Gernot Erler will bei der Bundestagswahl 2017 nicht wieder antreten. Der 72-Jährige gehört dem Parlament seit 1987 an und ist achtmal im Wahlkreis Freiburg gewählt worden. Foto: Gottfried Stoppel

Der Sozialdemokrat Gernot Erler war als Russland-Beauftragter der Bundesregierung gerade erst wieder zu Gesprächen in Moskau – wo die US-Wahlen zunächst ein Hochgefühl ausgelöst hatten. Nun kritisiert der Freiburger das Wettrüsten der Nato-Staaten mit Russland.

Stuttgart - Gut zwei Wochen nach der Wahl von Donald Trump zum US-Präsidenten erkennt der SPD-Außenpolitiker Gernot Erler einen Stimmungswandel in der russischen Führung, mit der er jüngst Gespräche in Moskau geführt hat.

Herr Erler, der Jubel in Moskau war unübersehbar nach der Wahl von Donald Trump. Hat sich die gute Stimmung dort bis zu Ihrem Besuch gehalten?
Ich habe vorige Woche bei meinen politischen Gesprächen in Moskau keinen Triumphalismus mehr in dieser Sache vernommen. Offensichtlich wird der Jubel gedämpft durch die Erkenntnis, dass die Unberechenbarkeit in der internationalen Politik von Donald Trump auch eine Herausforderung für Russland werden könnte. Insofern war ein gewisser Stimmungswandel schon erkennbar.
Trump und Putin haben sich am Telefon versichert, die Beziehungskrise überwinden zu wollen. Halten Sie auch ein baldiges Treffen für möglich?
Wir wissen nicht, was die Pläne von Trump sind, wenn er vom 20. Januar an als Präsident handeln kann. Aber im Prinzip ist das kein Anlass zur Sorge, wenn beide konstruktiv miteinander arbeiten wollen – dieser Eindruck wurde zumindest nach dem Telefonat vermittelt. Im Wahlkampf klang das ja noch anders, da hat Trump seine Bewunderung bekundet für Putin und dessen Politik der Stärke, was die Durchsetzung russischer Interessen angeht.
Ist die Wahl von Trump im Hinblick auf den Ost-West-Konflikt eher Bedrohung als Chance?
Zunächst überwiegt eine Verunsicherung, nachdem Trump die Schutzgarantie nach Artikel V der Nato-Charta in Frage gestellt hat. Das hat natürlich sehr große Sorgen vor allem bei den drei baltischen Staaten und Polen ausgelöst, die sich von Russland bedroht fühlen und die gerade in letzter Zeit darum gekämpft haben, sogenannte Rückversicherungen zu bekommen. Wir müssen mit kritischen Fragen auch an die EU rechnen, wie sich die Schutzgarantie weiterentwickeln soll.
Ist es von Vorteil für Putin, wenn die USA sich von der Nato distanzieren – würde Putin diese Kluft für seine Zwecke nutzen wollen?
Eine Politik, die Keile in den Konsens der EU treibt, etwa was die Sanktionen gegenüber Russland im Ukraine-Konflikt angeht, gehört zur russischen Strategie. Man hat umgeschaltet auf eine Wahrnehmung der anderen Seite als Gegner, weniger als Partner. Das ist ja auch der Hintergrund für den Versuch der deutschen Politik, Russland wieder einzubinden in den verbindlichen Dialog. Wir haben es geschafft, dass in diesem Jahr erstmals wieder der Nato-Russland-Rat zweimal auf Botschafterebene getagt hat. Das nächste Treffen ist noch für dieses Jahr anvisiert. Wir haben auch die Möglichkeiten der OSZE genutzt. Es muss das Ziel sein, Russland aus der Negativposition herauszuholen, möglichst dem Westen zu schaden, und wieder in einen konstruktiven Dialog einzubinden.
Eine Ausweitung der Sanktionen gegen Russland wird es vorerst wohl nicht geben. Doch sollen sie nach dem Willen der westlichen Staatschefs wegen der Syrienkrise zumindest verlängert werden. Stimmen Sie zu?
Die Wirtschaftssanktionen sind ja ein Teil des politischen Konsenses, eine politische Lösung für den Ukraine-Konflikt zu finden. Da brauchen wir nach wie vor ein Druckmittel auf die russische Seite, die bisher zu wenig tut, um das Minsker Abkommen umzusetzen. Insofern ist die Mehrheit der europäischen Staaten hier nach wie vor der Meinung: Solange Russland nicht mehr liefert an Anstrengungen, müssen auch die Sanktionen verlängert werden. Allerdings gibt es da Länder, die erstens unter den Sanktionen selbst leiden. Und zweitens glauben sie, dass eine Verlängerung über den Januar 2017 hinaus nicht sinnvoll ist. Zuletzt ist das EU-Land Bulgarien mit der Präsidentenwahl von Rumen Radew in diese Richtung gekommen. Das wird noch eine ganz schwierige Diskussion geben innerhalb der EU.
Wie sehr leiden die Menschen in Russland unter den gegenseitigen Sanktionen?
Das Hauptproblem der russischen Wirtschaft ist der niedrige Ölpreis und die völlige Abhängigkeit von den Erlösen aus den Energieexporten. Welche zusätzlichen Nachteile die Sanktionen bringen, kann man nicht quantifizieren. Aber es ist ein erklärtes Ziel der russischen Politik, aus diesem Sanktionsmechanismus herauszukommen. Nur leider wird dazu die Brücke nicht beschritten, die wir ja offen lassen – nämlich die Umsetzung von Minsk.