingeschränkte Sehfähigkeit, verursacht etwa durch den grauen Star, ein Problem.
In der Schweiz besteht die Möglichkeit, einen Führerschein zu erhalten, der nur für gewisse Fahrten oder nur tagsüber gilt. Bietet sich das gerade auf dem Land an, damit die Menschen mobil bleiben?
Diese Erlaubnis begehren häufig Leute mit beginnender Demenz, bei denen die Fahreignung abgelehnt werden muss. Das Problem ist, dass sie sich am eigenen Wohnort zu sicher fühlen, sie machen direkt vor der Haustür Fehler, sie sind zu schnell unterwegs und schneiden Kurven, wenn es unübersichtlich wird. Bei Hirnleistungsstörungen sind wir Verkehrsmediziner uns relativ einig, dass die Betroffenen nicht mehr Auto fahren sollten.