Im Fußball-Bundesligaspiel beim VfB Stuttgart (Sonntag, 15.30 Uhr/Sky) feiert Darmstadt-Trainer Dirk Schuster ein rundes Jubiläum auf der Trainerbank. Der Trainer, der sich in Stuttgart bestens auskennt, lebt seiner Mannschaft eiserne Disziplin vor.
Stuttgart - Herr Schuster, steht Ihre Laufstrecke für den kommenden Sonntag schon fest?
Ja, die steht. Ich kenne mich in Stuttgart schließlich noch ganz gut aus.
Was hat es mit dem Ritual auf sich, mit Ihrem Co-Trainer am Spieltag 15 Kilometer joggen zu gehen?
Es hat sich fest etabliert, dass Sascha Franz und ich schon früh morgens um 6 Uhr zum nächstgelegenen Flughafen rennen. In dieser Zeit klingelt kein Handy, da können wir beide uns wunderbar austauschen.
Damit leben Sie Ihren Spielern eiserne Disziplin vor.
Ich will das nicht zu hoch hängen. Aber klar ist: Ich verlange auch von den Spielern Disziplin, Vertrauen, Respekt, Ehrlichkeit, Pünktlichkeit.
Das heißt, Sie müssen von Ihrer Jogging-Runde zum Frühstück zurück sein.
Aber selbstverständlich. Wenn ich Regeln aufstelle, muss ich mich auch selbst dran halten.
Haben Sie Ihre Mannschaft, ähnlich wie der VfB-Kollege Zorniger in dieser Woche, auch schon um 4.15 Uhr trainieren lassen?
Nein, es hat sich bisher aber auch nicht ergeben, dass wir so spät nachts von einem Spiel zurückgekommen sind.
Mit Alexander Zorniger hatten Sie schon einige heiße Duelle.
Das stimmt. Als er bei der SG Sonnenhof Großaspach Trainer war und ich bei den Kickers ging es in diesen Regionalliga-Derbys meistens hoch her.
Dass Sie beide sich jetzt in der Bundesliga gegenüberstehen . . .
. . . hätte damals wahrlich keiner gedacht.
Können Sie sich denn noch an den 18. Mai 2013 erinnern?
(zögert) Kann es sein, dass wir da gegen Arminia Bielefeld den Aufstieg in die zweite Liga perfekt gemacht haben?
Das war ein Jahr später, am 18. Mai 2013 waren Sie mit Darmstadt 98 nach einem 1:1 gegen die Stuttgarter Kickers sportlich in die Regionalliga abgestiegen.
Unglaublich, dass das erst so lange her ist. Ich muss mich manchmal selbst noch ein bisschen kneifen, dass wir diese sensationelle Entwicklung genommen haben, jetzt in der Bundesliga spielen und schon 13 Punkte gesammelt haben – ohne dass ein Konzern Millionen in unseren Verein pumpt.
Offenbar haben sich in Darmstadt gleichgesinnte Menschen zusammengefunden, die zusammen gehören.
Das trifft es ziemlich gut. Viele Spieler, die woanders keiner mehr wollte, sind sozusagen auf dem zweiten Bildungsweg zu uns gekommen. Jeder einzelne wusste von vornherein, dass es nur mit knallharter Arbeit geht. Alle können stets in den Spiegel schauen und sagen: Wir haben zumindest alles versucht. Diese Mentalität, dieser Charakter unserer Mannschaft ist seit drei Jahren nahezu unverändert.
Gibt es eigentlich noch die „Du musst kämpfen“-Motivationsbändchen?
Die hat uns ein krebskranker Darmstädter Junge vor den Aufstiegsspielen gegen Bielefeld geschenkt. Die tragen wir heute noch.
Zieht auch das Team hinter dem Team mit?
Nur so funktioniert es. Wir haben kurze Entscheidungswege, keinen aufgeblähten Verwaltungsapparat, wir arbeiten auf allen Ebenen vertrauensvoll zusammen.
Und Ihr Vater Eberhard ist immer noch der „Chefscout“?
(lacht) In der vergangenen Saison bestand unsere Scouting-Abteilung tatsächlich nur aus ihm und dem Papa meines Assistenten. Inzwischen haben wir drei, vier weitere Personen dazugewonnen.
Ihre Spieler müssen ständig ans Limit gehen, immer in den roten Bereich. Ist das in der Bundesliga auf Dauer durchzuhalten?
Uns hat man schon in der dritten und in der zweiten Liga prophezeit: Irgendwann brecht ihr zusammen. Nein, wir sind nun mal Letzter in der Etattabelle, Letzer was den Marktwert der Spieler betrifft und auch in der Infrastruktur hinken wir weit hinterher. Wir wissen ganz genau, dass wir immer ans Limit gehen müssen, sonst haben wir nicht den Hauch einer Chance.
Zauberfußball spielen andere.
Wir können aus Darmstadt kein Hochglanzprodukt zaubern. Was bringen uns 70 Prozent Ballbesitz und Tiki-Taka-Fußball, wenn wir hinterher die Hucke vollbekommen? Bei uns geht es nur mit hoher Laufbereitschaft, taktischer Disziplin, Zweikampfstärke und einer kompakten Defensive.
Mit Ihrem Kapitän Aytac Sulu als Vorkämpfer?
Sinnbildlich habe ich mal gesagt: Er hört erst auf für die Mannschaft zu kämpfen, wenn er den Kopf unter dem Arm trägt. Er verkörpert unser Motto Mentalität schlägt Qualität und hat wie beispielsweise Jerome Gondorf, Toni Sailer oder Dominik Stroh-Engel unseren Durchmarsch maßgeblich mitgetragen.
Sie haben die Mannschaft weiterentwickelt, mancher Aufstiegsheld sitzt jetzt nur noch auf der Bank oder der Tribüne. Ein Problem?
Als die Spieler ihre Verträge verlängert haben, haben sie gewusst, dass sie zwar einen kleinen Aufstiegsbonus haben, aber dass die Qualität im Kader steigt, der Konkurrenzkampf ungleich größer sein wird. Die Spieler gehen damit professionell um.
Sie richten Ihre Spielidee nach den vorhandenen Möglichkeiten aus. Verfährt der VfB nicht genau nach dem anderen Strickmuster?
Jeder Trainer hat seine eigene Idee. Aber ich finde schon, dass der VfB sein System etwas modifiziert hat. Dieser brutale Offensivfußball wie etwa noch gegen Schalke 04, als die Mannschaft sieben, acht klare Torchancen versiebt hat, sehe ich nicht mehr.
Alexander Zorniger prophezeite, dass es gegen Darmstadt noch „ekelhafter“ werde, als im DFB-Pokal in Jena?
Wir werden alles dafür tun, dass er recht behält. Klar ist, dass der VfB eine höhere individuelle Qualität besitzt. Ich freue mich auf ein sehr intensives, taktisch attraktives Spiel.
Am Sonntag sitzen Sie zum 100. Mal in einem Punktspiel der Lilien auf der Bank. Was wollen Sie noch erreichen?
Ich möchte mich und den Verein weiterentwickeln. Wir bekommen ein neues Stadion, sind auf einem guten Weg und noch nicht am Ende der Fahnenstange. Natürlich sind die Möglichkeiten in Köln oder Stuttgart größer als bei uns, aber die Aufgabe hier macht Riesenspaß und eines ist sicher: Wir wollen am Ende der Saison aus dieser Liga nicht raus.