SPD-Vize Aydan Özoguz kritisiert die Doppelpass-Pläne der CDU. Foto: dpa

Aydan Özoguz, die Integrationsbeauftragte der Regierung, fordert, Erdogans Eskalationsstrategie nicht auf den Leim zu gehen – und sieht doch, dass sie teilweise bereits aufgeht.

Berlin - Die Integration der Türken ist Aydan Özoguz zufolge besser gelungen als viele denken. Wenn es noch hake, sei das nicht nur die Schuld der Migranten.

Frau Özoguz, wie fühlt es sich an, wenn das Land, aus dem Ihre Eltern stammen, sich vom Land abwendet, in dem Sie nun leben?
Traurig. Ich habe meine familiären Wurzeln in der Türkei, dort schöne Urlaube verbracht, kenne die Sprache, die Kultur. Das Erschreckende ist für mich die komplette Umkehr von der insgesamt positiven Entwicklung, die die Türkei seit meiner Kindheit durchmachte. Das hätte ich mir nicht vorstellen können.
Hätte man die jüngste Eskalation verhindern können?
Die Hinhaltetaktik der EU gegenüber der Türkei hinsichtlich eines EU-Beitritts über Jahrzehnte hinweg war sicherlich verkehrt. Da waren Europa und Deutschland nicht ehrlich, weil es eben doch Bedenken wegen der Größe des Landes, des Bildungsniveaus, und ja, auch wegen des Glaubens seiner Bürger gab. Das wurde aber nie so offen und ehrlich von der EU gesagt, und doch wissen es alle. Diese Situation wusste Erdogan für sich zu nutzen.
Die Abstände zwischen immer neuen Eskalationsstufen werden immer kürzer.
Die Situation ist schlimm. Die Äußerungen aus Ankara sind immer schizophrener und radikaler geworden. Das Kalkül dahinter scheint zu sein, eine Verschlechterung der europäisch-türkischen Beziehungen zu provozieren für etwas, das Erdogan möglicherweise schon länger vor hatte: Das Präsidialsystem hat er sich ja nicht erst in den letzten sechs Monaten ausgedacht.
Das hört sich wenig hoffnungsfroh an.
Man muss unterscheiden: Auf der politischen Ebene ist es derzeit wirklich schlimm, obwohl die Bundesregierung viel dafür tut, dass die Lage nicht weiter eskaliert. Auf der anderen Seite gibt es hier wie dort Millionen von Menschen, die beide Seiten kennen. Diese Verbindungen zwischen beiden Ländern sind sehr intensiv und immer noch gut.
Sie verteidigen die Deeskalationsbemühungen, die aber eine Eskalation nicht verhindert haben. Wäre es also doch besser gewesen, Erdogan früher Kontra zu geben?
Das wurde doch gemacht. Es wird nicht alles öffentlich, was in direkten Gesprächen an deutlichen Positionen ausgetauscht wird. Einige in der Bundesregierung können das auch tun, weil sie die Türkei richtig gut kennen und gute Gesprächskontakte haben. Das Problem ist doch, dass Erdogan es darauf anlegt, Deutschland in die Eskalationsspirale zu ziehen, weil es ihm nutzt, ein Feindbild aufzubauen.
Ist es ein Zeichen gescheiterter Integration, wenn viele Türken in Deutschland eher für ihn als das Grundgesetz schwärmen?
So pauschal kann und darf man das nicht sagen: Viele machen das an der Zahl fest, dass 340 000 Türken in Deutschland Ende 2015 Erdogans AKP gewählt haben. Bei drei Millionen Türkeistämmigen ist das definitiv keine Mehrheit. Es ist auch seltsam daraus zu folgern, dass jeder, der einmal die AKP gewählt hat, nun automatisch ein Präsidialsystem à la Erdogan will. Das ist eine Gleichung, die nur Erdogan nützt. Wir dürfen seinen Spaltungsversuchen nicht auf den Leim gehen.
Die Stimmung ist doch längst aufgeheizt.
Es gibt eine tiefe Spaltung, die durch Familien und Freundeskreise geht – aber nicht nur unter den Türkeistämmigen. Wenn wir hören, dass manche Deutsche nun pauschal „den“ Türken etwas zuschreiben, beschleicht mich das Gefühl, dass Erdogan gerade Erfolg mit dem hat, was er tut.
Woran machen Sie fest, dass Integration besser gelingt, als viele denken?
An den Schulabschlüssen. Wir haben zwar noch zu viele Schülerinnen und Schüler, die keinen oder einen schlechten Abschluss machen. Aber die Situation hat sich verbessert. Es sind deutlich mehr geworden, die gute Abschlüsse hinlegen. Um wirklich teilhaben zu können, braucht es gute Bildungsabschlüsse, auch in Ausbildung oder Studium.
Woran hakt es vor allem noch?
Natürlich muss man kritisieren, wenn jemand kein Integrationsinteresse zeigt, faul in der Schule ist oder immer nur die Schuld bei anderen sucht. Aber wir müssen uns auch an die eigene Nase fassen, ob wir wirklich allen, egal welcher Herkunft, die gleichen Chancen geben. Ich bin zum Beispiel sehr dahinter her, dass sich der öffentliche Dienst stärker für Menschen mit familiärer Einwanderungsgeschichte öffnet. Nicht akzeptabel ist auch, dass viele Bewerberinnen und Bewerber nicht zum Vorstellungsgespräch zur Ausbildung oder zum Job eingeladen werden, wenn sie einen türkisch oder arabisch klingenden Namen haben.
Die CDU sieht die Bringschuld bei den Migranten und will ein Bekenntnis zu Deutschland. Dafür soll die Möglichkeit zweier Staatsangehörigkeiten beschränkt werden. Im Gespräch ist eine Entscheidungspflicht in der dritten Generation. Wie stehen Sie dazu?
Ich hätte mir als Teil der zweiten Einwanderergeneration durchaus vorstellen können, dass man den nachfolgenden Generationen diese Entscheidung abverlangt. Aber jetzt, nachdem diese Möglichkeit für die dritte Generation mit der weitgehenden Abschaffen der Optionspflicht gerade erst eingeführt wurde, das sofort wieder zurückzudrehen, finde ich unfair und unehrlich. Die CDU hat diese Passdebatte schon in vielen Wahlkämpfen gegen die Türken gerichtet. Wenn sie das jetzt wieder tut, beweist sie eigentlich nur, dass sie gegen Türkeistämmige in Deutschland ist. Natürlich bin ich gern bereit ernsthaft über die Zukunft des Staatsbürgerschaftsrechts zu diskutieren – aber wenn die CDU damit jetzt im Wahlkampf wieder anfängt, ist das nicht glaubwürdig.