Redet gerne über Fußball, Schlager, Sex und anderes: Rainer Moritz. Foto: Gunter Glücklich

Rainer Moritz hat seine schwäbische Heimat zwar schon lange verlassen, keineswegs aber vergessen. Sein neues Buch widmet sich wieder dem Südwesten. Ein Gespräch über Andrea Berg, Kommissar Bienzle und das Gute an Klischees.

Heilbronn/Hamburg - Wenn man es weiß, kann man es noch hören: Er ist Schwabe. 20 Jahre fern von Baden-Württemberg haben Rainer Moritz den Dialekt, den er gerne bespöttelt, nicht ganz austreiben können. Der Mann aus Heilbronn ist dennoch weit gekommen. Er gilt als einer der wichtigsten Akteure der deutschen Verlags- und Literaturlandschaft. Aktuell leitet er das Literaturhaus in Hamburg, wo ihm der Senat im vergangenen Jahr den Ehrentitel Professor verlieh. Seiner Zuneigung zu Baden-Württemberg tut das keinen Abbruch. Er freut sich sogar, wenn er schwäbische Schimpfworte hört.

Herr Moritz, Sie haben ein Buch geschrieben über „Helden des Südwestens“. Keines der 42 Kapitel handelt von Ihnen. Haben Sie sich vergessen?
Das ist die natürliche Bescheidenheit, die ich mir auferlegt habe. Im Ernst: Wir wollten ein Buch machen über das, was das Bild von Baden-Württemberg ausmacht, was unweigerlich dazu gehört, was Fremde damit verbinden. Unsere Auswahl reicht von Caro-Kaffee bis zu Harald Schmidt. Ich habe da nichts verloren.
Sie haben als junger Mann fast jedes Wochenende auf Dorfplätzen in Baden und Württemberg Kreis- und Bezirksligakicks gepfiffen – ist das nicht heldenhaft gewesen?
Das habe ich sehr, sehr gerne gemacht. Leider musste ich nach acht Jahren aufhören, weil sich das Pfeifen mit dem Studium nicht mehr vereinbaren ließ. Doch noch heute ist es so, dass ich in so ziemlich jedem Ort in Württemberg den Sportplatz kenne, auch wenn ich von dem Dorf sonst nichts weiß. Bretzfeld, Gailenkirchen, Weikersheim – dort war ich 19-dazumal und habe ein bedeutendes Kreisliga- oder Bezirksligaspiel gepfiffen. Das Schiedsrichter-Sein hat mir sehr viel von württembergischen Landstrichen und vom Dorfleben nahe gebracht. Das war prägend für mich.
 
 

Rainer Moritz liest ein Kapitel aus seinem Buch vor:

 
 
Sie haben Ihre Heimatstadt Heilbronn schlimm beleidigt, indem Sie sie „stadtgewordener Rudolf Scharping“ nannten. Da gehörte auch was dazu, oder?
Heilbronn hat – oder hatte? – nun mal das Schicksal, ähnlich wie Hannover und Bielefeld, dass es gerne genannt wird, wenn es bei mittelgroßen Städten etwas zu verhöhnen gibt. Deshalb durfte es in der Buchreiche „Öde Orte, ausgewählte Stadtkritiken“ nicht fehlen, die wir damals bei Reclam Leipzig entwickelt haben. So kam es, dass ich diesen Text mit dem Satz vom stadtgewordenen Rudolf Scharping geschrieben habe. Das liegt jetzt fast 20 Jahre zurück, und ich habe mich mit anderen, freundlicheren Büchern der Stadt immer wieder angenähert. Im Januar dieses Jahres durfte ich sogar beim Empfang des Oberbürgermeisters für verdiente Heilbronner die Festrede halten. Man scheint mir verziehen zu haben.
Sie haben Andrea Berg ein Kapitel gewidmet. Warum ist sie eine Heldin für Sie?
Der Begriff Held meint nicht automatisch, dass alles, was ich beschreibe, von mir geliebt wird. So wie ich Caro-Kaffee nicht wahnsinnig gerne trinke, muss ich auch Tony Marshall, Gotthilf Fischer oder Andrea Berg nicht permanent lieben. Aber man muss anerkennen, dass auch sie die Marke Baden-Württemberg repräsentieren. Und speziell bei Andrea Berg muss man anerkennen – egal, ob man sie ganz schrecklich, halb schrecklich oder gut findet –, dass sie als Schlagersängerin seit 20 Jahren solch einen Erfolg hat, dass er erst jetzt durch Helene Fischer getoppt wird. Dass nicht alle Sub- und Objekte ganz ohne Hohn und Spott wegkommen, gehört zum Charakter des Buchs. Andererseits gibt es darin auch Texte, denen man hundertprozentige Sympathie anmerkt.
Sie meinen Kommissar Bienzle!
Ja, der ist ein ganz klassischer solcher Fall. Ich bin immer noch tief beleidigt, dass die Folgen mit ihm so selten oder gar nicht wiederholt werden.
Warum das denn?
Sie haben auf mich eine ungeheuer beruhigende Wirkung. Wenn ich abends nach 23 Uhr nach Hause komme und noch ein Glas schweren Lemberger trinke, dann will ich die letzte dreiviertel Stunde des Tages überhaupt nichts Komplexes im Fernsehen sehen. Dann bin ich sehr froh, wenn ich alte Tatort-Folgen entdecke. Bienzle habe ich immer geschätzt, weil er so etwas wahnsinnig Altmodisches hat, man merkt die Feder von Felix Huby.