Gernot Erler zählt zu den profiliertesten Kennern der Kreml-Politik im Bundestag und ist Russland-Beauftragter der Bundesregierung. Foto: dpa

Vor der Russland-Reise der Kanzlerin zeichnet der Russland-Experte Gernot Erler ein düsteres Bild. Reden müsse man trotzdem mit Moskau, es bleibe ja nichts anderes übrig. Denn ohne Russland lässt sich keine Krise und kein Krieg beenden, nicht in der Ukraine, nicht in Syrien.

Berlin - Gernot Erler zählt zu den profiliertesten Kennern der Kreml-Politik im Bundestag und ist Russland-Beauftragter der Bundesregierung.

Herr Erler, Kanzlerin Angela Merkel reist nach Russland. Wie würden Sie das deutsch-russische Verhältnis aktuell beschreiben?
Wir erleben die tiefste Krise seit Ende des Kalten Krieges, besonders sichtbar an dem Ukrainekonflikt. Und trotzdem bleibt die Bundesregierung bei ihrem Ansatz, zwar eine klare Position in Sachen Krim und Ostukraine zu bewahren, aber weiter auf einen fairen Meinungsaustausch mit Russland zu setzen.
Lässt sich das im Wahlkampf durchhalten? Die Positionen von SPD und Union sind nicht deckungsgleich.
Wir reden hier über einen gemeinsamen europäischen Lösungsansatz, und Deutschland trägt da eine besondere Verantwortung. Insofern können wir es uns als SPD gar nicht leisten, diese Politik im Wahlkampf infrage zu stellen oder einen Sonderweg zu gehen. Unsere europäischen Nachbarn erwarten, dass wir weiter im sogenannten Minsk-Prozess eine prägende Rolle spielen.
Was kann Merkel vor diesem Hintergrund überhaupt erreichen, von einem Händedruck Putins abgesehen?
Das wird kein Termin sein, bei dem man nur auf die Bilder aus ist, sondern beide haben sich ein umfangreiches Arbeitsprogramm verordnet, auch bereits mit Blick auf das G-20-Treffen im Juli in Hamburg. Es wird die ganze Palette internationaler Konflikte zur Sprache kommen.
Reden ist gut. Wie aber bewegt man Putin, etwa zur Ukraine konstruktiv zu werden?
Das Problem ist, dass die russische Seite wiederholte Zusagen immer wieder gebrochen hat. Die 13 Punkte des Minsker Abkommens vom Februar 2015 sind noch immer nicht umgesetzt, der Waffenstillstand wird nicht eingehalten, auch nicht von der ukrainischen Seite, die schweren Waffen sind noch immer nicht abgezogen. Das zwingt uns dazu, immer wieder aufs Neue auf die Einhaltung der Minsker Vereinbarungen zu pochen, denn ein anderes Fundament, auf dessen Basis man verhandeln könnte, gibt es nicht.
Ist auch nur annähernd eine Situation erkennbar, die eine Lockerung der Sanktionen rechtfertigen würde?
Die russische Seite weiß ganz genau, dass das von der Umsetzung des Minsker Abkommens abhängt. Eine Rückkehr zur Normalität ist nur möglich, wenn Russland sich an seine Zusagen hält.
Bleibt Europa in dieser Frage geeint?
Im Vorfeld von Sanktionsentscheidungen waren zwar stets konträre Meinungen zu hören, aber am Ende hatte die EU immer geschlossen gehandelt. Sicher auch, weil alle wissen, dass ohne eine solche Demonstration der Handlungsfähigkeit die EU vollständig an Bedeutung verlieren würde.
Wann steht denn eine weitere Verlängerung an?
Die Entscheidung muss bis Ende Juli getroffen sein, weil sonst die Sanktionen auslaufen würden. Dazu ist allerdings erneut ein 28:0-Beschluss der Mitgliedstaaten notwendig. Das hat die EU bisher immer geschafft – ich bin auch diesmal zuversichtlich.
Zu Syrien. Was könnte Putin dort veranlassen, konstruktiver an einer Friedenslösung mitzuarbeiten?
Das Thema wird die Kanzlerin ansprechen, weil wir auf dem Weg zu einer Friedenslösung einfach nicht vorankommen, trotz aller Bemühungen der Vereinten Nationen und der Versuche der russischen Seite, in Astana mit der Türkei und dem Iran eine Lösung zu entwickeln. Die Kämpfe gehen dennoch weiter, eine Tragödie für das syrische Volk. Deshalb muss man über neue, breiter aufgestellte Gesprächsformate versuchen, auf den Pfad der Verhandlungen zurückzufinden. Ohne Russland geht das nicht.
Aber warum sollte Russland das tun?
Ich kann nicht erkennen, dass es im russischen Interesse ist, dass sich der Krieg ewig hinzieht. Denn auch Moskau weiß, dass militärisch der Konflikt nicht zu beenden ist. Man darf davon ausgehen, dass auch Putin rechnen kann. Und auf Dauer wird das russische Engagement nicht nur infrage gestellt durch ein mögliches Scheitern, sondern auch durch die enorm hohen Kosten. Das Selbstbewusstsein, das sehr lange durchhalten zu können, ist allerdings groß, und es wird unterfüttert durch eine Konsolidierung der wirtschaftlichen Situation. Offenbar ist die ökonomische Talsohle durchschritten. Solange es keinen dramatischen Verfall des Gas- und Ölpreises gibt, wird die Handlungsfähigkeit Moskaus ökonomisch nicht entscheidend eingeschränkt.