Dass er sich für die Preisverleihung in London einen Smoking ausleihen muss, findet Robert Seethaler eher unangenehm . Foto: dpa

Am Montag wird der Man Booker International Prize verliehen. In diesem Jahr ist mit Robert Seethaler nach langer Pause wieder einmal ein deutschsprachiger Autor nominiert: Ein Gespräch mit dem Österreicher über seinen Roman „Ein ganzes Leben“, die Mühen des Schreibens und die bevorstehende Reise nach London.

Stuttgart - Noch nie hat ein deutschsprachiger Autor den Man Booker International Prize gewonnen. Am Montag könnte der österreichische Autor Robert Seethaler für seinen Roman „Ein ganzes Leben“ mit dieser Auszeichnung geehrt werden. Robert Seethaler ist ein eher scheuer Autor, der sich ungern in der Öffentlichkeit präsentiert. Dabei machte der gebürtige Wiener zunächst als Schauspieler von sich reden. Ohne Rummel freilich wird es nicht abgehen, sollte Seethaler – nach Günter Grass und Peter Stamm erst der dritte deutschsprachige Nominierte – in London tatsächlich einen der bedeutendsten Literaturpreise weltweit gewinnen.

 
Herr Seethaler, „Ein ganzes Leben“ ist ein schmales Buch. Wie viele Manuskriptseiten haben Sie am Ende gestrichen?
Nichts. Ich schreibe von vornherein nicht viel. Es gibt von Beginn an die Mühsal des Weglassens. Man muss sich entscheiden: Was ist wirklich wichtig an dieser Szene? Was ist die Essenz dieses Mannes? Was ist die Essenz des Daseins? Es geht darum, sich immer wieder durchzuwühlen gegen die Unnötigkeiten des Lebens.
Die Hauptfigur Andreas Egger ist ein von Schicksalsschlägen gebeutelter Mann. Interessiert Sie das Extreme besonders?
Jedes Leben reduziert sich auf das pure Dasein, das ist es, was mich interessiert, der Kern des Daseins, wenn es den gäbe. Fast alle Menschen werden einmal mit Krankheit und Tod konfrontiert, haben schreckliche Verluste zu beklagen. Ich wollte immer wissen, wie ein Individuum mit solch einer Herausforderung umgeht. Ich glaube daran, dass man durchgehen kann und muss – und unter Umständen sogar gestärkt aus solchen Ereignissen hervorgeht. Das ist nicht romantisierend, das ist die Vorstellung, die ich habe. Letztlich geht es immer nur um dasselbe – um Überleben, um Liebe und Tod.
Gibt es Vorbilder, an denen Sie sich als Autor orientiert haben?
Nein, ich komme aus einer ganz einfachen Arbeiterfamilie. Für mich ist auch jetzt der Beruf des Schriftstellers geradezu etwas Absurdes. Wenn mich jemand fragt: Was machen Sie denn beruflich? Und ich sage: Ich bin Schriftsteller. Die Worte stehen seltsam fremd leuchtend vor mir. Ich betrachte sie als etwas völlig Außergewöhnliches, nicht zu mir Gehörendes.
Hat sich das nach mittlerweile fünf Büchern nicht geändert?
Es ist eher sogar noch intensiver geworden. Ich kann es vor mir selbst nicht länger verleugnen. Ich lebe schließlich vom Schreiben. Die Zuschreibung lässt sich also nicht mehr zurückweisen, aber es kommt mir immer noch komisch vor.
Die Schauspielerei – Ihren zunächst erlernten Beruf – haben Sie fast ganz aufgegeben. Warum das?
Ich habe unter der Schauspielerei immer auch gelitten, mich in den Boden hinein geschämt. Das sind schlechte Voraussetzungen, um auf der Bühne zu stehen.
Wofür haben Sie sich geschämt?
Die Scham hat kein konkretes Objekt, an die sie sich hängt. Sie ist wie eine Energie, die alles durchdringt. So habe ich das empfunden. Ich habe mich nie für ein Tun oder Nichttun geschämt, sondern für das pure Sein, für mich selbst. Und dann angesehen zu werden auf der Bühne, im Licht – das ist natürlich fürchterlich.
Haben Sie durch diese Erfahrung irgendwas fürs Schreiben gelernt?
Ich habe gelernt, wie man es nicht machen soll. Nämlich sich ausschließlich an der Oberflächlichkeit des Lebens zu bewegen. Beim Schreiben kann ich verweilen, in die Tiefe gucken, in die Tiefe meiner selbst und meiner Figuren.
Färbt Ihr Schreiben auf Sie ab – zu solch einer Zufriedenheit hin, wie Sie für Ihren Helden Andreas Egger kennzeichnend ist?
Wenn es denn nur so wäre. Manchmal allerdings hoffe ich es. Ich kann mittlerweile versöhnt auf vieles zurückblicken. Das konnte ich in der Vergangenheit nicht. Die Grundwut, die früher in mir gewühlt hat, die hat sich geglättet und ist ein bisschen ausgekühlt. Das ist so eine Wechselwirkung: Meine eigene Versöhntheit wirkt sich auf das Schreiben aus und das Schreiben der Geschichten hat wieder eine Wirkung auf mich – hoffentlich.
Wo kommt die Grundwut her?
Wenn ich das nur wüsste. Hat aber nicht jeder Mensch so eine Grundwut in sich? Es gibt da so ein paar Erklärungsversuche, aber die bleiben alle hilflos und erzählen nicht die Wahrheit.
Sie haben auch einige Drehbücher verfasst. Reizt Sie das noch immer?
Es gibt immer wieder Gedanken, doch noch eines zu versuchen. Aber es ist schwer, weil man so vielen äußeren Umständen unterworfen ist. Man muss sich mit Redakteuren ärgern und irgendwelchen Leuten, die da reinquatschen. Ich bin eher ein Einzelgänger und will meine eigenen Geschichten entwickeln. Ob ich noch einmal die Kraft aufbringe, weiß ich nicht. Ich sollte das Drehbuch zu meinem Roman „Der Trafikant“ schreiben, das habe ich abgelehnt, mir war das zu nah.
Wann haben Sie eigentlich mit dem Schreiben begonnen?
Das war ein langer Prozess. Es gab so diffuse Träume, man könnte auch mal ein Buch schreiben. Aber ich hätte es mir selbst nicht zugetraut. Ich hatte nie diese Eloquenz, nie diese Selbstüberhöhung, der Welt viel mitteilen zu können. Dementsprechend schreibe ich meine Bücher. Ich muss die Sätze eher zusammenzimmern. Da fließt nichts raus. Das ist schwere Arbeit, da am Schreibtisch zu sitzen und sich all dem zu stellen, all diesen Träumen und Fantasien, die ja nicht nur das Schöne bedienen. Abgesehen davon, dass es für mich schon schwere Arbeit ist, einen geraden Satz zusammenzubekommen.
Wie meinen Sie das?
Ein gerader Satz ist für mich immer ein einfacher Satz, der alles enthält, was er enthalten soll. Im Grunde genommen versuche ich nur, den Bildern, die in mir auftauchen, zu folgen und sie so genau wie möglich zu beschreiben und den ganzen Firlefanz drum herum wegzulassen, und das ist schwer. Man muss lange die Spannung in sich tragen für einen Roman. Da schreibt man dann den letzten Satz hin und sinkt schließlich vom Schreibtischstuhl hinunter auf den Teppich.
Nach all der Mühsal – der große Erfolg: „Ein ganzes Leben“ wurde zum Bestseller, nun sind Sie für den Man Booker International Prize nominiert. Was bedeutet Ihnen das?
Solche Ehrungen haben immer etwas Abstraktes. Trotzdem sind sie schön. Da gibt es offensichtlich jemanden, der meine Bücher mag. Allerdings muss ich mir in London einen Smoking ausleihen und ihn dann auch tragen. Das ist unangenehm.