Werner Spec will dafür sorgen, dass sich zukunftsorientierte Firmen in Ludwigsburg ansiedeln – und setzt auf die Digitalisierung. Foto: factum/Granville

Mieten steigen stetig an, traditionelle Arbeitsplätze fallen weg, die Elektromobilität ist nicht nur für die Autohersteller eine Herausforderung. Ludwigsburgs Oberbürgermeister Werner Spec spricht im Interview über Fluch und Segen des Booms in der Stadt.

Ludwigsburg - Immer mehr Menschen möchten in Städte ziehen, das stellt auch Ludwigsburg vor große Aufgaben. Der Oberbürgermeister Werner Spec (Freie Wähler) sieht die Stadt insgesamt gut gerüstet. Auch wenn es etwa in Sachen Wohnungsnot kein Patentrezept gibt – und eine noch viel größere Hürde gepackt werden muss.

Herr Spec, die Region boomt, Ludwigsburg auch. Aber der Boom hat Schattenseiten, Mieten explodieren, Gewerbeflächen werden knapp. Lassen sich diese Probleme überhaupt noch lösen?

Zunächst einmal ist es eine sehr positive Entwicklung. Die Nachfrage nach Gewerbeimmobilien und Büroflächen ist extrem hoch, so hoch wie seit 20 Jahren nicht mehr. Allein in Ludwigsburg ist die Zahl der Arbeitsplätze in den vergangenen Jahren von 42 000 auf 51 000 gewachsen. Natürlich ist es in so einer Situation nicht möglich, die gesamte Nachfrage zu decken. Aber wir tun alles, um Lösungen zu finden, und bislang gelingt uns das auch meistens.

In welchen Branchen ist die Nachfrage besonders hoch?

In der Kreativ- und Digitalbranche, für die wir, beispielsweise in der Weststadt, beste Infrastrukturbedingungen anbieten: schnelle Glasfasernetze, modernste dezentrale und autarke Energieversorgung, Ladesäulen für Elektrofahrzeuge, ein gutes ÖPNV-Angebot für die Mitarbeiter. Bosch oder Porsche etwa beschäftigen sich in der Weststadt mit wichtigen Zukunftsfragen, mit der Mobilität der Zukunft. Für uns ist das eine Win-win-Situation. Wir wollen aus einer Position der Stärke heraus diesen Wandel fördern.

Wie profitiert die Stadt davon?

In traditionellen Branchen fallen Arbeitsplätze weg. Unsere Aufgabe muss also sein, dafür zu sorgen, dass sich zukunftsorientierte Unternehmen ansiedeln – mit zukunftsfähigen Arbeitsplätzen. Darüber hinaus geht es darum, dass die Unternehmen die Voraussetzungen bekommen, den Strukturwandel zu schaffen. An dieser Stelle können wir nicht einfach abwarten.

Wo liegt die größte Herausforderung?

Autonomes Fahren, Elektromobilität – die Entwicklung in der Automobilbranche schreitet enorm schnell voran. Die größte Gefahr für Baden-Württemberg und damit auch für Ludwigsburg wäre, dass die hiesigen Unternehmen es nicht schaffen, diesen Wandel erfolgreich zu bewältigen. Unzählige Branchen in diesem Land hängen an der Autoindustrie. Ich bin aber sicher, dass die Transformation gelingen kann, und wir als Stadt wollen unseren Teil dazu beitragen. Indem wir Unternehmen die Möglichkeit bieten, das autonome Fahren und neue digitale Dienste hier zu testen, hier neue Konzepte zu erproben.

Sie haben einmal gesagt, die Weststadt solle ein kleines Silicon Valley werden.

Ja, auch wenn der Vergleich nicht ganz passt. Das Silicon Valley ist, abgesehen von der Größe, ganz auf den IT-Sektor fokussiert. Die Besonderheit in Deutschland ist, dass die Informationstechnologie in einer engen Beziehung zur Industrie und zu industriellen Anwendungen steht. Es geht also nicht darum, das Silicon Valley zu kopieren, sondern unsere Stärken auszuspielen. Etwa, indem wir die Digitalisierung verbinden mit industriellen Produkten, nicht nur in der Autoindustrie. Nicht nur Porsche oder Bosch, auch Firmen wie Mann und Hummel oder Hahn und Kolb entwickeln an ihren Ludwigsburger Standorten solche Zukunftsstrategien.

Viel gesprochen wird momentan über den Mobilfunkstandard 5G. Die Einführung dieses neuen und viel schnelleren Mobilfunk-Internets will Ludwigsburg aktiv fördern – und dafür auch Geld in die Hand nehmen. Zudem verlegen die Stadtwerke flächendeckend Glasfaserkabel für superschnelles Breitband-Internet. Ist das eigentlich die Aufgabe einer Kommune? Oder müsste das nicht die Privatwirtschaft übernehmen, die von der Infrastruktur profitieren wird?

Historisch gesehen haben Städte wichtige Infrastrukturaufgaben immer schon selbst angepackt. Kommunen haben eine entscheidende Rolle beim Aufbau der Wasserversorgung gespielt, ebenso bei der Strom- oder Gasversorgung. Die Infrastruktur für die Digitalisierung ist nur die logische Fortführung dieser Entwicklung. Es kann uns als Wirtschaftsstandort nicht egal sein, dass Unternehmen schnelles Internet brauchen.

Zurück zu den Schattenseiten: Selbst Durchschnittsverdienern fällt es inzwischen schwer, in Ludwigsburg bezahlbaren Wohnraum zu finden. Wie kann eine Stadt hier gegensteuern?

Die Situation in Ludwigsburg ist typisch für die gesamte Region Stuttgart. Wir leben in einem hochverdichteten Raum, freie Flächen sind Mangelware. Wir als Stadt arbeiten intensiv daran, dass weitere Baugebiete auf den Markt kommen. Nicht nur in Außenbereichen – wir legen den Fokus auch auf die Nachverdichtung und auf bereits bebaute Grundstücke. In unserem Stadtteil Grünbühl beispielsweise gibt es Gebiete, in denen große Teile der Substanz nicht mehr erhaltenswert sind. Da macht eine Transformation Sinn – hin zu einer neuen vier- oder fünfgeschossigen Bebauung, energetisch hocheffizient.

Die Mieten steigen schon lange. Die Rezepte scheinen nicht zu wirken.

Die Mietpreisbremse hat bislang nicht wirklich gewirkt, das stimmt. Es herrscht ein eklatantes Missverhältnis zwischen Nachfrage und Angebot, weshalb das Angebot erhöht werden muss. Immerhin gibt es jetzt wieder ein Landeswohnbauprogramm, jahrelang hat dieser Bereich völlig brach gelegen. Unsere städtische Wohnungsbaugesellschaft WBL bringt zudem über das Modell „Fair Wohnen“ preisgünstigen Wohnraum auf den Markt. Außerdem hat die WBL mit dem Cube eine interessante Alternative zum traditionellen Hausbau etabliert: den seriellen Holzbau – auch das ist ein Teil unserer Strategie. Inzwischen ist es möglich, fünfgeschossige Holzhäuser zu bauen, schnell und nachhaltig. Es sind also verschiedene Hebel, die wir in Bewegung setzen.

Ein Faktor ist, dass die Menschen in die Städte strömen, während anderswo ganze Landstriche veröden.

Diesen Trend wird man nicht rückgängig machen können. Das wäre auch problematisch. Auf dem Land ist die Infrastruktur weniger gut ausgebaut, es fehlen Arbeitsplätze. Würden plötzlich wieder alle aufs Land ziehen, würde das zu noch mehr Chaos auf den Straßen und Umweltverschmutzung führen – wegen der zusätzlichen Pendler.

Neben der Digitalisierung, dem Platzmangel und der Wohnungsnot: Was ist Ihrer Meinung nach die größte Hürde für die hiesige Wirtschaft und Gesellschaft auf dem Sprung in die Zukunft?

Der Klimawandel war lange nicht greifbar, eher abstrakt. Erst langsam dämmert es allen, vor welchen Herausforderungen wir stehen. Die mit dem Klimawandel verbundenen Gefahren werden immens sein. Wir müssen noch wesentlich entschlossener dagegen vorgehen.