Der Schauspieler Benedict Cumberbatch spielt im Marvel-Kinofilm den Superhelden „Doctor Strange“. Foto: AP

Der britische Filmstar erzählt, wie ihm „Doctor Strange“ für seine Hamlet-Rolle im Theater geholfen hat, was ihm ein halbjähriger Aufenthalt im Kloster gebracht hat und was er für sich persönlich an Alternativen zur Schauspielerei sieht.

Berlin - Kaum ein Schauspieler hat in den vergangenen Jahren eine derart steile Karriere hingelegt wie Benedict Cumberbatch. Seit seinem großen Durchbruch als „Sherlock“ wird der Brite nicht nur im Internet für seine amüsanten TV-Auftritte und smarten Interviews gefeiert, sondern auch auf der Kino-Leinwand. Für seine Darstellung des genialen Mathematikers und Code-Knackers Alan Turing in „The Imitation Game – Ein streng geheimes Leben“ war er im vergangenen Jahr erstmals für den Oscar nominiert, in den „Hobbit“-Filmen lieh er dem Drachen Smaug Mimik und Stimme und für Nebenrollen in so unterschiedlichen Filmen wie „Black Mass“ oder „Zoolander 2“ blieb auch noch Zeit. Dabei stand er 2015 auch noch in London als „Hamlet“ auf der Bühne, für neue Folgen von „Sherlock“ vor der Kamera und wurde erstmals Vater. Nun spielt der 40-Jährige, dessen Ehefrau Sophie Hunter gerade ihr zweites Kind erwartet, in der Comic-Verfilmung „Doctor Strange“ einen Superhelden. Grund genug, uns mit Cumberbatch im Berliner „Soho House“ zum Gespräch zu treffen.

Mr. Cumberbatch, eines Tages mal ein Superheld sein – stand das ganz oben auf Ihrer To-Do-Liste?
Im Gegenteil. Das war ein Traum, der wahr wurde, ohne dass ich ihn je gehabt hätte. Als Kind habe ich mich mal als Batman verkleidet, aber darüber hinaus waren meine Superhelden-Ambitionen eigentlich nie gegangen. Ohnehin gibt es in meinem Leben eigentlich nur sehr wenige Dinge, die ich unbedingt einmal tun oder erreichen will. Was Rollen als Schauspieler angeht, fällt mir nur „Hamlet“ ein. Das war tatsächlich ein Ziel, das ich hatte.
Das Sie dann ja 2015 erreichten, als Sie in dem Shakespeare-Stück am Londoner Barbican Theatre zu sehen waren.
Tatsächlich war mir diese Rolle sogar so wichtig, dass ich dafür zunächst sogar „Doctor Strange“ absagte. Als die Produzenten bei Marvel mir die Titelrolle in ihrem Film anboten, waren wir schon so weit in der Planung mit dem Theaterstück, dass ich unmöglich einen Rückzieher machen konnte. Abgesehen davon wollte ich mir einfach nicht die Chance entgehen lassen, endlich einmal Hamlet zu spielen. Dass man das bei Marvel verstanden und dann tatsächlich zum ersten Mal in der Firmengeschichte einfach den Drehbeginn und damit auch den Kinostart verschoben hat, war ein enormes Glück.
Beeinflussen sich Ihre Arbeit auf der Bühne und die vor der Kamera gegenseitig?
In gewisser Weise sicherlich. Die Proben zu „Doctor Strange“ liefen schon, als ich abends noch in London als Hamlet auf der Theaterbühne stand. Da hatte ich täglich Fitness- und Kampftraining, außerdem studierte ich Stunts und Choreografien. Ob ich ohne dieses straffe Programm den üblichen Theaterstress so spielend und ohne Erkältung überstanden hätte, weiß ich wirklich nicht. Ich fühlte mich blendend. Und das, obwohl unser Sohn damals gerade erst geboren war und mich natürlich bevorzugt vor dem Wecker weckte. Allerdings will ich hier auch nicht zu dick auftragen, schließlich war die wahre Superheldin in diesem Fall eher meine Frau.
Was gefiel Ihnen eigentlich so sehr an der Rolle des „Doctor Strange“, dass Sie sich gleich auf einen Vertrag über mehrere Filme eingelassen haben?
Ich mochte die Entwicklung, die er durchmacht: vom eingebildeten, arroganten Egoisten, der bei allem Charme und Witz in seinem selbst gebauten goldenen Käfig gefangen ist, zu jemandem, der zwar kaum weniger einzelgängerisch ist, dies aber selbst gewählt hat, um Gutes zu tun. Das alleine wäre für einen Schauspieler schon eine reizvolle Herausforderung. Ganz zu schweigen von allem, was er auf diesem Weg durchmacht und erleidet.
Sie meinen den körperlichen Aspekt der Rolle?
Es ist ja nicht so, dass ich nicht schon die eine oder andere Actionszene gedreht habe. Doch nichts davon lässt sich mit dem vergleichen, was ich in „Doctor Strange“ zu bewältigen hatte. Unter anderem musste ich mich ins sogenannte Gravity Rig schnallen lassen, das ist dieser Kran, an dem Sandra Bullock den halben Dreh über zubrachte, als sie für den Film „Gravity“durchs All taumelte. So etwas hatte ich als Schauspieler noch nie erlebt, was ich natürlich immer schon einmal per se reizvoll finde. Aber trotzdem ist Strange für mich viel mehr als bloß ein Actionheld.
In welcher Hinsicht?
Man sieht in einem Superhelden-Film aus dem Hause Marvel nicht aller Tage, wie jemand wirklich derart am Ende ist. Strange ist labil, er hat den Bezug zu sich selbst verloren und ist sogar der Frau, die er eigentlich liebt, gegenüber unfassbar ungerecht. Solche rohen Emotionen, diese Verletzlichkeit – das ist schon ungewöhnlich düster für einen Film dieser Art. Und eine unerwartet nuancierte Darstellung einer solchen Figur.
Der Film hat ja durchaus eine spirituelle Seite. Genau wie Strange haben auch Sie einmal Zeit in einem Kloster verbracht.
Das stimmt, zwischen meinem Schulabschluss und dem Beginn meines Studiums war ich für sechs Monate in einem tibetischen Kloster und habe dort Englisch unterrichtet. Also sehr viel freiwilliger als Strange.
Eine gute Erfahrung?
Eine ganz fantastische. Ich habe in dieser Zeit so viel mehr gelernt als ich dort irgendwem beibringen konnte. Schon vorher hatte ich ein gewisses Interesse an fernöstlicher Spiritualität und den damit einhergehenden Traditionen. Aber aus nächster Nähe mitzuerleben, das unser protestantischer Weg eben längst nicht der einzige Weg ist, die Fragen des Lebens zu beantworten, das war noch einmal etwas ganz anderes. Es ist natürlich ein Klischee, dass man als junger Mann in diesem Alter auf der Suche nach sich selbst ist, aber es ist eben doch etwas dran, und die Zeit im Kloster hat mir wirklich dabei geholfen, auch bei mir anzukommen.
Haben Sie etwas von dieser Spiritualität mit in Ihr heutiges Leben übernommen?
Ja, die Meditation, auch wenn ich die mal mehr und mal weniger intensiv betreibe. Achtsamkeit, gerade auch sich selbst gegenüber, ist etwas ganz wichtiges, und ich finde es erfreulich zu sehen, dass das inzwischen auch immer mehr in den westlichen Kulturen angekommen ist. Dabei muss es ja auch gar nicht um eine konkrete Form der Meditation gehen oder um Gebete. Jeder Moment des Innehaltens und Sich-Besinnens ist Gold wert. Nicht nur, aber eben gerade auch als Schauspieler, wenn man sich von einer Minute zur nächsten in einen vollkommen anderen Zustand versetzen muss.
Klingt fast so, als würden Sie sehr in sich ruhen. Würde es Sie trotzdem aus der Bahn werfen, wenn Sie – wie Strange – plötzlich Ihren Beruf nicht mehr ausüben könnten?
Bei mir wäre es sicherlich die Stimme, deren Verlust mich in meiner bisherigen Tätigkeit am meisten beeinträchtigen würde. Aber ich hoffe nicht, dass ich dann vor dem Nichts stehen würde. Ich könnte mich zum Beispiel anderen Leidenschaften widmen, die ich in den letzten Jahren sehr vernachlässigt habe, etwa der Malerei. Außerdem hätte ich nicht das geringste Problem damit, einfach als Hausmann zu Hause zu bleiben und mich um den Nachwuchs zu kümmern, während meine Frau wie gewohnt arbeitet. Dass soll nicht heißen, dass ich die Schauspielerei nicht vermissen würde. Aber mein Beruf ist eben – anders als zunächst für Strange – nicht mein einziger Lebensinhalt.

Das Gespräch führte Patrick Heidmann.