Heute will der Handel seinen Kunden ein entspanntes Einkaufserlebnis zu verschaffen. Foto: dpa

Vor 60 Jahren wurde in Deutschland der erste Supermarkt eröffnet. Heute ist der Handel vor allem daran interessiert, seinen Kunden ein entspanntes Einkaufserlebnis zu verschaffen. Wie, das erklärt Konsumpsychologe Hans-Georg Häusel.

Stuttgart - Rabatt, Sonderangebote, Alles-muss-raus-Schlachten? Das war einmal im Supermarkt. Heute ist der Handel vor allem daran interessiert, Kunden ein entspanntes Einkaufserlebnis zu verschaffen. Wie, das erklärt Konsumpsychologe Hans-Georg Häusel.

Herr Häusel, sammeln Sie Treuepunkte?
Die einzigen Punkte, die ich sammle, sind die Lufthansa-Meilen, aber die bekomme ich automatisch. Payback und so was, das mache ich alles nicht.
Warum nicht?
Weil ich einfach keine zusätzlichen Payback-Karten in meinem Geldbeutel haben will, das schafft nur Komplexität und dann ist der Nutzen auch begrenzt. Ich zähle tausende von Punkten zusammen, um dann eine nicht gute Kaffeemaschine oder sonst was zu bekommen – das ist nicht sonderlich reizvoll.
Warum lassen wir uns gern von Rabattmarken und Sammelaktionen verführen?
In unserem Gehirn gibt es einen Jagd- und Beutemechanismus, der sehr eng mit unserem Belohnungssystem verknüpft ist. Der ist immer aktiv, wenn es mehr gibt als man eigentlich erwartet hat. Das haben wir in der Natur gelernt: Wenn Sie früher durch den Wald als Jäger oder Jägerin marschiert sind und da kam ein Reh vorbei, da war es immer gut, nicht lange nachzudenken, sondern gleich zu schießen und erst hinterher zu fragen: Hab ich eigentlich Hunger? Denn wenn ich es andersrum mache, ist das Reh weg und wenn ich Hunger hätte, hätte ich ein Problem. Das heißt also, wir sind immer auf unerwartete Belohnungen aus, und dazu gehören die Rabatte, weil es scheinbar mehr ist als man eigentlich dafür geleistet hat.
Was spricht trotzdem dafür, dem Drang zu widerstehen?
Das ist eine Frage des Datenschutzes. Damit wird Ihr gesamtes Einkaufsverhalten getrackt, Sie werden damit ein bisschen gläserner. Man kann mit den Daten besser auswerten, was Sie kaufen, Ihnen speziellere Angebote machen. Einen Preis zahlen Sie immer, der Preis ist nur in der Regel so abstrakt, dass die meisten Menschen lieber die konkrete Belohnung sehen und die abstrakte Bedrohung in Form von Datenschutz eher in den Hintergrund stellt.
Was lernt der Handel aus den gesammelten Daten?
Der Handel merkt, welche Waren eine bestimmte Kundengruppe kauft und hat sie darum immer vorrätig. Er kann zum Beispiel lernen, dass Sie im Fleischregal immer Premiumqualität kaufen, also stellt er auch noch einen teuren Balsamico ins Regal und passt so das Sortiment an den Kundenstamm an.
Wird mir als Kundin klar, dass da irgendwann nur noch teure Produkte im Regal stehen?
Nein, das merken Sie nicht, das sind ja Feinheiten.
Ich dachte bisher immer, ich gehe als selbstständig denkender Mensch einkaufen.
Der Gedanke, dass wir rational denken und Herr in unserem eigenen Kopf wären, den können wir uns abschminken. Das heißt, der Anteil unserer bewussten Entscheidungen liegt pessimistisch gesprochen bei fünf Prozent, optimistisch bei 25 Prozent und alles andere findet im Unbewussten statt. Da kriegen Sie gar nicht mit, was Sie alles entscheiden.
Haben Sie weitere Beispiele, an welcher Stelle im Supermarkt der Kunde in seinem Verhalten geleitet oder manipuliert wird?
Weil für die Menschen das Einkaufen von Lebensmitteln Stress ist, versucht der Supermarkt von heute, den Stress zu minimieren, also einfach eine Atmosphäre zu schaffen, wo ich entspannt einkaufen kann. Rabattaktionen wie „Nimm drei, zahl zwei“ finden immer weniger statt und auch Musik werden Sie in keinem guten Supermarkt mehr finden. Die Verkaufsstrategie des Supermarktes ist es, dass er es Ihnen so einfach wie möglich macht. Wenn Sie entspannt sind, kaufen Sie mehr. Waren, die zusammen gehören, werden in direkte Nachbarschaft gestellt. In der Fleisch- und in der Käsetheke werden bestimmte Lichtfarben angewendet. Und das sind jetzt nicht die großen Tricks.
Was entspannt mich als Kundin, wenn ich in einen Supermarkt gehe?
Möglichst breite Wege, sodass Sie nicht mit anderen Kunden zusammenstoßen, denn wenn Sie andere Menschen berühren, ist das einer der größten Stressfaktoren. Jedes Regal hat eine innere Logik. Da gibt es spezielle Programme, die die Waren so zusammenstellen, dass Sie nicht darüber nachdenken müssen, wo sie etwas finden, und die gleichzeitig auch den Ertrag optimieren. Die etwas teureren Produkte stehen in Augenhöhe, die etwas billigeren stehen etwas weiter unten. Natürlich gibt es auch ab und zu mal eine Rabattaktion, aber das findet lange nicht mehr in dem Exzess statt wie vor zehn Jahren.
Stimmt es, dass die Einkaufswagen heute größer sind?
Ja, das sind so die Uralt-Tricks, Einkaufswagen sind immer ein bisschen größer als ihn die meisten Menschen tatsächlich brauchen. Natürlich tut man in einen großen Wagen mehr hinein als in einen, der ganz klein ist.
Ist das auch der Grund dafür, dass ich an der Supermarktkasse häufig das Gefühl habe, mehr gekauft zu haben als geplant?
Das liegt an drei Dingen: Erstens sind Sie hungrig hineingegangen. Denn wenn man hungrig einkauft, kauft man immer mehr ein. Zweitens: Sie haben sich keinen Einkaufszettel geschrieben, den Sie abarbeiten, sondern Sie nutzen den Supermarkt als Einkaufszettel und da fallen uns natürlich viele schöne Dinge ein, die man noch einkaufen könnte. Und drittens ist die Frage, was Sie für ein Persönlichkeitstyp sind. Es gibt Menschen, die eher hedonistisch unterwegs sind, die lassen sich viel leichter zu Spontankäufen animieren als Menschen, die von ihrem Charakter eher diszipliniert sind. All das spielt zusammen und kann dazu führen, dass Sie am Ende 20 oder 30 Prozent mehr im Einkaufswagen haben als Sie eigentlich gedacht haben.