Baden-Württemberg will den Pestizidaustrag senken. Foto: picture alliance / Patrick Pleul/Patrick Pleul

Der Pflanzen- und Insektenforscher Jürgen Gross hält die neuen Öko-Ziele der Landesregierung für sehr ambitioniert. Pestizide könne man reduzieren, aber ganz ohne sie sei der Obst- und Weinbau nicht möglich.

Stuttgart - Der Pflanzen- und Insektenexperte Jürgen Gross glaubt, dass sich der Einsatz von Pestiziden verringern lässt. Ganz auf sie verzichtet werden könne im Obst- und Weinbau aber nicht. Dem Volksbegehren Pro Biene aus Stuttgart unterstellt er mangelnden Sachverstand. Gross (55) lehrt seit 2017 als Privatdozent an der TU Darmstadt und leitet das Fachgebiet „Angewandte Chemische Ökologie“ am Julius-Kühn-Institut für Pflanzenschutz in Obst und Weinbau in Dossenheim (Rhein-Neckar-Kreis).

Herr Gross, die baden-württembergische Landesregierung plant, den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln bis 2030 um 40 bis 50 Prozent zu reduzieren. Ist das nicht ein sehr ambitioniertes Ziel?

Ja, das ist es auf jeden Fall. Wir brauchen natürlich Alternativen dazu. Und die hängen stark von den Kulturen ab. Mein Arbeitsschwerpunkt liegt im Obst- und Weinbau. Beispielsweise ist im Apfelanbau ein großer Einsatz von Pflanzenschutzmitteln notwendig, aber der Hauptanteil sind dort Fungizide, also Pilzmittel, die eigentlich keine Auswirkungen auf Insekten haben. Es wäre daher besser, im Zusammenhang mit dem Insektenrückgang nur über Insektizide zu reden.

Was gibt es für Alternativen?

Im Weinbau beispielsweise kann anstelle von Insektiziden die Verwirrtechnik eingesetzt werden. Da werden Sexual-Pheromone – also Lockstoffe – ausgebracht, die die Traubenwickler, die im Weinbau ein Problem darstellen, von der Paarung abhalten. Das wird bereits auf 70 Prozent der Anbaufläche gemacht, egal ob biologischer oder ertragsorientierter Anbau. An solchen Methoden forsche ich, mit ihnen können wir den Einsatz von Insektiziden vermindern.

Was hat die Forschung noch im Köcher?

Speziell in meinem Gebiet versuchen wir mittels Lock- oder Repellentstoffen – also Vergrämungsmitteln – die Schadinsekten aus Anlagen zu vertreiben und in Fallen zu locken. Das geschieht sehr selektiv und ist extrem schonend für die Nützlinge. Dazu gibt es Forschungsansätze von verschiedenen Seiten. Zur Reduktion von Fungiziden wird am Einsatz von Hefepräparaten geforscht. Die Verwirrtechnik hatte ich bereits erwähnt. Insektizide werden übrigens auch im Ökolandbau eingesetzt. Man wird ihren Einsatz langfristig vermindern können, aber ich glaube nicht, dass der Anbau ganz ohne sie möglich sein wird.

Hätten Sie beim Volksbegehren unterschrieben?

Nein, ich finde, es war nicht mit viel Sachverstand verfasst. Als ich es das erste Mal auf den Tisch bekam, habe ich mich sehr gewundert. Es geht ums Insektensterben, und ich bin ja nebenbei noch Präsident der Deutschen Gesellschaft für Entomologie, das heißt, die Insekten liegen mir sehr am Herzen. Das Volksbegehren ist allein fokussiert auf die Pflanzenschutzmittel. Wir befassen uns schon lange mit dem Insektensterben, für das es viele Ursachen gibt. Der Einsatz von Pflanzenschutzmitteln ist aber nur ein Punkt. Andere wesentliche Gründe sind der zunehmende Flächenverbrauch, die Verinselung naturnaher Flächen, die Überdüngung mit Stickstoffen oder aber auch die Veränderungen beim Grünland: Wiesen werden mittlerweile stark gedüngt und mehrfach gemäht, um Silage zu machen. Dadurch verschwinden die Blühpflanzen. Darüber hinaus differenziert das Volksbegehren gar nicht, spricht generell von Pestiziden. Dass Fungizide so gut wie gar keinen Einfluss haben auf die Insekten, wird gar nicht erwähnt.

Im Ökolandbau gibt es eine höhere Biodiversität. Das Volksbegehren fordert ja auch einen stärkeren Anteil der Biobauernhöfe an der Fläche. Ist das nicht ein guter Vorschlag?

Die Idee des Volksbegehrens, 50 Prozent der Agrarfläche für den Ökolandbau erzwingen zu wollen, geht auch an der Realität vorbei. Ich habe am Mittwoch auf einer Tagung mit Beratern aus dem Ökolandbau gesprochen. Die sagten, von der Ernte der Bio-Äpfel vom vergangenen Jahr werden erst jetzt die Restbestände verkauft, obwohl die neue Ernte schon da ist. Wir haben bereits 14 Prozent Ökolandbau auf unserer Fläche in Baden-Württemberg, und der Markt scheint damit schon gesättigt. Und wenn Sie Bio-Äpfel ein Jahr im Kühlhaus lagern, dann ist der ökologische Fußabdruck auch nicht mehr so gut. Kurzum: Wenn wir einen Flächenanteil von 50 Prozent für den Ökolandbau haben, dann könnte das zu einem Preisverfall bei Bio-Erzeugnissen führen. Das Volksbegehren war gut gemeint. Aber gut gemeint ist leider häufig das Gegenteil von gut.