Manfred Ehringer Foto: Lichtgut/Leif Piechowski

Das Wort Ruhestand kommt im Vokabular von Manfred Ehringer nicht vor. Die Pensionierung als Leiter des Staatlichen Schulamtes vor 21 Jahren bedeutete für ihn Aufbruch.

Stuttgart - Er war Leiter des Schulamtes, nebenher ist Manfred Ehringer noch bei privaten Schulen tätig. Ruhestand bedeutet für ihn: Aufbruch zu neuen pädagogischen Aufgaben und noch mehr Einsatz für den Sportverein MTV Stuttgart, dem er vorsitzt. Alles ehrenamtlich. Jetzt wurde Ehringer für sein MTV-Lebenswerk geehrt.

Herr Ehringer, wie oft haben Sie das Sportabzeichen gemacht?

Mit dieser Frage habe ich gerechnet (lacht). Als Vizepräsident des Sportkreises Stuttgart zählte die Förderung des Sportabzeichens zu meinen Aufgaben. Da musste ich natürlich mit gutem Beispiel vorangehen. Ich bin jedes Jahr angetreten, habe es aber oft aus Zeitmangel nicht vollständig abgelegt. Aber 1982 habe ich es vollständig abgelegt und 2013 wieder: in Silber. Aus dem Stand. Mit 81 Jahren.

Bei Ihrer Verabschiedung als Leiter des Staatlichen Schulamts erinnerte sich Rolf Dzillak vom Personalrat in seiner Rede an Ihre sportlichen Anforderungen: „Was hat uns der Mann herumgejagt!“

Richtig, ich habe das Sportabzeichen für Lehrer initiiert. Da haben oft 100 bis 150 Lehrer teilgenommen. Und sie waren bei Veranstaltungen wie dem Lauf um die Welt in einer Woche, dem Challenge Day, der amerikanischen Freundschafts-Rallye rund um den Bärensee oder dem Lauf für Cardiff gefordert. Ein Benefizlauf, um auch Hauptschülern Studienfahrten in die Partnerstadt Cardiff zu ermöglichen.

Sie waren von 1993 bis 2012 Präsident vom MTV Stuttgart und wurden jetzt zum 175-jährigen Bestehens des Vereins mit dem Sonderpreis für das MTV-Lebenswerk geehrt, auch weil Sie erfolgreich Gelder beschafft haben.

Der MTV war immer mehr als ein Sportverein, für viele Menschen ist er zweite Heimat, ihr Leben. Den kulturellen gesellschaftlichen Aspekt wollte ich erhalten und das von mir angestrebte Wir-Bewusstsein stärken. Dafür braucht es Sponsoren. Für den Treffpunkt der Generationen konnte ich ein Drittel der Finanzierung sichern. Und für das Projekt „Kita Fit“, die Betreuung von Kindergartenkindern, habe ich auch in die eigene Tasche gegriffen.

Sind Sie jemals Marathon gelaufen?

Nein, ich bin kein Marathonläufer.

Kann man Sie als beruflichen Marathonläufer bezeichnen? Nie einen Burn-out gehabt?

Ich habe in meinem Berufsleben nicht immer unterrichtet. Aber Lehrer-Sein ist wirklich sehr strapaziös. Es müsste ein Sabbatical, eine Auszeit, für Lehrer möglich sein.

Sie verkörpern vier Jahrzehnte Bildungspolitik in Baden-Württemberg und haben fünf Kultusminister erlebt. Unfallfrei überlebt?

Bei Wilhelm Hahn hatte ich vorsorglich auch im Sommer eine Krawatte im Schrank, er war ein feiner, sehr gebildeter Herr. Roman Herzog war pragmatisch und unproblematisch. Gerhard Mayer-Vorfelder zeigte sportlich fair Mitgefühl, wenn er mir eine Niederlage beibrachte. Bei Marianne Schultz-Hector freuten sich alle Lehrer über den anderen Umgangston. Annette Schavan ist eine hochgebildete Frau mit scharfem Verstand, da musste man sich seine Argumentation besonders sorgfältig überlegen.

Mayer-Vorfeld, MV genannt, galt als robust in Ton und Umgang. Gab es Konflikte?

Ich wollte nie nur verwalten, sondern immer auch gestalten. Das kann schon zu Kollisionen mit vorgesetzten Dienstherrn führen. Ich war ein Befürworter von Ganztagsunterricht, der von der CDU lange abgelehnt wurde. Als Kernzeiten eingeführt wurden, habe ich mich für wohnlich eingerichtete Zonen im Klassenzimmer ausgesprochen. Da ließ mich MV wissen, ich solle mich mit den Kuschelecken zurückhalten.

Viele Schulversuche brachten damals Unruhe und Konflikte. Stichworte Mengenlehre oder Gesamtschule.

Die Schule wurde von 1968 an immer mehr zum ideologischen Schlachtfeld der Politik. In der Gesamtschule Weinheim musste ich die Entscheidung von MV gegen die Fortführung verkaufen. Gegen meine Überzeugung. Die Kernfrage ist doch, wie Schule am besten pädagogisch und strukturell organisiert werden muss, um die bestmögliche Förderung der Schüler zu erreichen.

Sie waren Waldorfschüler und haben an-schließend als Erzieher von geistig behinderten und schwer erziehbaren Kindern in der Camphill-Bewegung in Schottland gearbeitet. Was ist nötig, damit Inklusion funktioniert?

Inklusion haben wir schon praktiziert, als es das Wort noch gar nicht gab. In meiner Amtszeit haben fünf Kinder mit verschiedenen Behinderungen Grund-, Haupt- und Realschulen besucht. Entscheidend ist, dass wir immer eine spezielle Betreuung gefunden haben. Nach dem Motto, das ich in Camphill verinnerlicht habe: Der Mensch bedarf des Menschen.

Aus Schottland haben Sie auch die Vorliebe für die englische Sprache mitgebracht.

Ja, darum habe ich schon im Jahr 1964 die Einführung von Englisch in der Hauptschule betreut, eine Schulfunksendung „Time for English“ selbst gesprochen und vom Jahr 1968 an den Versuch Englisch an Grundschulen geleitet.

Eine besondere Aufgabe war die schulische Versorgung der Kinder mit Migrationshintergrund. Ist die Integration gelungen?

Wir haben für alle Nationen den muttersprachlichen Unterricht organisiert. Die Lehrerschaft war ungeheuer aufgeschlossen und hat Großartiges geleistet. Ich sehe es als Aufgabe, diese jungen Menschen zu bekennenden Bürgern unseres Staats zu machen. In diesem Punkt tun sich offensichtlich ethnisch türkische Deutsche sehr schwer. Der türkische Generalkonsul gab zu meiner Verabschiedung einen Empfang.

Gerade türkischen Kindern haben Sie sich als pädagogischer Leiter der privaten, staatlich anerkannten Bil-Schulen gewidmet.

Ja, seit 15 Jahren. Ohne Vertrag und ohne einen Cent Vergütung. Mein Einsatz gilt den Kindern und damit auch unserem Gemeinwesen. Es wäre schön, wenn es dafür, über die politischen Gräben hinweg, noch ein faires Dankeschön bei einem Glas Tee gäbe.

Ans Aufhören denken Sie nicht?

Nein, mein pädagogischer Motor läuft noch rund. Sollte Ministerin Susanne Eisenmann eine Vertretung in der Schulverwaltung suchen: Ich stehe zur Verfügung (lacht).

Was würden Sie der Ministerin noch ans Herz legen?

Eine verpflichtende Fortbildung für alle Lehrer. Dabei sollte neben der Fachdidaktik auch die Kompetenz des Lehrers als Erzieher gefördert werden.