Setzt im Umgang mit Moskau auf Dialog: Gernot Erler (SPD), Russlandbeauftragter der Regierung Foto: dpa

Der Russland-Beauftragte der Bundesregierung springt seinem Außenminister bei, der vor einem Säbelrasseln an der Ostgrenze der Nato warnt. Es sei wichtig zu „provokanter formulieren“, um die dramatische Spirale der Eskalation zu beenden. Es komme täglich zu brenzligen Zuspitzungen.

Herr Erler, die Warnung von Außenminister Steinmeier vor einem „Säbelrasseln“ an der Ostgrenze des Nato-Bündnisses irritiert die Partner in Osteuropa, im Bündnis und in der Koalition. Was hat sich Steinmeier dabei gedacht?
Wir sehen uns konfrontiert mit einer drohenden Eskalation an der Nato-Grenze zur Russischen Föderation. Zahl und Massivität der Manöver nehmen zu. Die Russen haben in letzter Zeit knapp 100000 Mann bewegt und ihre Aktivitäten mindestens verdoppelt. Auch die Nato hat ihre Aktivitäten verdoppelt. Wir haben außerdem eine brandgefährliche Situation durch unangemeldete Flüge von russischen Kampfjets über die östlichen Meere bis hin zur Nato-Grenze, oftmals in unmittelbarer Nähe US-amerikanischer Marineeinheiten. Diese Jets müssen allein deshalb schon von aufsteigenden Nato-Jägern begleitet werden, weil sonst Kollisionen mit Zivilflugzeugen zu befürchten sind. Da entstehen praktisch täglich brenzlige Situationen. Es war deshalb wichtig, dass Steinmeier die Initiative ergreift, diese reflexartige, unkontrollierbare Situation zu beenden. Man kommt in einer derart angespannten Situation nur weiter, wenn man diplomatisch etwas provokanter formuliert. Sonst hält keiner inne.
Den Nato-Partnern hat das nicht gefallen…
Es geht nicht darum, gemeinsam getroffene Maßnahmen der Nato in Frage zu stellen. Es geht um die Frage, wie das etwa auf dem anstehenden Nato-Gipfel in Warschau weiter geht. Die Nato hat die Stationierung von vier Bataillonen mit jeweils bis zu 1000 Soldaten in den drei baltischen Staaten und Polen beschlossen. Die russische Seite will darauf mit der Stationierung von drei Divisionen mit jeweils 10000 Mann reagieren. Ich glaube nicht, dass sich die Osteuropäer danach sicherer fühlen, sondern ich fürchte, dass die Forderung nach einer erneuten Ausweitung der Nato-Präsenz im Osten die Folge ist. Wo soll das enden? Aus diesem Eskalationskarussell müssen wir aussteigen.
Mit Parteitaktik hat das nichts zu tun? Manche sehen in dieser Russlandpolitik einen Brückenschlag der SPD ins linke Lager…
Ich hatte eine solche Einordnung zwar erwartet, aber das verkennt völlig die Brisanz der Situation.
Der Vorsitzende des deutsch-russischen Forums, Matthias Platzeck, hat jüngst im Interview der StN gesagt, ein Funke reiche, um aus diesem neuen Kalten Krieg einen „heißen Konflikt“ werden zu lassen? Ist die Lage so dramatisch?
Es schadet jedenfalls nicht, dass wir uns erst vor kurzem an die Vorgeschichte des Ersten Weltkriegs erinnert haben. Auch da sind Prozesse der Eskalation scheinbar unaufhaltbar weiter gelaufen, weil keiner in der Lage und willens war, sie zu stoppen. Diese Lektion sollten wir gelernt haben.
Wie kann man eine Entspannung mit Russland hinbekommen, ohne gleichzeitig die Polen, Balten und die Ukraine zu brüskieren?
Ich rede doch noch gar nicht von Entspannung, sondern davon, dass zunächst einmal eine gefährliche militärische Ausweitung des Konflikts mit allen Mitteln der Diplomatie vermieden werden muss. Wir haben doch gesehen, was der Abschuss des russischen Flugzeuges durch die Türken im November für schlimme politische Folgen hatte.
Also lieber Deeskalation statt harte Maßnahmen zur Durchsetzung des Minsker Abkommens?
Natürlich können wir nicht zu einem normalen Umgang mit Russland zurückkehren, solange Moskau die Vereinbarungen des Minsker Abkommens nicht umgesetzt hat. Aber das darf uns doch nicht abhalten, das Gespräch zu suchen. Von manchen höre ich ja jetzt, der Dialog mit Russland sei doch gar nicht gefährdet. Das wundert mich schon, denn ich wüsste nicht, wo dieser Dialog auf höchster Ebene noch stattfinden kann. Alles ist auf Eis gelegt: die EU-Russland-Gipfel, die deutsch-russischen Regierungskonsultationen, die G8-Treffen. Immerhin hat Steinmeier durchgesetzt, dass der Nato-Russland-Rat wieder seine Arbeit aufgenommen hat.
Besteht in der Regierung Konsens, dass man, wie das Kanzleramt es will, die EU-Sanktionen unverändert durchlaufen lässt, bis das Minsker Abkommen komplett umgesetzt ist. Oder setzt Steinmeier da einen anderen Akzent?
In den letzten Monaten waren mehrere EU-Staaten nicht zufrieden mit einer automatischen Verlängerung um ein weiteres halbes Jahr. Wenn nur ein einziges Land sich verweigert, laufen die Sanktionen wegen des Einstimmigkeitsprinzips aus, dann ist der Druck komplett weg. In diesem Kontext ist auch der Vorschlag Steinmeiers zu verstehen, die Sanktionen gegen russische Gegenleistungen stufenweise abzubauen und nicht erst die komplette Umsetzung des Minsker Abkommens abzuwarten. Das ist sein Versuch, angesichts der wachsenden Bedenken einiger EU-Partner auch in Zukunft eine gemeinsame europäische Position zu erhalten. Denn wenn die EU nicht mehr zu diesem Konsens fähig ist, kann sie ihre Vermittlerrolle im Ukraine-Konflikt vergessen.
Sind Sie sich bei den Sanktionen inzwischen mit Kanzlerin Merkel einig?
Da gibt es eine unterschiedliche Prioritätensetzung. Das Angebot Steinmeiers an die EU, jederzeit über flexible Sanktionen nachzudenken, bleibt jedenfalls bestehen.
Können Sie uns erklären, warum sich jetzt auch SPD-Chef Gabriel so massiv in die Russlandpolitik eingemischt hat, wenn nicht aus Parteitaktik?
Gabriel ist ja nun auch Wirtschaftsminister. Er ist im letzten Jahr schon einmal mit einer großen Delegation nach Russland geflogen und er wird es in der nächsten Woche wieder machen. Es wäre ja verwunderlich, wenn er sich nicht um das Thema kümmern würde. Der Ostausschuss der deutschen Wirtschaft macht gehörig Druck, um eine Aufhebung der Sanktionen zu erreichen. Das Russlandgeschäft ist von 80 Milliarden im Jahr 2013 auf 40 Milliarden Euro jährlich eingebrochen, 350000 Arbeitsplätze hängen davon ab. Das ist eine ernste Entwicklung. Es sollte deshalb aber keiner daran zweifeln, dass Gabriel das Primat der Politik gegenüber der Wirtschaft auch in dieser Frage durchsetzt.