„Fehler im Krisenmanagement“: Der ehemalige CSU-Politiker Peter Gauweiler im Gespräch mit den Stuttgarter Nachrichten Foto: dpa

Euro-Rettung, TTIP-Abkommen, Flüchtlingskrise: Deutschland beschädigt sich selbst, sagt der ehemalige CSU-Vize Peter Gauweiler. Ein Gespräch über Chancen und Regeln.

München - Herr Gauweiler, kurz vor den Fastnets-Tagen gab es Zeugnisse in den Schulen. Welche Note würden Sie denn den politisch Handelnden in Deutschland derzeit geben?
Noten geben ist nicht meine Aufgabe. Richtet nicht, damit Ihr nicht gerichtet werdet.
Aber die politische Lage in Deutschland werden Sie bewerten können.
Die Lage ist perplex. Die einen weisen auf unsere guten Wirtschaftszahlen hin, die ja unbestreitbar sind, die anderen auf eine Reihe wichtiger Entscheidungen, die in der Summe als Selbstbeschädigungen gewertet werden müssen.
Was meinen Sie damit?
Sogenannte Euro-Rettung, Militäraktionen, TTIP-Abkommen, Flüchtlingskrise. Beide Seiten, also die Regierenden wie Ihre Kritiker, sprechen von einer gewaltigen Herausforderung. Man könnte es – angesichts der allseits bestehenden Zweifel -auch so sagen: Wir alle spüren ein Beben des Bodens.
Unbestritten herrscht Verunsicherung in Deutschland. Was hätte man aus Ihrer Sicht anders machen sollen?
Sich an die vereinbarten Regeln halten und diese nicht ständig brechen. Nehmen Sie als Beispiel den Euro. Da gibt es klare Stabilitätsrichtlinien, die bei der Abschaffung der D-Mark fest vereinbart wurden. Nur, sie werden einfach nicht eingehalten und damit faktisch außer Kraft gesetzt. Oder nehmen Sie die immer mehr um sich greifenden Militärinterventionen der Bundeswehr in aller Welt. Im Grundgesetz ist klar geregelt, dass der Bund Streitkräfte nur zur Selbstverteidigung aufstellen darf oder zur Verteidigung im Bündnis des Nordatlantikpakts . Aber dieses Bündnis schloss niemals Ex- Jugoslawien oder Afghanistan und jetzt neuerdings Syrien und Mali ein. Oder das Beispiel Flüchtlinge. Auch hier empfehle ich einen Blick ins Grundgesetz. Asyl ist Menschen zu gewähren, die politisch verfolgt sind, aber ausdrücklich nicht denen, die sich schon in der Europäischen Union aufhalten. Ich frage mich zunehmend, für was es ein Schengen-Abkommen über die Kontrollen an Außengrenzen in der EU gibt, wenn es nur auf dem Papier steht. Aus meiner Sicht gibt es für alles das nur eine Erklärung: Die politische Elite in Berlin ist sich bei aller Zerstrittenheit offenbar einig darin, dass das Einhalten gesetzlicher oder internationaler Regeln in ihrem freien Ermessen steht.
Wo führt die Entwicklung hin? Ist der Aufschwung rechtspopulistischer Parteien wie der AfD ein Beleg, dass da vieles aus dem Ruder gelaufen ist?
Die Verwaltung ist an Recht und Gesetz gebunden. Wenn diese Bindung von der Exekutive immer weniger genau genommen wird, und das Parlament dies auch noch duldet, reißt die andere Bindung: Zwischen Bevölkerung und Obrigkeit, die auch im modernen Staat unerlässlich ist. Also muss man dieser Überdehnung ein Ende machen.
Und wie?
Nun ja, im Zusammenhang mit der Euro-Debatte sind wir ja gerade dabei, mit Hilfe der dritten Gewalt im Staate - des Bundesverfassungsgerichts- die Linie wieder sichtbar zu machen. Das Gericht in Karlsruhe hat die Maßnahmen der Draghi – EZB ja schon mit den Worten kritisiert, das sei „außerhalb der bestehenden Verträge“. Die Sache wird noch in diesem Monat in Karlsruhe verhandelt. Ich hoffe sehr, dass die Geschäftsgrundlage des Euro wieder hergestellt wird. Offenbar braucht es immer öftergerichtliche Hilfe , um der Politik klar zu machen, dass sie auf dem Holzweg ist. Dabei würde die Einhaltung des nationalen und internationalen Regelwerks dem öffentlichen Interesse viel besser dienen, als das Bauchgefühl von Politikern und Medien. Und die Voraussetzung für den supranationalen kontinentalen Ausgleich ist die vorherige Definition der eigenen Interessen. Wer nämlich die ganze Welt umarmen will und die eigenen Leute vergisst, handelt inhuman, selbst wenn er das Gegenteil behauptet.
Verstehen Sie, dass immer mehr Bürger das Gefühl haben, die Politik packt das alles nicht.
Man hat so ein bisschen das Problem, dass der missratene Berliner Flughafenneubau zum Synonym für Politikmachen in Deutschland geworden ist. Der Philosoph Karl Popper hat gesagt: Alle Politik ist Problemlösen. Viele Menschen, die sich derzeit abwenden,haben heute den umgekehrten Eindruck: Alle Politik ist im Moment, neue Probleme zu schaffen. Mir kommt der politische Zirkus in Berlin gerade so vor, als ob Jongleure, die ihre vier Kugeln pausenlos fallen lassen, eine fünfte und sechste von der Assistentin verlangen.
Wie gefährlich ist die Entwicklung für Deutschland?
Am gefährlichsten ist die Entscheidungs-Unlust des Parlaments. Der derzeitige unkontrollierte Grenzübertritt folgt Ausnahmeregelungen die nie parlamentarisch beschlossen und bekannt gegeben worden sind. Bei der EURO- Rettung wurde ähnliches versucht. Ich habe mein Bundestagsmandat niedergelegt, weil ich keinen Beitrag für die Aufrechterhaltung dieser Fassade mehr leisten wollte und die Aufgabe als Volksvertreter und stellvertretender CSU-Vorsitzender nicht mehr glaubwürdig führen konnte. Ein politischer Mensch bleibt man aber, bis man stirbt.
Haben Sie Verständnis für Ihren Parteifreund Horst Seehofer, der einen Parallelkurs zur Kanzlerin fährt und beim russischen Präsidenten Putin war?
Seehofer hat in dieser Sache völlig recht. Die Politik der Sanktionen gegenüber Russland war und ist falsch. Schon 1990 ist unsere Jacke im Verhältnis zu Russland falsch eingeknöpft. Bisher hat sich für Mittel – und Osteuropa die EU nicht als ein solcher Erfolg dargestellt, den man sich erhofft hatte. Als Beispiel können Sie Bulgarien, Rumänien oder die Staaten am Balkan nehmen. Schuld sind aber nie Brüssel und wir selbst, sondern immer die anderen. Wenn ich mich an die Dynamik unmittelbar nach dem Fall des Eisernen Vorhangs erinnere: Dass wir in den 90er-Jahren sogar überlegt haben, den Transrapid von Berlin über Warschau und Minsk nach Moskau zu bauen, also eine echte verkehrliche Wiedervereinigung des europäischen Erdteils zu betreiben. Trotz aller Milliarden die geflossen sind, hat ein Wirtschaftswunder, das diesen Namen verdient, in Mittel- und Osteuropa nicht stattgefunden. Immer mehr Menschen wollen diese Länder nur noch verlassen. Was einen weltweiten Aufschwung gefunden hat, ist dagegen das amerikanische Investmentbanking mit seinen weltweiten Luftbuchungen zu Lasten der Realwirtschaft. Da ist etwas furchtbar schief gelaufen.
Horst Seehofer spielt nun den, der alles repariert?
Er versucht schon , den Kurs zu ändern. Es ist doch ein Irrwitz, Russland von den Entwicklungen in Europa auszusperren. Seehofers Besuch war ein Protest gegen diese Politik. Man muss Russland einbinden, nicht ausgrenzen. Aber natürlich war sein Besuch auch ein Spagat , weil die CSU ja auch Regierungspartei in Berlin ist. Ich bin froh, dass er sich das Herz genommen hat, nach Moskau zu fahren. Jene, die jetzt über ihn herfallen, sind die Gleichen, die an der Verschärfung der Krise mitgearbeitet haben.
Werden die drei Landtagswahlen am 13. März über das Schicksal der Kanzlerin und das der Großen Koalition entscheiden?
Die Lage ist so ernst, dass viele sagen, wir bräuchten eine überparteiliche Koalition, wenn wir diese nicht schon hätten. Da läuft ja auch manches auch gut, zum Beispiel die Entschärfung der Iran-Krise durch Bundesaußenminister Steinmeier und die Kanzlerin. Das zeigt dann wieder, wie Lösungen durchaus möglich werden, wenn die Kräfte konstruktiv und nicht destruktiv wirken.
Baden-Württembergs Ministerpräsident Kretschmann sagt, vielen sei gar nicht bewusst, dass die Krise hinter der Krise immer dramatischer wird, also dass die Flüchtlingsproblematik die grundlegende europäische Krise überdeckt. Sehen Sie das auch so?
Da hat er völlig Recht. Hinter allem steckt natürlich die Frage, was für ein Europa wollen wir. Aber was man europäische Politik nennt, steht gleichwohl aktuell vor dem Scheideweg: Entweder werden die Ballungszentren zwischen Athen und Dortmund zu einer Art Bronx - wie New York in seinen schlimmsten Jahren - oder die Politik geht mit Interessen der eigenen Bürger besser um als zuletzt, stellt die Schutzfunktion der Grenzen wieder her und sorgt für eine wirkliche Integration der Fremden, die schon im Land sind Nehmen Sie als Beispiel, wo sofort etwas getan werden muss, die Arbeitswelt. Beim deutschen Staat darf man bekanntlich alles, nur nicht arbeiten, wer als Immigrant ins Land kommt. Man müsste von den Leuten doch eher verlangen, dass sie sofort jede Arbeit, die ihnen möglich ist, aufnehmen. Und die vielen, die keinen Arbeitsplatz finden, muss der Staat sofort in einem soziales Jahr organisieren. Wenn viele hunderttausend junge Männer aber monatelang nur auf ihr Verfahrenwarten müssen und nur herumsitzen dürfen, ist der Aufbau von Spannungen eigentlich unvermeidlich.
 

Zur Person

Gauweiler wurde am 22. Juni 1949 in München geboren.

Der promovierte Jurist und CSU-Politiker war ab 1986 Staatssekretär im Bayerischen Staatsministerium des Innern, von 1990 bis 1994 Bayerischer Staatsminister für Landesentwicklung und Umweltfragen.

Von 2013 bis 2015 war Gauweiler stellvertretender Vorsitzender seiner Partei.

Am 31. März 2015 trat er von seinem Amt als zurück. Sein Mandat als Bundestags-abgeordneter legte er ebenfalls nieder.