Franz Müntefering boxt in Vorbereitung des 12. Deutscher Seniorentag beim Verein «Dortmunder Boxsport 20/50». Foto: dpa

Der ehemalige Arbeitsminister Franz Müntefering (SPD) fordert, Senioren „nirgendwo“ vom gesellschaftlichen Leben auszuschließen. Das Thema Pflege sieht er als große Herausforderung für die kommenden Jahre.

Dortmund - Der 12. Deutsche Seniorentag findet diese Woche in Dortmund statt. Zu der dreitägigen Veranstaltung werden vom 28.-30. Mai rund 15 000 Besucher erwartet. Der ehemalige Arbeitsminister Franz Müntefering ist seit 2015 Vorsitzender der Bundesarbeitsgemeinschaft der Senioren-Organisationen.

Herr Müntefering, die Besetzung der Rentenkommission mit einem Durchschnittsalter von 56 Jahren hat für Empörung bei den „Jungen“ gesorgt. Droht ein Generationenkonflikt?
Die Frage an der Besetzung der Rentenkommission festzumachen, ist absurd. Konflikte, die drohen, liegen nicht zwischen den Generationen, sondern zwischen sittenwidrig hohen Löhnen und Mini-Löhnen, solidarisch sein und unsolidarisch sein, demokratisch und populistisch. Da gibt es in jeder Generation solche und solche.
Die große Koalition steht unter dem Verdacht, viel für die Älteren zu tun, aber wenig für die Jungen: Rente mit 63, Mütterrente. Ist der Verdacht gerechtfertigt?
Wir sind auf dem Weg zur Rente mit 67 Jahren. Die Mütterrente ist in Ordnung, sollte aber nicht aus der Rentenversicherung bezahlt werden, sondern aus dem Steuertopf, denn sie ist in Wahrheit keine Rente nach den Regeln der Gesetzlichen Rentenversicherung, sondern ein berechtigter Zuschuss.
Angesichts der demografischen Prognosen – wird es nicht zwangsläufig zu einer Konfrontation der wenigen Jungen und der Mehrheit der Älteren kommen?
Das habe ich bereits beantwortet. Die Älteren sind nach Zahl steigend, aber nie in der Mehrheit.
Die Digitalisierung verändert Verwaltungen, das Banken- und Versicherungswesen radikal – Filialen schließen. Ist das jetzt eine Bedrohung für Senioren, müssen sie eigentlich auch noch im hohen Alter ständig neue Kommunikationstechniken lernen?
Wir machen Mut, sich im Älterwerden auch mit neuen Techniken in den genannten Bereichen zu befassen. Dazu gibt es vor Ort Angebote für den praktischen Umgang damit, Grundkurse sozusagen, oder es muss diese Angebote geben. Nicht selten können ja auch Kinder und Enkel Oma und Opa helfen. Wir sagen aber auch: Botschaft auf Papier und Händedruck beim Arzt und Geldscheine und Münzen dürfen nicht einfach gestrichen werden.
Die Bundesarbeitsgemeinschaft für Senioren-Organisationen (BAGSO) fordert ein realistisches Altersbild in der Gesellschaft ein. Wo sehen Sie es denn verzerrt?
Wenn manche so tun, als ob man mit 80 noch wie mit 50 sein kann, oder andere, als ob alles Sterben in einem Martyrium endet. Älter werden und alt sein ist sehr viel normaler: Das Leben ist, was die körperlichen Fähigkeiten angeht, meist eine ballistische Kurve. Die meisten Menschen sterben, weil ihre Lebenskräfte zu Ende gehen, nicht wegen gesundheitlicher Katastrophen. Sterben ist ein Teil des Lebens.
Auch fordert die BAGSO, die gesellschaftliche Teilhabe älterer Menschen zu fördern. Ist es nicht so, dass viele Älteren vor allem mit sich selbst zu tun haben?
Teilhabe und Teilnahme heißt, dass man als älterer Mensch nirgendwo im gesellschaftlichen Leben ausgeschlossen ist, weil man älter ist. Selbstverständlich hängt beides davon ab, ob der einzelne Mensch das möchte und es noch kann. Bei dem Können geht es oft um simple Dinge wie Stolperkanten in Wohnungen und an Ampeln, gute Ein- und Ausstiege beim ÖPNV. Mobilität ist ganz wichtig für die Lebensqualität im Alter.
Sind für die Pflege der Zukunft die Weichen gestellt?
Da ist dringender Handlungsbedarf: bei der Ausbildung und Bezahlung der Pflegekräfte. Bei der Gewinnung von Nachwuchs. Bei der Entlastung in den Heimen durch höheren Besatz an Pflegekräften und durch Entbürokratisierung. Auch bei der Stützung der Pflege in den Familien durch eine Pflegezeit, wenn Angehörige dafür ihre Arbeitszeit reduzieren.