Noch schwebt sie über den Wolken. Doch wie lange? Die Amerikanerin Mavis Wanczyk gibt ihren Lottogewinn bei einer Pressekonferenz preis. Foto: dpa

Die Amerikanerin Mavis Wanczyk hat rund 643 Millionen Euro im Lotto gewonnen – und es am Tag nach der Ziehung bei einer Pressekonferenz verkündet. Der Psychologe Stephan Lermer erklärt, warum das keine gute Idee war.

Stuttgart - Mit einem nominellen Gewinn von fast 759 Millionen Dollar (rund 643 Millionen Euro) schreibt die US-Amerikanerin Mavis Wanczyk Lotto-Geschichte – und hört sofort auf zu arbeiten.

Herr Lermer, die Amerikanerin Mavis Wanczyk hat 759 Millionen US-Dollar im Lotto gewonnen. Am Tag nach der Ziehung hat sie ihren Job gekündigt. War das eine unüberlegte Reaktion oder hat sie richtig gehandelt? Immerhin ist sie mit so viel Geld auf dem Konto auf ihren Job wohl nicht mehr angewiesen.
Es scheint schon so zu sein, dass Frau Wanczyk nicht mehr arbeiten wollte. Wenn sie sich in ihrem Beruf hätte entfalten können – zum Beispiel als Leiterin eines Museums – dann hätte es durchaus sein können, dass sie trotz des Gewinns weiter gearbeitet hätte. Aber ihr ging es offensichtlich so wie vielen Menschen, die denken: „Wenn es irgendwie geht, will ich hier weg.“ Natürlich kann die Kündigung auch eine Kurzschlussreaktion gewesen sein, die sie hinterher bereuen wird. Aber vielleicht möchte sie sich jetzt auch erst einmal voll auf dieses Wunder konzentrieren. Denn es ist ein Fulltime-Job zu lernen, mit dieser neuen Situation umzugehen. Auf so einen großen Gewinn ist niemand auf der Welt vorbereitet.
Frau Wanczyk hat nicht nur ihren Job gekündigt, sie hat ihren Gewinn am Tag nach der Ziehung auch in einer Pressekonferenz verkündet. Jeder weiß nun, dass sie Multimillionärin ist. War das ein Fehler?
Es ist natürlich ein menschlich nachvollziehbarer Reflex, diese Neuigkeit in die Welt hinausschreien zu wollen. Man muss sich ihren Gefühlszustand einmal vorstellen: Ein solcher Gewinn liegt jenseits der Vorstellungskraft. Aber es war schon ein großes Eigentor, das öffentlich zu verkünden. In einigen Tagen oder Wochen wird sie das wahrscheinlich bereuen und sich wünschen, die Zeit zurückdrehen zu können. Denn damit hat sie sich selbst sehr viel Stress erzeugt. Ein großer Lottogewinn setzt Unruhe und Neid frei, kann kriminelle Kräfte bis zur Erpressung und Kindesentführung mobilisieren. Darüber hinaus ist jeder Mensch mit mindestens 250 Menschen näher verbunden. Sie alle könnten nun Ansprüche bei der Gewinnerin anmelden. Es wird wohl nicht lange dauern, bis sich der erste meldet und fragt: „Es macht dir ja nichts aus, ein Milliönchen abzudrücken?“ Dazu kommen die Menschen, mit denen sie bisher gar nichts zu tun hatte. In den nächsten Wochen wird Frau Wanczyk per Internet Anfragen aus aller Welt erhalten, in denen sie zum Beispiel darum gebeten werden wird, sich für diese eine Hilfsorganisation einzusetzen oder die Operation jenes lebensgefährlich erkrankten Kindes zu finanzieren.
Wie hätte Frau Wanczyk besser auf ihren Gewinn reagieren können?
Unabhängig von der Einmaligkeit der Situation habe ich drei Empfehlungen. Erstens: Man sollte sich nach dem Gewinn Zeit lassen und möglichst niemandem davon erzählen – höchstens einem sehr engen Vertrauten, der ganz sicher förderlich mit der Information umgeht und nicht egoistisch agiert. Dem Partner zum Beispiel, dem besten Freund oder der Mutter. Zweitens sollte man sich einen Berater suchen – einen unabhängigen Menschen wie den Hausarzt, den eigenen Anwalt, den Pfarrer oder einen Psychologen –, der als persönlicher Coach fungiert und einem als Mentor zur Verfügung steht, bevor man eine Entscheidung trifft. Der einen sozusagen als Regulativ bremst oder unterstützt. Und drittens sollte man sich einen – oder besser zwei – kluge Finanzberater suchen. Denn die wenigsten wissen doch, wie sie ihr Geld anlegen sollen: Sollte man es streuen, es in Gold oder in Immobilien anlegen – oder gar in Bitcoins?
Wenn man diese Ratschläge berücksichtigt – macht ein Lottogewinn dann langfristig glücklich?
Nur, wenn man das Onkel-Dagobert-Syndrom vermeidet: Er schwimmt zwar in einem Pool voller Gold, ist aber einsam. Und das ist auf Dauer fad. Menschen sind kommunikative Wesen, es gehört zu unseren Grundbedürfnissen, uns mit anderen auszutauschen. Die goldene Formel, die über allem steht, lautet: Wenn man andere Menschen glücklich macht, macht man auch sich selbst glücklich. Mit ihrem Gewinn könnte Frau Wanczyk zum Beispiel eine Stiftung gründen, die etwa die Ursachen des Klimawandels bekämpft. Sie könnte sich auch gegen die Beschneidung von jungen Mädchen in Afrika engagieren – je nachdem, was ihren eigenen Interessen entspricht. In dieser Hinsicht könnte sie sich von einem Coach beraten lassen. Sie könnte natürlich auch in sich selbst investieren, um ihr eigenes Leben mehr zu entfalten. Mit einem Sprachtrainer, einem Fitnesstrainer und einem Berater in Umgangsformen könnte sie zum Beispiel ein Jahr lang auf einem Kreuzfahrtschiff um die Welt reisen. Ausschlaggebend ist, dass sie selbst entscheidet, was sie mit ihrem Gewinn anstellt. Jemand ist nur dann vermögend, wenn er Taten vermag. Wenn sie also selbst entscheidet: „Ich möchte diesen Kindergarten stiften oder jene Brücke bauen“ – dann wird sie am ehesten zufrieden sein.