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Bodo Ramelow, der linke Ministerpräsident Thüringens, beschwört seine Partei, das Dreierbündnis nicht durch Vorbedingung unmöglich zu machen.

Berlin – - Welche Erwartungen knüpfen Sie an das Treffen von Linken, Grünen und Sozialdemokraten?
Auch im Bund sind die klassischen Zweierkoalitionen Vergangenheit. Dahin gibt es keinen Weg zurück, denn die beiden Volksparteien schrumpfen rasant. Hinzu kommt: R2G steht nicht nur für irgendeine andere arithmetische Mehrheit, sondern einen anderen Politikstil. Den muss man vorbereiten.
Gibt es Faktoren, die heute ein solches Bündnis wahrscheinlicher machen als 2013, wo es ja im Bund auch schon die Möglichkeit gegeben hätte?
In Thüringen wäre schon bei der vorletzten Wahl rechnerisch sogar Rot-Rot ohne Grün möglich gewesen. Es ist nicht zustande gekommen, weil die Parteien zum damaligen Zeitpunkt noch nicht reif waren, die gemeinsame Mehrheit auch politisch abzubilden. Sie waren gefangen im alten Politikmodell. Mit dem Aufstieg der AfD wächst die Herausforderung, Alternativen zur großen Koalition zu denken. Die große Koalition auf Bundesebene hat die AfD begünstigt, weil im gesellschaftlichen Diskurs konservative und linksliberale Positionen nicht mehr klar zu verorten sind. Wenn am Ende der Eindruck entsteht, Frau Merkel könnte durchaus auch die Spitzenkandidatin der SPD sein, dann geht etwas richtig schief. Es ist Zeit, Kurs und Politikstil zu ändern.
Müssen die Willigen in SPD, Linke und Grüne erstmal Gemeinsamkeiten zusammentragen – oder die Konflikte frontal angehen?
Ich empfehle eher, dass sich die Unwilligen in den Parteien, also diejenigen, die am weitesten voneinander entfernt sind, endlich gemeinsam an den Tisch setzen und über die wirklich trennenden Dinge reden, ohne sich gegenseitig katholisch machen zu wollen. Das Trennende muss exakt beschrieben werden. Und wir müssen wissen, was der jeweils andere genau erwartet. Was trennt uns zum Beispiel in der Nato-Frage? Da ist die Diskussion noch zu sehr von politischen Schlagworten geprägt. Wenn das Trennende klar und verstanden ist, kann man darüber hinweg Brücken bauen.
Also: Was trennt sie in der Nato-Frage?
Wenn die Nato eine wertebasierte Verteidigungsgemeinschaft ist, die die Freiheit der freien Welt verteidigt: welche Freiheit bitteschön verteidigen wir dann gemeinsamen mit Herrn Erdogan, der in Kobane und Rojava den JPG-Kämpfern, also den einzigen, die am Boden gegen den Islamischen Staat kämpfen, Bomben auf den Kopf wirft – aus Flugzeugen einer Luftwaffe, die zur Nato gehört. Ich möchte schon geklärt wissen, ob die Nato heute tatsächlich diese Wertegemeinschaft ist.
Ist das der Stolperstein für R2G?
Ich werbe dafür, die Nato-Frage nicht vor die Koalitionsverhandlungen zu stellen. Wenn wir als Dogma aufstellen, dass sich die anderen erst verändern müssen, bevor man koaliert, kommen wir nie weiter. Wir dürfen keine K.O.-Kriterien schaffen, die jede gemeinsame Regierungsverantwortung ausschließen. Ich weiß: Auch in meiner Partei ist die Neigung dazu verbreitet. Auch wir müssen genauer klären, was wir wollen. Mein Beispiel ist die Bundeswehr: Sie ist für mich das Gewaltmonopol der Staatsmacht, ein Teil unseres staatlichen Seins: Wir haben eine Verteidigungsarmee. Ich will auch bei uns eine gründlichere Diskussion: Stört uns die Armee an sich oder ihr Auftrag als Interventionsarmee. Sind wir eine pazifistische Partei oder eine Anti-Kriegspartei? Ich bin für eine Armee mit Verteidigungsauftrag, ich bin auch für Verteidigungsbündnisse.
Beim Thema Interventionen scheint die Linke aber unbeweglich.
Was haben uns denn die Out-of-area-Einsätze der Nato eingebracht? Sind die Staaten, in denen die Nato militärisch interveniert hat, stabiler geworden, oder sind sie vielmehr sukzessive entstaatlicht worden? Haben die Flüchtlingsströme damit etwa nichts zu tun? Ich würde mit SPD und Grünen gerne über eine Weltfriedens-Architektur reden, nicht über die Nato-Doktrin. Die Linke weiß, dass wir Mitglied der Nato sind. Ja, wir wollen ihre Logik überwinden. Aber das ist doch nicht die Vorbedingung, um Regierungsverantwortung zu übernehmen. Wir wollen das Alltagsleben der Menschen verbessern. Wir sollten Maßnahmen gegen Kinderarmut, mehr Hilfen für Langzeitarbeitslosen, ein höheres Rentenniveau, eine integrative Bildung anstreben. Das geht nicht, wenn die Dogmen wie eine Monstranz vorweggetragen werden. Die verstandene und akzeptierte Unterschiedlichkeit in Fragen der Militärpolitik ist kein Ausschlusskriterium für eine rot-rot-grüne Koalition.
Werfen wir einen Blick in die Zukunft: Glauben Sie, dass die Linke am Ende des Prozesses bereit ist, in ein rot-rot-grünes Bündnis einzusteigen?
Ja. Ich halte das für unsere Pflicht, wenn wir unser Wahlprogramm ernst nehmen. Denn das heißt, dass wir das auch umsetzen, was wir umsetzen können.