Stefan Mappus Foto: ddp

Stuttgart 21 - das beherrschende Thema des Sommers treibt auch den Ministerpräsidenten um.

Stuttgart - Stuttgart 21 - das beherrschende Thema des Sommers 2010 und folglich auch unseres Sommerinterviews mit Ministerpräsident Stefan Mappus (CDU). Nach seiner Rückkehr aus dem Urlaub sprachen wir mit dem Regierungschef über den Aufruhr in der Landeshauptstadt.

Herr Ministerpräsident, Sie waren im Urlaub in Kärnten. Haben Sie im österreichischen Fernsehen Bilder aus Stuttgart gesehen?

Nein, es war dort nicht zu empfangen. Aber ich hatte natürlich intensiven Kontakt zu meinen Mitarbeitern. Insofern ist mir nicht verborgen geblieben, wie sich das entwickelt hat.

Was geht Ihnen durch den Kopf, wenn wie am Freitag mehr als 30 000 Bürger gegen Stuttgart 21 demonstrieren?

Es ist sichtbar, dass das Thema viele Menschen bewegt, und Politik ist auch dazu da, Stimmungen aufzunehmen. Deshalb ist jeder in der Landespolitik gut beraten, sich Gedanken zu machen, wie ein Dialog angestoßen werden kann. Es bringt ja nichts, wenn man dreimal in der Woche die Stadt lahmlegt. Deshalb habe ich am Sonntag vor einer Woche Kontakt zu Grünen-Fraktionschef Winfried Kretschmann aufgenommen, dem die eine oder andere Entwicklung ebenfalls nicht gefällt. Wir haben uns zu Wochenbeginn getroffen und waren uns einig, dass die Menschen zu Recht erwarten, dass man miteinander spricht. Diesen Dialog wollen wir führen - und zwar ohne Vorfestlegung. Das habe ich mit Herrn Kretschmann vereinbart.

Einige Gegner erwarten zuvor einen Baustopp . . .

Einen Dialog führt man nicht, indem man erst mal Hürden aufbaut. Es gibt keinen Baustopp. Ich sage ja auch nicht, es darf jetzt in Stuttgart ein Jahr lang nicht mehr demonstriert werden.

Bahn-Chef Rüdiger Grube sagte unserer Zeitung jüngst, es gebe im Kern nichts zu verhandeln. Was hat der Runde Tisch für einen Sinn, wenn sich an den Grundpositionen nichts verändert?

Ich möchte versuchen, die Menschen mit guten Argumenten zu überzeugen. Wir dürfen uns nichts vormachen: Die Träger des Projekts haben in der Kommunikation in den vergangenen 15 Jahren vieles falsch gemacht. Nun kann ich nicht Versäumnisse aus 15 Jahren nachholen, aber ich will erreichen, dass bei den Menschen das Gefühl verschwindet, es werde über ihre Köpfe hinweg entschieden. Ich möchte, dass die Bürger bei den vielen noch anstehenden Entscheidungen beteiligt werden - Stichwort Gestaltung der frei werdenden Flächen. Denn ich glaube, dass es bei vielen gar nicht um die Frage Stuttgart 21 geht, sondern um die fehlende Beteiligung. Ich habe Oberbürgermeister Wolfgang Schuster vergangene Woche gebeten, alles dafür zu tun, dass er jetzt mit allen Gemeinderatsfraktionen Kontakt aufnimmt, damit rasch geklärt wird, wie dieser Beteiligungsprozess gestaltet werden kann. Das ist jetzt zentral.

Geht es dabei nur um die Frage, was mit den frei werdenden Flächen passiert, oder wird auch nochmals grundsätzlich über den Bahnhof diskutiert?

In erster Linie geht es um all das, wa s bisher noch nicht entschieden ist. Der Bau von Stuttgart 21 ist begonnen, ich halte das Projekt für sinnvoll, wir stehen dazu, aber ich stelle fest, dass es noch viele offene Fragen gibt.

Ein Runder Tisch mit den Gegnern

Zielt Ihr Gesprächsangebot darauf ab, di eProtestbewegung gegen Stuttgart 21 zu spalten, indem Sie einen Teil der Gegner in den Dialog einbeziehen, die anderen, radikaleren, aber aussparen?

Ich will nicht spalten. Im Moment haben wir aber eine Spaltung. Mich erreichen unzählige Zuschriften, in denen Bürger schreiben, Stuttgart 21 ist richtig, bleibt bitte standhaft. Ich bekomme auch viele Zuschriften, in denen es heißt, es geht nicht, dass die Taxis nicht mehr fahren, dass wir nicht mehr zum Einkaufen kommen. Ich will das Gegenteil von Spaltung, ich will möglichst viele Bürgerinnen und Bürger einbinden.

Wie stellen Sie sich den Runden Tisch vor?

Mir gefällt der Begriff Runder Tisch nicht, weil er impliziert, dass da nur vier oder fünf Leute sitzen. Ich will nicht, dass bei den Bürgerinnen und Bürgern der Eindruck entsteht, da sitzen dieselben, die auch im Landtag zusammensitzen. Ich möchte, dass Menschen beteiligt werden, die nicht im Landtag sind.

Wie erfolgt die Auswahl? Wer ist IhrGesprächspartner?

Das überlasse ich ein Stück weit Winfried Kretschmann. Er wird Vorschläge machen, wer vonseiten der Projektgegner dazukommt. Ich bin nicht bereit, mich mit Gewalttätern und Gesetzesbrechern an einen Tisch zu sitzen, mit allen anderen sehr wohl.

Ist für Sie eine Situation vorstellbar, wo Siesagen, das Projekt wird nicht realisiert.

Da müsste es Gründe geben, die Stand heute jenseits meines Vorstellungsvermögens sind. Vieles was in den vergangenen Wochen behauptet wurde, ist längst ausdiskutiert.

Können weitere Kostensteigerungen solche Argumente sein?

Die sehe ich nicht. Die letzte konkrete Berechnung ist Ende 2009 erfolgt - mit vielen Posten, die damals eher hoch angesetzt waren - Stichwort Stahlpreis. Ich spiele mit offenen Karten. Wenn es etwas Neues gibt, kommt das sofort in die Öffentlichkeit.

Der Stuttgarter Oberbürgermeister verschließt das Rathaus. Und während er im Alten Schloss das Weindorf eröffnet, rütteln draußen die Leute am Gittertor. Eine Situation, die an Aufruhr erinnert. Wird Schuster seiner Rolle als Oberbürgermeister von Stuttgart noch gerecht.

Ich will ihn da in Schutz nehmen. Herr Dr. Schuster ist im Moment in einer schwierigen Situation, deshalb muss man alles dafür tun, dass die Stimmung entschärft wird. Ich setze darauf, dass der OB intensiv an dem Dialog teilnimmt.

Wie wirkt sich Stuttgart 21 auf die Landtagswahl aus?

Einer der Hauptkommunikatoren ist Wolfgang Drexler, SPD, der auch parteiinternheftig unter Beschuss geraten ist. Haben Sie die Befürchtung, dass die SPD bei demProjekt von der Fahne geht?

Ich hebe die Arbeit von Wolfgang Drexler ausdrücklich hervor. Man darf ja auch nicht vergessen, dass er diese Aufgabe ehrenamtlich ausübt. Da gehört schon jede Menge Charakterfestigkeit und Rückgrat dazu. Was die SPD betrifft: Die entscheidenden Leute dort stehen zu Stuttgart 21.

Passt Stuttgart 21 überhaupt noch in unsere Zeit? Ist die Zeit über das Großprojekt hinweggegangen? Ein Hauptargument der Gegner.

Die Gegner müssen aufpassen, dass Ihre Argumentation noch stringent ist. Die Vorbereitung hat nicht 15 Jahre gedauert, weil die Planer 15 Jahre am Reißbrett standen, sondern weil das Projekt von den Gegnern durch alle Rechtsinstanzen gejagt wurde, weil es weit über 10 000 Einwendungen gab, die alle einzeln abgearbeitet werden mussten. So viel zum Thema Bürgerbeteiligung. Übrigens: 1998, als die Planung in Stuttgart und Untertürkheim noch eine Hochtrasse vorsah, hat man aufgrund von massiven Bürgerprotesten diese Trasse weggenommen und unter die Erde verlegt. Jetzt ist genau diese Trasse Bestandteil von K 21, dem Gegenentwurf der Projektgegner. Da fängt es dann wirklich an, perfide zu werden.

Wie viel Prozentpunkte kostet Sie Stuttgart 21 bei der Landtagswahl?

Die große Mehrheit der Baden-Württemberger sieht das Projekt differenziert, und mir scheint, dass sie es nachvollziehen kann. Deshalb glaube ich nicht, dass Stuttgart 21 für die Wahl relevant ist. Mehr Sorgen mache ich mir über die Form der CDU auf Bundesebene.

Ein Blick zehn Jahre voraus. Gilt dann: oben geblieben, oder wird unten durchgefahren?

Ich schließe mich nicht dem Slogan an "Oben bleiben", sondern würde mal sagen: Runterkommen von den Bäumen. Dann kann man auch vermitteln, welche grandiosen Möglichkeiten Stuttgart 21 für die Stadtentwicklung bietet. Ken Young, einer der weltweit renommiertesten Architekten, hat letzte Woche Kontakt mit uns aufgenommen und vorgeschlagen, eine Öko-City zu schaffen, etwas Einmaliges in Deutschland. Mit ihm sind wir jetzt in Kontakt.

Sie begeben sich auf Werbetour für dieLandes-CDU, die in Umfragen so schlechtdasteht wie noch nie. Gehen die 37 Prozent auch auf Ihr Konto?

Ich habe im März eine Umfrage in Auftrag gegeben, da lag die CDU in Baden-Württemberg bei 43 Prozent. Zwei Monate später bescheinigt uns eine von der SPD in Auftrag gegebene Umfrage 37 Prozent. Ich wüsste nicht, was wir in den zwei Monaten so falsch oder anders gemacht hätten, dass wir sechs Prozent verlieren. Meine Erfahrung ist, dass die CDU im Land fünf bis sechs Prozent über dem Ergebnis im Bund erreichen kann, wenn es sehr gut läuft.

Über Röttgen und Merkel

CSU-Chef Horst Seehofer macht den Modernisierungskurs der Bundeskanzlerin für denAnsehensverlust der Union verantwortlich. Sehen Sie das genauso?

Nein, die Ursache sehe ich zu 98 Prozent in der katastrophalen Kommunikation, der mangelnden Geschlossenheit, im Stimmengewirr und in den fehlenden Entscheidungen im ersten Dreivierteljahr der Berliner Koalition.

Haben Sie nicht selbst mit Ihrer energiepolitischen Fehde mit Umweltminister Norbert Röttgen zum negativen Bild beigetragen?

Sie sollten nicht Ursache und Wirkung verwechseln. Wenn der Koalitionsvertrag zur Atompolitik zügig umgesetzt worden wäre, wonach wir die Laufzeit der Kernkraftwerke verlängern, um noch mehr für den Ausbau der erneuerbaren Energien tun zu können, hätte es diesen Streit nie gegeben.

Gehen Sie nun als Sieger aus dem Streithervor? Die Bundeskanzlerin spricht ja aktuell von einer Laufzeitverlängerung von zehn bis 15 Jahren.

Mir geht es nicht um Sieg oder Niederlage, sondern um die Sache. Deshalb bin ich froh, dass das jetzt so entschieden ist. Ich habe immer gesagt, dass ich eine Verlängerung von zehn bis 15 Jahren für sinnvoll halte. Es gibt auch Überlegungen, ältere Reaktoren aus politischen Gründen etwas kürzer, neuere etwas länger laufen zu lassen. Da bin ich flexibel. Ich will nur, dass es jetzt entschieden wird.

Die Energiekonzerne haben zuletzt mit einer Anzeigenkampagne kräftig Druck auf die Bundesregierung gemacht. Lässt sich die Union erpressen?

Ich bin nicht glücklich über die Kampagne, denn der Zeitpunkt erweckt den Eindruck: Die Konzerne schalten eine Anzeige, und schon flutscht das Ganze. Jeder, der am Prozess beteiligt war, weiß aber, dass das über viele Monate lief.

Auch in der Frage, wie man die Zusatzgewinne der Energiekonzerne abschöpft, gibtes Bewegung. Rechnen Sie damit, dass die geplante Brennelementesteuer nun ganz entfällt?

Es ist für unsere Glaubwürdigkeit sehr wichtig, dass die zusätzlichen Gewinne der Energieversorger zu einem Großteil der Förderung der erneuerbaren Energien zugutekommen. Deshalb habe ich von Anfang an nicht viel von der Brennelementesteuer gehalten. Sie ist ein rein fiskalisches Instrument zur Sanierung des Bundeshaushalts.

Steuersenkungen ja oder nein?

Die Brennelementesteuer wurde auf2,3 Milliarden Euro jährlich veranschlagt. Wie viel sollten die Konzerne denn abgeben?

Mindestens 50 Prozent der zusätzlichen Gewinne müssen der erneuerbaren Energie zugutekommen. Wie das gemacht wird, da bin ich relativ offen. Entweder fließt das Geld direkt in diesen Bereich, oder die 2,3 Milliarden fließen zunächst in den Haushalt, und daraus kommt dann ein gewisser Betrag wieder zurück.

Die Koalition plant eine Steuervereinfachung. Sehen Sie angesichts des Wirtschaftsbooms auch Spielraum für Steuersenkungen?

Dieser Spielraum ist denkbar gering. Ich bin zwar nach wie vor der Meinung, dass man untere und mittlere Einkommensgruppen entlasten muss. Ich sehe den Zeitpunkt dafür allerdings noch nicht gekommen. Ich hoffe, dass das in ein oder zwei Jahren anders aussieht.

Profitiert der baden-württembergische Landeshaushalt von zusätzlichen Steuereinnahmen?

Nach der Steuerschätzung im November wollen wir Vorschläge machen, wie wir den Landeshaushalt sanieren. Wir werden das aber nicht ausschließlich mit Sparen schaffen. Man kann aus dem Haushalt zwar noch einiges herausholen, aber keine zwei Milliarden Euro. Wir brauchen deshalb auch zusätzliche Einnahmen. Wenn wir derzeit auf Steuerentlastung verzichten, kommen also die Mehreinnahmen dem Bundes- und Landeshaushalt für die Haushaltssanierung zugute.

Sollte es für Schwarz-Gelb im Land nichtreichen und die Grünen ihre momentane Stärke beibehalten, ergäben sich neue Koalitionsperspektiven. Ist Schwarz-Grün durch die Politik der Grünen bei Stuttgart 21 schwieriger geworden?

Ich habe immer gesagt, dass gute Demokraten nichts ausschließen dürfen, wenn es um Koalitionen geht. Ich habe auch ein sehr gutes Verhältnis zu Grünen-Fraktionschef Winfried Kretschmann, zwischen uns beiden gibt es keine Probleme. In der CDU ist die Stimmung gegenüber den Grünen aber generell sehr viel reservierter geworden. Das gilt auch für jene Kollegen, die eine gewisse Grundsympathie für Schwarz-Grün haben, denn sie haben das Gefühl, dass die Grünen auf dem Rücken anderer Parteien den Stuttgart-21-Konflikt mit viel Populismus austragen. Im Moment ist die Stimmung in der CDU mit Blick auf die Grünen nach meinem Eindruck auf einem historischen Tief.