Hat von der Spitze der Grünen-Fraktion in die Regierung gewechselt: Finanzministerin Edith Sitzmann Foto: Lichtgut/Achim Zweygarth

Konsolidieren, Sanieren, Investieren: Das will die neue Finanzministerin Edith Sitzmann mit Grün-Schwarz umsetzen. Dieser Kurs sei schon unter grün-Rot erfolgreich gewesen, sagt die Grünen-Politikerin.

Stuttgart -
Frau Sitzmann, von der Fraktionsspitze in die Finanzpolitik – was reizt Sie daran? -
In meiner politischen Arbeit spielen Finanzen seit Langem eine Rolle, ich war im Finanzausschuss und finanzpolitische Sprecherin. Als Fraktionschefin der Grünen war ich immer bei den Haushaltsberatungen dabei. Das ist ein spannendes Feld, man bekommt überall Einblick.
Ihre neuen Aufgaben sind nicht unbedingt erfreulich. Der Kassensturz zu Beginn der Koalitionsverhandlungen mit der CDU offenbarte ein tiefes Loch im Haushalt. Wie wollen Sie diese Lücke schließen?
Für uns war die Situation nicht überraschend, denn es gab ja Haushaltsberatungen und eine mittelfristige Finanzplanung, und wir wissen, dass es schwierig wird, von 2020 an die Schuldenbremse einzuhalten. Wir müssen den Haushalt konsolidieren und zugleich in wichtige Bereiche investieren, um unser Land gut für die Zukunft zu rüsten.
Die CDU hat den Grünen und der SPD vorgeworfen, in den vergangenen fünf Jahren schlecht gewirtschaftet zu haben...
Nein, Grün-Rot hat solide gewirtschaftet. Wir haben konsolidiert, saniert und investiert, und wir haben es auch geschafft, die strukturelle Lücke, die Kluft zwischen Ausgaben und Einnahmen, die uns CDU und FDP 2011 hinterlassen haben, zu verkleinern. Allerdings ist diese wieder größer geworden durch die stark und vor allem schnell gestiegene Zahl an Flüchtlingen. Das macht sich natürlich im Haushalt bemerkbar.
Ist es da sinnvoll, die neue Regierung aufzublähen – wie Ihr früherer Regierungspartner SPD kritisiert?
Zu den Aufgaben der Opposition gehört es, die Regierung zu kontrollieren und zu kritisieren. Wir haben zwei Minister eingespart und wir haben zusätzliche Staatssekretäre eingestellt. Die Arbeit muss ja gemacht werden.
Wird Grün-Schwarz 2017 neue Schulden machen?
Jetzt laufen gerade die Vorbereitungen für den Haushalt 2017. Da sind noch zu viele Unwägbarkeiten, um das jetzt schon beantworten zu können - etwa bei den Flüchtlingszahlen. Ich werde mir mit meinen Fachleuten in den kommenden Wochen die Zahlen gründlich anschauen.
Im April waren die Steuereinnahmen höher als erwartet. Senkt das die Bereitschaft zu sparen?
Es gab im April einige Sondereffekte, aber wir können 2016 und 2017 mit jeweils mehr als 300 Millionen Euro mehr an zusätzlichen Einnahmen rechnen. Das ist sehr erfreulich, entbindet uns aber nicht der Aufgabe, die drei größten Ausgabenblöcke in den Blick zu nehmen: den Länderfinanzausgleich, den kommunalen Finanzausgleich und die Personalausgaben. Aber auch jedes Fachministerium muss prüfen, ob Aufgaben möglicherweise verzichtbar sind.
Haben Sie da schon Ideen?
Um erfolgreich zu bleiben, müssen wir weiter in Bildung, Infrastruktur – Digitales, Straße und Schiene – und den Erhalt der natürlichen Lebensgrundlagen investieren. Wenn Minister neue Akzente setzen, müssen sie sich auch überlegen, was vielleicht verzichtbar ist.
Bundesfinanzminister Schäuble hat bisher wenig Bereitschaft erkennen lassen, den Vorschlag der Länder aufzugreifen und eine Milliarde zuzuschießen. Hilft da, dass sein Schwiegersohn Thomas Strobl der neuen Landesregierung angehört?
Das kann ich nicht beurteilen. Wir hoffen, dass der Bund dem Vorschlag der Länder für eine Neuregelung bei den Bund-Länder-Finanzbeziehungen zustimmt - Baden-Württemberg hat 2016 eine Milliarde mehr in den Länderfinanzausgleich einbezahlt als 2011. Es war ein großer Erfolg, dass sich die wenigen Geber- und die vielen Nehmerländer auf ein gemeinsames Konzept geeinigt haben. Da erwarten wir schon, dass sich auch der Bund bewegt, damit wir bis 2019 ein neues Finanzausgleichsystem haben.
Würden Sie andernfalls klagen – wie es CDU und FDP immer wieder forderten?
Eine Klage schließe ich nicht aus, sehe sie im Moment aber auch nicht. Es haben sich doch schon 16 Länder geeinigt. Selbst bei einer erfolgreichen Klage wäre die Aufgabe nicht gelöst. Die Politik muss ein neues System finden.
Bei den Kommunen dürfte es kaum leichter werden, sie fordern von Ihnen mehr Unterstützung für die Integration von Flüchtlingen.
Auch hier muss sich der Bund mehr einbringen und Wohnungen, Integrations- und Sprachkurse für Menschen mit einer Bleibeperspektive finanzieren. Wir als Land tun alles, um in Kindergärten und Schulen die Sprachförderung sicherzustellen. Bei dieser Aufgabe müssen alle ihren Beitrag leisten.
Die Kommunen haben erklärt, einiges ließe sich sparen, wenn bürokratische Standards etwa bei der Finanzierung von Ganztagsschulen oder auch bei Flüchtlingsunterkünften abgebaut würden. Wie stehen Sie dazu?
Wir werden uns mit den kommunalen Landesverbänden zusammensetzen und hoffen, bis zum Jahresende Ergebnisse vorlegen zu können.
Der Beamtenbund droht mit einer Klage, wenn Sie bei der Besoldung sparen...
Wir werden mit dem Beamtenbund und den Gewerkschaften darüber sprechen, welchen Beitrag die Beamten leisten können, um den Anstieg der Personalkosten etwas abzubremsen. Diese sind allein seit 2011 aufgrund der Tariferhöhungen um 1,1 Milliarden gestiegen, die Versorgungausgaben um 1,05 Milliarden. Wir haben zuletzt auch über 300 Millionen mehr in die Rücklage für die Pensionen eingezahlt als 2011. Diese ist richtig, hätte aber schon vor Jahrzehnten begonnen werden müssen.
Passt es da, weitere Beamtenstellen zu schaffen – Sie wollen 1500 neue Stellen für Polizisten?
Wir müssen uns in jedem Bereich ansehen, welche Stellen wir benötigen und ob wir umschichten können. Bei der Polizei haben wir verabredet, dass wir bei 1400 Auszubildenden bleiben, damit wir mittelfristig wieder mehr Polizisten haben – das ist aufgrund der Sicherheitslage nötig. Wir haben da noch mit Stellenabbau vor 2011 und einer Pensionierungswelle zu kämpfen.
Viele Lehrerstellen tragen einen kw-Vermerk – künftig wegfallend. Doch die Schülerzahlen sinken weniger als erwartet.
Das ist doch eine erfreuliche Entwicklung. Wir brauchen ja junge Menschen und sollten diese gut ausbilden – Stichwort Fachkräftebedarf. Wir hatten und haben auch noch Nachholbedarf bei den Ganztagsschulen. Durch die Wanderungsbewegungen von der Hauptschule zu anderen weiterführenden Schulen könnten Stellen frei werden. Im Schulamtsbezirk Tübingen-Reutlingen erproben wir derzeit, wie die vorhandenen Lehrerstellen besser verteilt werden können.
2011 hat Grün-Rot die Grunderwerbsteuer von 3,5 auf 5 Prozent angehoben, angeblich planen Sie weitere Erhöhungen.
Die Grunderwerbsteuer ist die einzige Steuer, über die das Land alleine entscheiden kann. Deshalb ist sie natürlich in der Diskussion wie alles andere auch. Aber es gibt keine konkreten Pläne. Man muss auch die Folgen im Blick haben. Mit der Erhöhung 2011 haben wir den Ausbau der Kleinkindbetreuung finanziert, die Kommunen erhalten 68 Prozent der Betriebskosten.
Steuer-CDs und jetzt die so genannten Panama-Papers belegen, dass dem Staat viele Steuern entgehen. Wie wollen Sie die Steuerhinterziehung bekämpfen?
Die 500 zusätzlichen Stellen für die Finanzverwaltung und die Aufstiegsmöglichkeiten, die Grüne und SPD geschaffen haben, waren richtig, ebenso die 2014 eingerichtete Sondereinheit für die Bekämpfung von Steuerhinterziehung. Wir müssen das weiter genau beobachten und Steuerschlupflöcher schließen. Es ist auch für den Zusammenhalt einer Gesellschaft wichtig, dass alle sich gleichermaßen an der Finanzierung staatlicher Aufgaben beteiligen – entsprechend ihrer Leistungsfähigkeit.
Die Grünen im Bund wollen im nächsten Bundestagswahlkampf - wie 2013 – über höhere Spitzensteuersätze diskutieren. Was halten Sie davon?
Wir brauchen ein stabiles und solides Steueraufkommen. Das erfordert ein ausgewogenes Konzept, das die Belastungsgrenze nicht überschreitet. Vor der Bundestagswahl 2013 haben wir an zu vielen Stellschrauben gedreht. Ich werde mich für ein Steuerkonzept einsetzen, das Maß und Mitte hält.
Was heißt das konkret?
Wir dürfen einzelne Gruppen nicht zu sehr belasten und müssen sicherstellen, dass unsere wichtigen kleinen und mittleren Unternehmen wettbewerbsfähig bleiben. Die niedrige Arbeitslosenquote im Land ist eine gute Grundlage für ein erfolgreiches Baden-Württemberg.