Fehrenbach (li.) beim Interview mit StN-Wirtschafts-Ressortleiter Klaus Köster Foto: factum/Granville

Deutschland ist führend bei Autos und Maschinen, aber die Googles und Apples dieser Welt kommen aus den USA. Franz Fehrenbach, Chef der Wissensfabrik und des Bosch-Aufsichtsrats, sagt, warum das nicht so bleiben muss und ob Flüchtlinge beim Aufholen helfen können.

Stuttgart - Herr Fehrenbach, die deutsche Industrie hat weltweit einen hervorragenden Ruf, aber bahnbrechende Technologien kommen fast nur noch aus dem Silicon Valley. Warum hat Deutschland hier den Anschluss verpasst?

Deutschland und das Silicon Valley haben ganz unterschiedliche Stärken. Deutschland ist Weltmarktführer bei Prozesstechnologien und der hochautomatisierten Präzisionsfertigung. In den USA dagegen ist die industrielle Basis auf vielen Gebieten verloren gegangen. Als sich die amerikanische Wirtschaft daraufhin sehr stark auf Dienstleistungen, IT und Software konzentrierte, haben wir das in Europa zum Teil belächelt. Mittlerweile sind viele US-Unternehmen Vorreiter im Internet.
Wird sich das wieder ändern?
Die USA haben aus der Softwarebranche heraus völlig neue Geschäftsmodelle entwickelt. Sie wollten nicht nur bestehende Produkte kontinuierlich verbessern, sondern stellen sich die Frage: Wie lassen sich bereits bestehende Lösungen so zusammenführen, dass aus Sicht des Kunden ein deutlicher Mehrwert herauskommt? Taxis etwa gibt es schon lange – und trotzdem hat es die Online-Plattform Uber geschafft, zu einem der größten Taxiunternehmen der Welt zu werden, ohne auch nur ein eigenes Auto zu besitzen. Airbnb macht Ähnliches mit Wohnraum und Amazon im Handel.
Woran fehlt es hierzulande?
Auf der Ingenieurseite ist Deutschland stark aufgestellt. Aber in den USA arbeiten junge Leute, die in ihrem Denken vollkommen frei sind. Sie müssen keine industrielle Basis verteidigen und keine Fabriken auslasten. Sie können ihre Kreativität einsetzen für neue Lösungen. Da werden wir in Deutschland aufholen müssen. Dort setzt auch unsere Wissensfabrik an. Sie begeistert seit zehn Jahren schon kleine Kinder für Naturwissenschaften und Technik. Aber auch das unternehmerische Denken und Handeln fördern wir.
Baden-Württembergs Landesregierung hat sich auf die Fahnen geschrieben, Existenzgründer gezielt zu fördern. Ist das Land auf dem richtigen Weg?
Es stört die Landesregierung natürlich, dass Baden-Württemberg in der Statistik der Unternehmensgründungen nur im Mittelfeld liegt. Sie hat einige Initiativen gestartet, um daran etwas zu ändern. Und es gibt noch mehr gute Ideen.
Was heißt das konkret?
Wir haben hervorragende Fachhochschulen, die der ideale Partner für Mittelständler sind. Kleine und mittlere Unternehmen sind sehr erfolgreich und das Rückgrat der Wirtschaft von Baden-Württemberg. Sie stehen jetzt aber vor der großen Herausforderung, sich digitale Kompetenz anzueignen und sich zu vernetzen.
Woher sollen all die Informatiker kommen, die lieber auf die Alb gehen statt nach Berlin?
Es ergibt keinen Sinn, Berlin zu kopieren. Die hiesigen Fachhochschulen sind stark in Maschinenbau, Elektrotechnik, Automobilbau und Logistik. Wenn auf dieser Basis mehr innovative Unternehmen aus den Fachhochschulen heraus gegründet werden, ist die Verbindung zu den Mittelständlern schon vorgezeichnet. Diese Vernetzung will die Landesregierung voranbringen, und das begrüße ich sehr.
Welche Rolle muss die Wirtschaft spielen?
Beim Thema Zukunftssicherung sind alle gefragt. Die Wirtschaft muss sich öffnen, Ideen für Kooperationsprojekte einbringen und diese auch finanziell unterstützen. Die Landesregierung sollte die notwendige Betriebsstruktur für ein Gründungszentrum schaffen. Die Fachhochschulen könnten noch mehr Kreativität und unternehmerisches Denken in den Hörsälen vermitteln und diese fördern.
Wann muss die Informatik-Ausbildung beginnen?
Das Fach kommt heute in der Schulbildung noch zu kurz, wenn man bedenkt, dass sich daran unter anderem die Zukunftsfähigkeit Deutschlands mitentscheidet. Schüler können zwar sehr gut mit Smartphones umgehen – aber nur die wenigsten verstehen, was hinter der Bildschirmoberfläche, über die sie wischen, vor sich geht. Wer das aber nicht versteht, wird später auch nicht in der Lage sein, irgendetwas weiterzuentwickeln. Jeder Schüler geht täglich ins Internet – aber kaum einer weiß, auf welche Weise Verbindungs- und Anwendungsprotokolle, Clients und Webserver ineinandergreifen. Die Wissensfabrik tut etwas gegen diesen Missstand. Sie hat gerade ein IT-Projekt entwickelt, das Schüler genau an dieses Thema heranführt. Es braucht nur Bausteine, die mit Schnüren verbunden werden, um zu verstehen, wie das Internet funktioniert. Mit anderen Modulen dieses Projektes können die Kinder aber auch eine App programmieren oder lernen, wie aus Stromimpulsen Buchstaben werden.
Ministerpräsident Kretschmann will die Informatik jetzt für Siebtklässler zum Schulfach machen.
Das ist genau der richtige Ansatz. Jetzt geht es um die Ausgestaltung.
Wo liegen die Schwierigkeiten?
Es gilt jetzt, genügend Lehrer zu finden, die in diesem Fach das Verstehen und Gestalten in den Vordergrund stellen. Es darf nicht dazu kommen, dass die Schulen darum einen Bogen machen und sich mit dem Pauken von Fakten und abrufbarem Prüfungswissen zufriedengeben.
Die Stärke der USA besteht ja darin, aus der Software-Technik heraus globale Geschäftsmodelle zu entwickeln. Brauchen die Deutschen außer mehr Informatik-Kenntnissen auch eine bessere Bildung in Sachen Wirtschaft?
Ich bin ein großer Anhänger des ganzheitlichen Bildungsideals Humboldt‘scher Prägung. Es gilt, Schülern durch die Bildung die Entfaltung aller menschlichen Kräfte zu einem harmonischen Ganzen zu ermöglichen und sie in die Lage zu versetzen, sich in der Welt zurechtzufinden und einen Beitrag zu ihrer Verbesserung zu leisten. Das ist der Kern. Aber um diesen Kern herum müssen wir Schüler auch darauf vorbereiten, was darüber hinaus künftig wichtig ist im Leben. Dazu gehört neben IT ökonomisches Wissen. Deshalb bin ich höchst erfreut, dass Baden-Württemberg jetzt ebenso Wirtschaft als Schulfach einführen wird. Und dazu leistet die Wissensfabrik einen Beitrag, indem sie Lehramtskandidaten Praktika in ihren Mitgliedsunternehmen ermöglicht. Wer Wirtschaft unterrichtet, sollte auch einmal Wirtschaft erlebt haben.
Nicht nur der Bedarf an Fachkräften verändert sich rasant, sondern auch die Bevölkerung. Wie groß ist die Chance, unter den Flüchtlingen die benötigten Fachkräfte zu finden?
Die Willkommenskultur und humanitäre Unterstützung, die den Flüchtlingen in Deutschland entgegengebracht wird, ist beeindruckend und lobenswert. Die viel schwierigere und langfristige Aufgabe ist es, diese Menschen in unsere Gesellschaft zu integrieren.
Was muss für diese Integration getan werden?
Hier sind sich die Experten einig. An erster Stelle steht demnach die Wohnraumbeschaffung – das ist machbar, wenn auch teuer, und wir müssen aufpassen, dass nicht die Bevölkerungsgruppen in Deutschland unter dem Zuzug leiden, für die der Wohnraum ohnehin schon knapp ist. Ein weiterer Schritt ist Bildung und damit zunächst einmal das Erlernen der Sprache – und Deutsch ist eine schwierige Sprache. Äußerst wichtig ist auch die fachliche Qualifizierung der Menschen. Die Flüchtlinge, die Akademiker sind oder eine Ausbildung auf dem Niveau unserer Facharbeiter haben, werden relativ leicht Arbeit finden. Mich treibt aber die Frage um, was mit denen geschieht, die keine abgeschlossene Berufsausbildung haben, und das ist die große Mehrheit. Es wird eine riesengroße Aufgabe sein, auch diese Menschen auf einen Stand zu bringen, auf dem sie zur Zukunftsfähigkeit Deutschlands beitragen können.
Die Digitalisierung erfordert ja sehr hohe Qualifikationen. Wie steht es da um die wachsende Zahl von gering qualifizierten Menschen, die diese Hürde nicht nehmen können?
Die Industrie unterstützt die Integration der Flüchtlinge, indem sie etwa Praktika anbietet und beim Erlernen der Sprache hilft. Sie wird aber allein nicht in der Lage sein, den geringer Qualifizierten Arbeitsplätze in der Zahl anzubieten, die nötig ist, um alle in Beschäftigung zu bringen. Hier liegen die Möglichkeiten am ehesten in anderen Branchen, etwa Pflege-Dienstleistungen.
Brauchen wir also eine Obergrenze bei der Zuwanderung durch Flüchtlinge?
Theoretisch könnten wir Millionen von Flüchtlingen willkommen heißen, aber ehrlicherweise wird Deutschland nur eine begrenzte Anzahl von Menschen wirklich integrieren können. Hier hat das Land limitierte Kapazitäten. Wir sollten von der Frage ausgehen: Wie viele Menschen sind wir in der Lage tatsächlich zu integrieren? Und genau das muss unsere Aufnahmefähigkeit bestimmen. Wir müssen uns bewusst sein, dass die Akzeptanz von Flüchtlingen in unserer Gesellschaft vor allem von einer gut funktionierenden Integration abhängt. In unseren Bildungsprojekten arbeiten Kinder verschiedener Nationalitäten Seite an Seite, so können wir als Wissensfabrik auch einen Beitrag leisten.
Müssen wir bei der Zuwanderung auf die Qualifikation schauen?
Politisch verfolgte Menschen müssen wir aufnehmen, das ist keine Frage. Ansonsten sollten wir Zuwanderung gezielt am Bedarf ausrichten und auch aktiv Menschen anwerben, deren Qualifikation unser Land benötigt.
In Deutschland gibt es jetzt einen Mindestlohn. Brauchen wir angesichts der starken Zuwanderung stattdessen wieder einen großen Arbeitsmarkt mit niedriger bezahlten Menschen?
Ich war immer ein klarer Anhänger der Agenda 2010. Das gilt auch für die Idee, geringer qualifizierten Menschen den Zugang zum Arbeitsmarkt zu öffnen, auch wenn ihr Einkommen nicht zum Leben reicht und aufgestockt werden muss. Denn dadurch halten wir diese Menschen in Beschäftigung – sie haben Arbeitskollegen, Aufgaben und sind erst dadurch in der Gesellschaft integriert. Ich habe bedauert, dass die Politik sich zum Teil von dieser Idee entfernt hat. Aber die digitale Vernetzung und weitere Automatisierung werfen für Arbeitswelt und Sozialsysteme noch ganz andere Fragen auf: Wenn den Menschen immer mehr Aufgaben von Robotern abgenommen werden, müssen wir die Finanzierung der Gesellschaft womöglich völlig neu denken.
Sollen dann Roboter die Steuern zahlen?
Wenn wir ehrlich sind, hat noch niemand eine Vorstellung davon, wie die Arbeitswelt in Zeiten der digitalen Vernetzung und der Industrie 4.0 wirklich aussehen wird. Da stehen wir noch ganz am Anfang der Überlegungen und Lösungen.