Thomas Oppermann will, dass die große Koalition mit der Bundestagswahl ein Ende findet: Sie dürfe „keine Dauereinrichtung werden, weil sie die politischen Ränder stärken würde“. Foto: Lichtgut/Leif Piechowski

Der SPD-Fraktionsvorsitzende im Bundestag, Thomas Oppermann, sieht für die Sozialdemokraten beste Wahlchancen mit dem Spitzenkandidaten Martin Schulz. Eines der Regierungsziele: eine höhere Erbschaftsteuer für die ganz großen Vermögen.

Stuttgart - Die große Koalition darf keine Dauereinrichtung werden, sagt der SPD-Fraktionsvorsitzende im Bundestag Thomas Oppermann. Um Angela Merkel als Kanzlerin abzulösen, wollen die Sozialdemokraten im Wahlkampf auf das Thema „Gerechtigkeit“ setzen – ein Thema, dass der Kanzlerkandidat Schulz wie kein anderer verkörpere.

Herr Oppermann, der SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz hat Angela Merkel als „geschäftsführende Vorsitzende einer sozialdemokratisch geführten Regierung“ bezeichnet. Dann ist es doch ziemlich egal, ob Merkel oder Schulz gewählt wird.
Keinesfalls. Die SPD hat in dieser großen Koalition viel durchsetzen können – vom Mindestlohn über die Pflegereform bis zur Entlastung der Kommunen. Aber jetzt merken wir, dass die Zusammenarbeit mit der Union an ihre Grenzen stößt. Wenn wir also mehr sozialdemokratische Politik durchsetzen wollen, müssen wir die Regierung führen.
Schulz sagt, mit ihm kümmere sich die SPD um die hart arbeitenden Menschen, die sich an die Regeln halten. Das sagt Angela Merkel fast wortgleich. Wo liegt also der Unterschied?
Der Unterschied liegt im Handeln. Beim Mindestlohn hat die Union immer versucht, Löcher in das Gesetz zu bohren. Bei der Begrenzung der Leiharbeit bestand sie auf Ausnahmen. Die Union verhindert die Parität in der Krankenversicherung und will, dass die Versicherten alle Mehrkosten allein tragen. Das ist keine Politik für Arbeitnehmer.
Die Demoskopen bescheinigen der SPD als größtes Problem einen Mangel an Glaubwürdigkeit. Wie wollen Sie diesen Mangel beheben?
Ich habe den Eindruck, dass die Demoskopen gerade ihre Meinung ändern. Richtig ist: Wer die Zustimmung der Menschen gewinnen will, braucht Vertrauen. Schulz hat dieses Vertrauen. Er hat sich von ganz unten hoch gearbeitet, hat nicht vergessen, wo er herkommt, und kann Menschen für sozialdemokratische Politik begeistern.
Ihr Hauptproblem war also Sigmar Gabriel, der diese Begeisterung nicht entfachen konnte?
Nein. Unser Hauptproblem war, dass wir in erster Linie als Teil der Großen Koalition wahrgenommen wurden. Das hat Sigmar Gabriel erkannt und mit Martin Schulz einen Kandidaten vorgeschlagen, der die große Koalition ablösen will. Damit hat er genau den Richtigen getroffen.
Der Kanzlerkandidat Schulz setzt ganz auf das Thema „Soziale Gerechtigkeit“. Damit hatte die SPD allerdings in den letzten Wahlkämpfen wenig Erfolg.
Wir erleben große Umwälzungen. Da geht es um sehr grundsätzliche Fragen. Die SPD steht zur europäischen Einigung, sie ist die Basis für Frieden, Freiheit und Wohlstand. Wir wollen eine starke Demokratie, wir kämpfen gegen Hass und Gewalt und für ein respektvolles Miteinander. Und das Dritte ist die Gerechtigkeit. Ja, wir haben eine starke Wirtschaft und es geht vielen Menschen in Deutschland gut. Aber wenn sich Manager trotz eklatanter Fehler Millionenprämien zuschustern, während eine Kassiererin im Discount-Markt für einen kleinen Fehler gefeuert wird, dann ist das eine große Ungerechtigkeit.
Er wolle an die großen Vermögen ran, sagt Schulz. Heißt das konkret: die SPD führt die Vermögensteuer wieder ein?
Gerecht ist, wenn die starken Schultern mehr tragen als die schwachen, das ist der Grundsatz. Die Vermögensteuer birgt allerdings die Gefahr, dass insbesondere mittelständische Unternehmen geschädigt werden, weil wir sie in der Substanz besteuern würden. Deshalb ist es besser, die Erbschaftsteuer noch einmal neu zu überdenken. Das ist auch ordnungspolitisch richtig. Jede Generation muss wenigstens einen Teil ihres Wohlstands selbst erwirtschaften. Deshalb brauchen wir eine Erbschaftsteuer mit großzügigen Freibeträgen, aber einer fairen Beteiligung der ganz großen Vermögen an der Finanzierung unseres Gemeinwesens.
Wollen Sie also den Erbschaftsteuer-Kompromiss, den Bund und Länder erst vor kurzem gefunden haben, wieder aufkündigen?
Dieser Kompromiss war kein großer Wurf, die Erbschaftsteuer ist jetzt eine sehr komplizierte Steuer mit hohem Verwaltungsaufwand. Das können wir einfacher und gerechter regeln.
Denken Sie auch an einen höheren Spitzensteuersatz?
Wir brauchen vor allem eine Entlastung der kleinen und mittleren Einkommen. Wobei Arbeitnehmer, die beispielsweise 2000 Euro brutto verdienen, stärker durch Sozialabgaben als durch Steuern belastet werden. Deshalb überlegen wir dort anzusetzen und wollen ein Konzept vorlegen, dass diese Dinge besser austariert. Auf keinen Fall werden wir – wie die Union das will – eine Steuerentlastung mit der Gießkanne machen, bei der vor allem die Bestverdiener profitieren.
Nach jetzigem Stand der Umfragen wird die SPD mindestens zwei Koalitionspartner brauchen, um den Kanzler stellen zu können. Haben Sie persönlich eine Präferenz?
Wir werden keinen Koalitionswahlkampf führen. Unser Ziel ist, stärkste Partei zu werden. Dann werden sich mögliche Partner am Programm der SPD ausrichten. Wir sind mit allen gesprächsbereit – ausgenommen die AfD. Die große Koalition darf keine Dauereinrichtung werden, weil das die politischen Ränder stärken würde. CDU und CSU in der Opposition könnten die Chance nutzen, die heimatlosen Konservativen wieder an sich zu binden und der AfD das Wasser abzugraben.
Wird der bundesdeutsche Wahlkampf nach dem Amtsantritt von Donald Trump als US-Präsident einen völlig anderen Verlauf nehmen als erwartet: Reden wir im Herbst vielleicht nicht über Steuermodelle, sondern über die Selbstbehauptung Deutschlands in einer völligen neuen Weltordnung?
Unter Barack Obama war selbstverständlich, dass der Kern unseres westlichen Bündnisses die Verteidigung der liberalen Demokratie und der offenen Gesellschaft ist. Bei Trump ist das nicht mehr klar. Er vertritt einen kruden Nationalismus. „America first“ ist keine Antwort auf die Probleme der Welt. Wenn wir jetzt anfangen mit „Frankreich zuerst“ oder „Deutschland zuerst“, dann riskieren wir Handelskriege und schwere politische Konflikte. Das einige Europa ist die friedliche Antwort auf zwei Weltkriege. So muss es bleiben, dafür kämpfen wir.
Die Europäische Union ist allerdings in einer denkbar schlechten Verfassung.
So ist es. Und in dieser Situation ermuntert Trump sogar noch weitere Mitgliedsländer, die EU zu verlassen. Langsam dämmert es vielen, dass Trump dabei nicht das Wohlergehen der Europäer im Auge hat. Ich hoffe, dass sein Nationalismus ein Weckruf für Europa wird. Da braucht es klare Ansagen aus Deutschland – und Martin Schulz ist für solche Ansagen genau der Richtige, weil er wie kein anderer den europäischen Zusammenhalt verkörpert.
Wie entschieden sollte die Bundesregierung der Trump-Regierung gegenüber treten?
Auf keinen Fall dürfen wir die Politik der Abschottung mit Abschottung beantworten, eher mit einer Gesprächsoffensive, so schwierig das auch sein mag.
Muss sich die EU möglicherweise nach neuen Handelspartnern umsehen, wenn die USA auf Protektionismus setzen?
Wir wollen gute Beziehungen mit Russland und China. Aber die können nicht die transatlantische Partnerschaft mit den USA ersetzen. Das ist eine Wertegemeinschaft, die weit über Donald Trump hinaus weist. Deshalb sollten wir allen Widrigkeiten zum trotz an der vielfältig gewachsenen deutsch-amerikanischen Freundschaft festhalten.

Das Interview führten Rainer Pörtner und Matthias Schiermeyer