Hamburg mit der Binnenalster (oben) und der Elphilharmonie (unten). Obwohl dort viel gebaut wird, steigen die Mieten und Immobilienpreise weiter. Der Finanzsenator befürchtet, dass die Grundsteuer ein weiterer Preistreiber wird, falls diese Steuer wie geplant verstärkt am Marktwert ausgerichtet wird. Foto: dpa

14 Länder, darunter Baden-Württemberg, haben sich auf ein Modell zur Reform der Grundsteuer verständigt. Hamburgs Finanzsenator Peter Tschentscher warnt vor den sozialen Folgen dieses Modells. Nur sein Land hat dessen Folgen systematisch analysiert – mit Besorgnis erregenden Ergebnissen.

Herr Tschentscher, das Wohnen in Deutschland wird immer teurer – vor allem in Ballungsräumen wie Hamburg und Stuttgart. Wäre jetzt, da das Bundesverfassungsgericht die Grundsteuer unter die Lupe nimmt, nicht ein guter Zeitpunkt für deren Abschaffung?
Nein. Für die Erhebung dieser Steuer gibt es nach wie vor gute Gründe. Sie ist nicht nur eine wesentliche Einnahmequelle der Städte und Gemeinden, sondern auch eine Gegenleistung für die Infrastruktur, die Kommunen ihren Bürgern zur Verfügung stellen – etwa in Form von Straßen, Grünanlagen und öffentlichen Einrichtungen. Es ist deshalb sinnvoll, dass die Kommunen eine solche Steuer haben . . .
. . . die aber das Wohnen verteuert und Mieter ebenso trifft wie Eigenheimbesitzer.
Deshalb darf die Reform der Grundsteuer auf keinen Fall dazu führen, dass die Belastung weiter steigt. Doch in der vergangenen Legislaturperiode haben sich 14 der 16 Bundesländer auf das sogenannte Reformmodell verständigt, das für viele das Wohnen erheblich verteuern würde.
Hamburg ist zusammen mit Bayern das einzige Land, dass dieser Idee widerspricht. Woran stören Sie sich im Einzelnen?
Das Reformmodell sieht vor, dass sich die Bemessungsgrundlage der Grundsteuer künftig aus den aktuellen Bodenwerten und den sogenannten typisierten Herstellungskosten zusammensetzt. Sie würde sich damit viel stärker als bisher am aktuellen Marktwert der Immobilien orientieren. Das führt dazu, dass die Bemessungsgrundlage bei Einführung des Reformmodells schlagartig steigen würde. Und dabei bliebe es nicht. Denn jeder weitere Anstieg der Immobilienpreise würde auch eine weitere Erhöhung der Grundsteuer nach sich ziehen. Sie würde damit selbst zu einem Preistreiber auf dem Wohnungsmarkt.
Aber spiegeln die Grundstücks- und die Immobilienpreise nicht sehr gut den Wohnwert wieder?
Nein. Zu den großen Preistreibern gehören auch spekulative Geschäfte und die extrem niedrigen Zinsen am Kapitalmarktmarkt. Nach dem Reformmodell müssten Mieter und Eigentümer für Faktoren bezahlen, die mit dem Wohnwert ebenso wenig zu tun haben wie mit den Leistungen der Gemeinde.
Sie haben das Reformmodell für Hamburg durchgerechnet. Was war das Ergebnis?
Wir haben eine Stichprobe von 850 Wohnimmobilien betrachtet, die über die gesamte Stadt verteilt sind. Dabei zeigte sich, dass die Bewertung der Immobilien im Durchschnitt auf das Zehnfache steigen würde.
Nimmt Hamburg damit eine Sonderstellung ein?
Ich denke nicht. Der starke Anstieg der Immobilienwerte ist typisch für wirtschaftsstarke Ballungsräume. Das Ergebnis im Raum Stuttgart wird vermutlich ähnlich ausfallen.
Die 14 Bundesländer, die sich dem Reformmodell angeschlossen haben, wollen aber gar keine Mehreinnahmen erzielen. Deshalb sollen die Gemeinden die Hebesätze, mit denen sie die endgültige Höhe der Steuer festlegen, entsprechend senken.
Ein solches Vorgehen ist nur theoretisch denkbar. Das eigentliche Problem lässt sich damit nicht lösen: die sehr unterschiedliche Entwicklung der Immobilienwerte in ein und derselben Stadt.
Was meinen Sie damit?
Eine Neubewertung nach dem Modell der 14 Länder würde in Hamburg zu einem sehr unterschiedlichen Anstieg der Bewertungen führen. Sie würden sich im Durchschnitt schlagartig verzehnfachen, doch die Spannbreite reicht von einer Verdoppelung bis zum Faktor 47. Selbst wenn wir den Hebesatz so stark senken würden, dass die Bürger insgesamt nicht zusätzlich belastet werden, müssten viele das Drei-, Vier- oder fast das Fünffache ihrer bisherigen Grundsteuer bezahlen. Sie würden über Nacht mit einer enormen Erhöhung der Grundsteuer konfrontiert, selbst wenn sie seit 30 Jahren in der gleichen Wohnung leben.
Was wären die Folgen?
Viele Mieter haben einst in einem Stadtteil von einfacher oder mittlerer Lebensqualität eine Wohnung gefunden. Manche dieser Viertel haben sich über die Jahre zu einem angesagten, kreativen Quartier entwickelt. Sie ziehen Menschen mit hohem Einkommen an, was Immobilienpreise und Mieten schon heute stark steigen lässt. Diese Entwicklung würde schlagartig verstärkt, denn eine höhere Grundsteuer würde 1:1 auf die Mieter übertragen werden.
Wie würden sich dadurch die betroffenen Stadtteile verändern?
Gerade in Ballungsräumen geben viele Menschen einen großen Teil ihres Einkommens für die Miete aus. Sie haben kaum noch Spielraum. Eine stark steigende Grundsteuer würde daher gerade in Regionen wie Hamburg, Berlin oder Stuttgart dazu führen, dass sich weniger zahlungskräftige Mieter ihre bisherige Wohnung nicht mehr leisten können. Es käme zu einer höchst unerwünschten Entmischung der Wohnviertel: Hier die Reichen, die sich das Viertel weiter leisten können, und dort diejenigen, die an den Rand gedrängt werden.
Was ist Ihre Alternative?
Unser Konzept sieht vor, dass nicht der Wert von Grundstück und Gebäude als Maßstab herangezogen wird, sondern die Fläche. Sie bildet den Nutzwert einer Wohnung gut ab und ist unempfindlich gegen einen ständigen Anstieg von Immobilienbewertungen. Auch für die Gemeinden ist es ein Vorteil, wenn die Grundsteuer eine stetige Einnahmequelle bleibt und nicht, wie beim Reformmodell, spekulativen Einflüssen ausgesetzt wird.
Beim Reformmodell bezahlt der Mieter Steuern auf eine Wertsteigerung, die den Vermieter reicher macht. Lässt sich das durch Ihr Modell verhindern?
Im Reformmodell ist die Grundsteuer quasi eine Vermögensteuer, die auf das Eigentum des wirtschaftlich leistungsfähigen Vermieters erhoben, aber vom Mieter bezahlt wird. Das Flächenmodell knüpft dagegen an der Größe an – also an dem, was dem Mieter tatsächlich zur Verfügung steht.
Das Bundesverfassungsgericht hat ja sehr deutlich gemacht, dass es im Fall der Verfassungswidrigkeit der heutigen Grundsteuer nicht bereit ist, lange Jahre auf eine Neuregelung zu warten. Ist Ihr Modell schneller umsetzbar als das Reformmodell?
Eindeutig ja. Die Länder, die das Reformmodell vorschlagen, gehen ja selbst davon aus, dass die Umsetzung ihrer Ideen zehn Jahre dauert, da 35 Millionen Grundstücke neu bewertet werden müssen. Es ist absehbar, dass es dabei viel Streit geben würde. Die Fläche dagegen ist einfach zu ermitteln und bietet kaum Raum für Diskussionen. Weil das Bundesverfassungsgericht auf die schnelle Beseitigung eines möglicherweise verfassungswidrigen Zustands dringt, ist jetzt die richtige Zeit, sich dem Flächenmodell zuzuwenden. Es ist einfach, transparent und wenig streitanfällig. Vor allem aber wirkt es der Gefahr entgegen, dass viele Menschen aus ihren angestammten Wohnquartieren verdrängt werden.