Alexander Zverev jubelt über den Einzug ins Halbfinale. Foto: AFP/Al Bello

Alexander Zverev steht im Halbfinale der US Open. Ex-Weltklassespieler Tommy Haas erklärt im großen Interview, warum er dem Hamburger auch den Turniersieg zutraut.

Stuttgart - Thomas Haas verfolgt die US Open, bei denen Alexander Zverev an diesem Freitag im Halbfinale auf den Spanier Pablo Carreño Busta trifft. Der ehemalige Weltklassespieler glaubt, dass sogar der Turniersieg drin ist. Zverev macht einen guten Eindruck auf ihn.

 

Herr Haas, wie hart trifft Sie die Corona-Krise in den USA?

Das ist ein schwieriges Thema für uns alle Menschen auf der Welt. Wir kommen „ganz gut“ damit zurecht, denn es ist schön, viel Zeit mit Familie zu verbringen und fast jeden Tag zu Hause zu sein. Zwischendurch war ich auch ein bisschen unterwegs, etwa bei dem Einladungsturnier bett1Aces in Berlin. Dort konnte ich mal wieder Tennis spielen. Das macht mir nach wie vor sehr viel Spaß. Ich halte mich damit auch etwas fit.

Die Einschränkungen stören Sie nicht?

Die Beschränkungen beim Rausgehen, Menschen zu treffen, Freunde zu sehen und zu reisen sind für jeden Menschen nicht einfach, aber natürlich zu respektieren. Auch an die Maske beim Einkaufen muss man sich gewöhnen, aber ich komme gut damit klar. Für meine Zehnjährige Tochter ist das Home-Schooling eher ein Problem. Die Schule vor dem Computer machen zu müssen, das stimmt sie und mich etwas traurig, denn sie vermisst ihre Freunde.

Haas lobt das Grundlinienspiel von Zverev

Wenn Sie viel zu Hause sind, haben Sie auch Zeit, die US Open zu verfolgen. Überrascht Sie Alexander Zverev, der im Halbfinale steht?

Ich finde es toll, was er da macht.

Ist er reifer geworden oder liegt es daran, dass viele Topspieler wegen Corona nicht am Start sind?

Man verbessert sich jedes Jahr, auch Alexander Zverev wird jedes Jahr schlauer. Er weiß natürlich, was er zu tun hat, um seine Ziele zu erreichen. Und das große Ziel eines jeden Spielers ist, so ein Grand-Slam-Turnier zu gewinnen. Alexander spielt solide von der Grundlinie, er bewegt sich gut und sieht topfit aus. Er hat sich in den Monaten sicherlich gut vorbereitet für die Zeit, in der es wieder losgeht. Im Viertelfinale gegen Borna Coric, gegen den er in der Vergangenheit schon Probleme hatte, hat er eine beeindruckende mentale Stärke gezeigt. Die ist nötig, um weit zu kommen in einem Grand-Slam-Turnier. Er kann ins Finale kommen und es gewinnen. Ich habe so ein Endspiel leider nie erreicht.

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Spürt er seine Chance?

Alle Spieler im Halbfinale spüren ihre Chance. Rafael Nadal und Roger Federer sind nicht dabei. Und was Novak Djokovic angeht, da haben wir es noch nie erlebt, dass sich ein Topspieler so verabschiedet hat. Es war pures Pech für ihn, dass er den Ball so auf die Linienrichterin gespielt hat. Er war sauer auf sich. Aber so etwas kann passieren. Und jeder Spieler weiß auch, dass er sofort disqualifiziert wird, wenn er jemanden trifft. Wenn die drei Topspieler also nicht mehr da sind, dann wissen die anderen, dass sie das Turnier gewinnen können.

„Schon sehr viel geleistet“

Würde Zverev den Pokal holen, wäre das ein Moment, der seine Karriere beflügeln könnte?

Alexander ist schon seit vielen Jahren ein Weltklassespieler, das darf man nicht vergessen. Er hat schon das Masters gewonnen, bei dem die ersten acht Topspieler dabei sind. Ich glaube, wenn wir alle vor dem Fernseher sitzen und das Tennis beobachten, denken wir immer, wir sind die besseren Experten, und es ist sehr leicht, irgendetwas dazu zu sagen – aber Alexander hat schon sehr viel geleistet und alle Topspieler besiegt. Es war nur eine Frage der Zeit, bis er sich bei den großen Turnieren als Spieler etablieren kann, der sie auch gewinnen kann. Anfang des Jahres hat er bei den Australian Open auch schon das Halbfinale erreicht und dort ein gutes Match gegen Dominic Thiem gespielt.

Ist der Titel in diesem Jahr weniger wert, weil Nadal und Federer nicht dabei sind und Djokovic bereits draußen ist?

Ich glaube, ja und nein. Journalisten und ehemalige Spieler werden vielleicht sagen: Okay, die Topspieler waren nicht dabei und so weiter. Optimal wäre natürlich, wenn ein Spieler der jüngeren Generation mal in einem Finale einen Nadal oder Djokovic schlägt, dann würden alle sagen: Wow, stark, der nächste Superstar ist geboren! Aber wenn ein Zverev oder ein Thiem in fünf Jahren zurückschaut und sich daran erinnert, dass er Grand-Slam-Champion ist, dann wird sicher keiner mehr daran erinnern, ob Nadal mitgespielt hat oder nicht. Wer auch immer den Titel gewinnt – er hat ihn verdient.

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Sollte Zverev es schaffen, würde das dem deutschen Tennis möglicherweise einen Schub geben?

Das kann ich nicht beurteilen. Ich weiß nicht, wie oft ich es selber schon als Spieler gehört habe, dass es da einen Schwung gegeben haben soll, etwa als ich mal die Nummer zwei der Welt war oder nach Angelique Kerbers Wimbledonsieg vor zwei Jahren. Das sind Fragen, bei denen ich nicht mithalten kann. Ich glaube, Tennis ist nach wie vor weltweit eine der größten Sportarten und auch in Deutschland sehr beliebt.

Optimistischer Blick in die Zukunft

Was ist Zverev für ein Typ?

Er hat einen unglaublichen Weg gemacht. Er ist eine Erscheinung, ein fescher Junge, dazu sehr groß. Und er hat ein gutes Team um sich herum. Er hatte schon vor einigen Jahren eine große Reife. Nun kommt die mentale Stärke dazu, die ihn zu einem jungen Mann macht. Er ist ein selbstbewusster Zeitgenosse, der sein Leben genießt, aber auch dankbar ist, dass er Tennisprofi geworden ist. Wenn er gesund bleibt, werden wir noch viele Jahre großes Tennis von ihm sehen.

Michael Stich, Tommy Haas, Alexander Zverev – warum kommen so viele gute Spieler aus Hamburg?

Gute Frage. Wenn man da aufwächst und ein Turnier hat wie das am Rothenbaum, dann hat man das Ziel, unbedingt dort zu spielen und es auch zu gewinnen. Michael hat es sogar geschafft. Ich bin zwar mit elf Jahren nach München gegangen und dann nach Amerika, aber auch mich hat das Turnier am Rothenbaum als Siebenjähriger begeistert. Ich sah da schon meine Idole spielen – und das live. Ich glaube, in Hamburg haben viele Trainer gute Arbeit gemacht. Es braucht diese Leute, die sich um den Nachwuchs kümmern und sich für ihn reinhängen, auch wenn die Spieler nicht ihre eigenen Kinder sind. Wir alle wurden aber auch von unseren Eltern extrem unterstützt.

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Fehlt nur noch, dass der HSV wieder in die Fußball-Bundesliga aufsteigt.

Man dachte ja schon in den vergangenen zwei Jahren, dass es passiert. Hoffentlich klappt es irgendwann mal wieder. Ich bin zwar eher Bayern-Fan, aber es tut mir leid, wenn eine Stadt wie Hamburg, die womöglich die schönste Deutschlands ist, so einen Club hat, von dem man sagt: Mein Gott, wie lange wollen die da noch in der zweiten Liga rummachen? Das ist traurig.