Sparkassenpräsident Peter Schneider: Die Entwicklung ist bedenklich. Foto: Lichtgut/Max Kovalenko

Mit jeder Auflage der Aufsicht wächst in den Banken die Bürokratie und damit der Kostendruck. „Kredite werden teurer und Gebühren werden steigen“, sagt Sparkassenpräsident Peter Schneider im Interview.

- Herr Schneider, wann waren Sie das letzte Mal in einer Sparkassen-Filiale und warum?
Letzte Woche war ich als Kunde in einer Filiale, um Bargeld zu holen. Denn ich gehöre immer noch zu denen, die Bargeld einer Kartenzahlung vorziehen.
War viel los in der Filiale?
Nein, ich war ganz allein. Die Mitarbeiter konnten sich ganz mir widmen.
Hat EU-Kommissar Oettinger Recht, wenn er sagt: „Wir brauchen Bankdienstleistungen – nicht unbedingt Banken“?
Wir brauchen in der Zukunft Banken mit anderen Bankdienstleistungen, aber ich glaube nicht, dass wir Bankdienstleistungen bekommen ohne Banken – zumindest nicht dauerhaft und nicht für die große Mehrzahl der Menschen.
Was meinen Sie mit anderen Bankdienstleistungen?
Die Menschen wollen die Bequemlichkeit und die Schnelligkeit des Internets. Das müssen wir als Sparkassen auch bieten, damit die Leute die Filiale in der Tasche haben. Aber wenn es etwa um ihre Immobilienfinanzierung oder die Absicherung des Alters geht, suchen sie das vertrauensvolle Gespräch mit einem Spezialisten in der Filiale. Beides zu bieten ist unsere Strategie.
Junge IT-Firmen bieten Überweisungen, Kredite, Anlagekonzepte im Internet. Wenn Banken zunehmend im Internet ihren Kunden begegnen, was macht den Unterschied?
Die Güte einer Bankdienstleistung zeigt sich erst im Störungsfall. Der Kunde weiß bei manchen Anbietern im Internet nicht: Wer steht dahinter, wer sichert mir meine Einlagen, was machen die mit meinen Daten, wie finanzieren die ihr Angebot? Ich sehe nicht, dass das für die ganz überwiegende Mehrzahl von Menschen eine gute Alternative ist.
Die BW-Bank schließt bis 2020 jede vierte Filiale, um auf die Niedrigzinsphase und die Wettbewerber aus dem Internet zu reagieren. Andere Häuser sind auch radikal vorgegangen.
Wir haben im gesamten Bankgewerbe vor allem durch die Niedrigzinsphase einen enormen Kostendruck. Er entsteht, weil das Zinsergebnis – die Haupteinnahmequelle von Banken – schrumpft und den überwiegenden Teil der Kosten einer Bank nicht mehr abdeckt. Banken sind gezwungen, Kosten einzusparen oder Gebühren zu erhöhen. Die BW-Bank wird auch in Zukunft immer noch ein sehr dichtes Filialnetz in Stuttgart haben. Aber heute wickeln die Kunden viele Alltagsgeschäfte online ab. Wegen einer Beratung suchen die Kunden im Schnitt eine Filiale wenige Male im Jahr auf. In diesen Fällen sind künftig ein paar Hundert Meter weiterzugehen. Das halte ich für eine moderate Weiterentwicklung entlang der Kundenwünsche.
Wie wirkt sich das auf Arbeitsplätze bei LBBW und BW-Bank aus?
Die LBBW hatte vor der Finanzkrise rund 13 500 Mitarbeiter, jetzt sind es gut 11 000. Diese Zahl wird sich noch einmal spürbar verringern. Der Abbau soll aber sozial verträglich geregelt werden.
Wie groß schätzen Sie die Gefahr einer größeren Bankpleite in Europa?
Wir haben in Europa Quoten von gefährdeten Krediten, die reichen von 1,6 Prozent in Deutschland bis hin zu 30 bis 40 Prozent in einigen Ländern. Die Wahrscheinlichkeit von Bankpleiten ist daher in manchen Ländern nicht von der Hand zu weisen. Aber der deutsche Bankensektor ist sehr sicher, er ist auch durch die regulatorischen Auflagen sicherer geworden. Allerdings droht jetzt bei der Regulierung eine völlige Übertreibung.
Die EZB plant ein Kreditregister für alle Bankkredite ab 25 000 Euro. Sind die Gefahren so groß, dass sich die Zentralbank um Kleinstkredite kümmern muss?
Wozu das gut sein soll, verstehen wir nicht. Im Moment melden Banken der Aufsicht Kredite ab einer Million Euro. Künftig soll die Untergrenze bei 25 000 Euro sein. Wenn jemand mit seinen Kreditraten im Rückstand ist, sollen sogar schon Kredite ab 100 Euro gemeldet werden. Die Begründung, dass man die Wirkung der Geldpolitik besser beobachten kann, ist kaum nachzuvollziehen.
Über 100 Details sollen pro Kredit abgefragt werden. Haben die Banken diese Daten parat?
Nein, sie haben sie heute auf Knopfdruck nicht parat. Klar kann man immer noch mehr Daten erheben, aber das wäre ein Riesenaufwand.
Wenn so viel Bürokratie auf Banken zukommt, werden dann Kredite teurer?
Das ist zwingend. In den vergangenen Jahren hat die Aufsicht den Banken immer mehr und immer höhere Anforderungen gestellt. Jede einzelne Auflage ist abstrakt für sich betrachtet sinnvoll, aber in der Summe ist es total überzogen. Immer mehr Regulatorik verursacht bei den Banken Kosten, weil sie mehr Eigenkapital und mehr Personal brauchen. Das wird Kredite verteuern und Gebühren werden steigen.
Wie sehr belastet das die LBBW?
Die Landesbank erzielt in ihrem operativen Geschäft wieder solide Gewinne. Sie hat seit 15 Quartalen positive Ergebnisse. Aber die Regulatorik und die Niedrigzinsphase kosten sie mittlerweile so viel, dass ganz erhebliche Teile des Gewinns davon aufgefressen werden. Das geht nicht nur der Landesbank so, sondern allen Banken. Diese Entwicklung ist bedenklich.
Fürchten Sie eine Überlastung der Banken?
Ich befürchte, dass durch die zwei Mechanismen – Regulatorik und Niedrigzinsen – die Ergebnisse der Banken so stark unter Druck kommen, dass wir bald Banken sehen, die praktisch ohne Gewinn dastehen. Die ersten Konkurrenten verkünden, dass sie keine Dividende mehr zahlen werden, dass sie Geschäftsfelder aufgeben und einen starken Eigenkapitalbedarf haben. Überall werden Filialen in großem Stil geschlossen und Mitarbeiter abgebaut. Das ist ein Alarmzeichen.
Wo führt das hin?
Ich frage mich, ob die Politik nicht merkt, was hier passiert. Es gibt Regulierer in Brüssel, die sagen, sieben oder acht große Banken reichen für Europa. Die Amerikaner machen den regulatorischen Overkill überhaupt nicht mit und fahren wieder prächtige Ergebnisse ein. Wenn das so weitergeht, dann erledigen wir uns mit unseren regionalen Banksystemen selbst durch den bürokratischen Wahnsinn und durch diese Zinspolitik, während große Spieler weltweit dastehen und nur darauf warten, dass wir aufgeben. Die freuen sich auf den deutschen Markt mit all der mittelständischen Kundschaft. Das ist das große Spiel, das hier läuft.
Aber die Kunden schätzen doch die hohe Sicherheit des deutschen Bankensystems.
Ja, aber auch die ist in Gefahr. Wenn die Kommission sich mit der geplanten europäischen Einlagensicherung durchsetzt, dann ist unser Alleinstellungsmerkmal mit unserer Topsicherheit, die wir heute haben, dahin. Dann schaut der Kunde, wo er in Europa die günstigsten Konditionen erhält. Der Sicherungstopf wäre ja überall gleich und dank der deutschen Banken auch noch gut gefüllt.
Was schreibt die EU-Kommission genau vor?
Alle Banken müssen seit dem Sommer 0,8 Prozent der Einlagen aller Privatkunden bis 100 000 Euro in ihren nationalen Sicherungstopf einzahlen. In Deutschland wurde das umgesetzt. Europaweit haben das aber von den 28 Staaten ganze 14 nicht umgesetzt. Das ist unglaublich. In diese Situation kommt der Vorschlag der Kommission, dass alle nationalen Sicherungstöpfe in einen gemeinsamen Topf zusammengeführt werden sollen. Im Klartext: Wir sollen jetzt unseren ordentlich gefüllten Topf abliefern.
Abgesehen davon, dass alle Staaten ihre Sicherungssysteme befüllen müssen: Was spricht dann gegen eine Gemeinschaftshaftung?
Ein Beispiel: Im Sommer standen die Menschen in Griechenland Schlange vor den Bankautomaten. Das hat die deutschen Sparer nicht berührt, weil es keine Verbindung gab. Wenn wir morgen in einem Haftungssystem mit anderen europäischen Banken sind, dann ist die Psychologie des deutschen Sparers eine völlig andere. Dann würde er sofort seine Ersparnisse abheben, wenn europäische Banken in Gefahr sind. Denn der gemeinsame Sicherungstopf wird womöglich geleert. Die Brandmauern zwischen den europäischen Ländern, die wir heute haben, fallen dann sofort. Ich warne entschieden davor, das zu tun. Wir werden uns auch mit allen Mitteln dagegen wehren.
Warum drückt die EU-Kommission bei dem Thema so aufs Tempo?
Die griechischen Banken haben nach wie vor zu wenig Eigenkapital und andere Banken – größere als in Griechenland – aus anderen europäischen Ländern kommen wohl hinterher. Um es klar zu sagen: Wenn sich der Vorschlag der Kommission durchsetzen würde, dann stünden wir vor einem milliardenschweren Transfer ohne ausreichende rechtliche Grundlage.