In der Flugrouten-Debatte geriet Christof Bolay, Vorsitzender der Fluglärmkommission, heftig in die Kritik. Im Interview spricht er über seine Rolle und über die begrenzten Möglichkeiten des Gremiums.
Tiefe Gräben hat die Flugrouten-Debatte im Kreis Esslingen hinterlassen. In der Diskussion stand Christof Bolay, Oberbürgermeister der Stadt Ostfildern und seit 2009 Vorsitzender der Fluglärmkommission (FLK) für den Flughafen Stuttgart, immer wieder heftig in der Kritik. Im Interview spricht der OB über seine Rolle und über die begrenzten Möglichkeiten des Gremiums, für die Planung von Routen Empfehlungen auszusprechen.
In der letzten Sitzung hat sich die Fluglärmkommission für einen Kompromiss ausgesprochen. Demnach sollte auf der neuen Route zwischen 6 und 8 Uhr nicht mehr geflogen werden, um die neu betroffenen Kommunen zu entlasten. Was haben Sie nach diesem Beschluss unternommen?
Unmittelbar nach der Abstimmung habe ich das Ergebnis dem Bundesaufsichtsamt für Flugsicherung mitgeteilt und um Prüfung gebeten. Das BAF hat die Argumente auch noch mal geprüft, aber dann befunden, dass es keine neuen Aspekte gibt, die die neue Flugroute in Frage stellen könnten. Die Behörde hat aber auch noch mal darauf hingewiesen, dass es selbstverständlich möglich ist, mit den Fluggesellschaften Eurowings/Lufthansa und der Flugsicherung DFS entsprechende Vereinbarungen zu treffen – denn letztlich legen die Pilotinnen und Piloten in Abstimmung mit der DFS fest, welche Route sie fliegen wollen. Beides Mal waren die Antworten sehr eindeutig. Solange es rechtlich zulässig ist, die Route zu fliegen, werden die Flugzeugführer das auch tun und die DFS das auch freigeben.
Die FLK hatte den Kompromiss mehrheitlich ins Gespräch gebracht, um Gräben zu kitten. Weshalb lässt sich das aber praktisch nicht umsetzen?
Sie können eine solche Regelung rechtlich nicht verankern. Das ginge nur auf freiwilliger Basis – vorausgesetzt, die Fluggesellschaften würden sich darauf einlassen, übrigens dann alle Fluggesellschaften am Flughafen Stuttgart. Das würde aber ihre Möglichkeiten einschränken. Deshalb haben sie das abgelehnt, als ich seitens der Fluglärmkommission eine entsprechende Frage gestellt habe. Es wurde teilweise ja angeregt, eine informelle Absprache zu treffen. Aber wenn sich das herumspricht, müssten die Fluggesellschaften dann mit Sicherheit auch an anderen Flughäfen nachziehen. Seitens der Deutschen Flugsicherung wurde auch darauf hingewiesen, dass sie keine Flugrouten vorgeben – diese werden von den Piloten angefordert.
Lässt sich eine Tendenz ableiten, wie oft die neue Route geflogen wird?
Im Moment sind die Auslastungszahlen in den Maschinen sehr gut – das bedeutet, dass die neue Strecke auch wegen des höheren Gewichts weniger oft geflogen werden kann. Das hat sicher auch mit Corona zu tun. Es wird weniger geflogen, aber die Maschinen sind inzwischen größer und sehr viel besser besetzt. Im Sommerflugplan wird allerdings auch mehr geflogen, sodass die Zahlen dann wohl anziehen könnten.
Die Flugrouten-Debatte zeigt, dass die FLK zwar Anregungen geben kann. Wenn es zu Entscheidungen wie in diesem Fall kommt, ist der Einfluss aber sehr begrenzt. Was ist die Rolle des Gremiums?
Wir entscheiden nicht, wir beraten nur – in diesem Fall das Bundesaufsichtsamt für Flugsicherung (BAF). In bestimmten Verfahren muss die FLK gehört werden – aber wir als Gremium haben keine Entscheidungsmöglichkeit. Wichtig ist auch, sich bewusst zu machen, dass die Kommission kein demokratisch gewähltes Gremium ist. Die Mitglieder werden vom Verkehrsministerium bestimmt.
Die Flugrouten-Debatte hat gezeigt, dass sich die Anwohner des Flughafens mehr Transparenz von der FLK wünschen. Haben Sie aus der anfänglichen Kritik gelernt?
Eine Konsequenz ist, dass wir die Protokolle der Sitzungen inzwischen veröffentlichen. Sie sind im Internet einzusehen. Wir haben die Kritik sehr ernst genommen und in den Diskussionen über die neue Route für die bestmögliche Transparenz gesorgt. Es gab weitere Gutachten, um den Nutzen der neuen Strecke aus der Perspektive des Lärm- wie auch des Umweltschutzes abzuwägen. In den Sitzungen haben wir auch die Vertreter der neu betroffenen Kommunen eingeladen – also den Kreis der Teilnehmer deutlich vergrößert. Sie hatten dann die Möglichkeit, ihre Sicht einzubringen, und waren jeweils auf dem neusten Stand, was die Informationen angeht.
Sie wurden in der Debatte als Vorsitzender der Kommission auch heftig kritisiert. Ihre Aufgabe, zwischen den Seiten zu vermitteln, ist schwierig. Dennoch stellten Sie sich zur Wiederwahl und wurden im Amt bestätigt. Reizt Sie Ihre Rolle also immer noch?
Es ist eine Aufgabe, die gemacht werden muss – aber um sich niemand drängt. Ich habe deshalb schon einmal die Frage gestellt, ob jemand anders gerne das Ruder übernehmen würde. Da hat sich allerdings niemand gemeldet. In den Sitzungen sehe ich mich als Moderator. In der Debatte habe ich darauf geachtet, dass ich nicht nur Ostfilderner Interessen vertrete. Ich schaue, dass die gesamte Raumschaft abgebildet wird. Ansonsten ist der Vorsitzende auch dafür zuständig, dass Beschlüsse öffentlich gemacht und den Bürgerinnen und Bürgern vermittelt werden.
Kurzstreckenflüge sind ein Thema, gegen das sich viele Umweltorganisationen wenden. Ist das ein Thema in der Fluglärmkommission?
Auf Anregung der Schutzgemeinschaft Filder haben wir das diskutiert. Aber da der Flughafen eine Betriebsgenehmigung hat, sind diese Flüge möglich. Am Ende entscheidet jeder einzelne für sich, ob er von Stuttgart nach München oder Frankfurt fliegt oder auf die Zugverbindungen setzt.
Welche weiteren Themen stehen auf der Agenda der Fluglärmkommission?
Wir haben uns zum Beispiel mit dem Thema Feinstaubpartikel beschäftigt. Ein großes Thema sind Nachtflüge und die Ausnahmegenehmigungen für Flüge, die außerhalb der Betriebszeiten des Stuttgarter Flughafens liegen. Das war während der Fußball-Europameisterschaft natürlich ein großes Thema. Da schauen wir sehr genau hin, was genehmigt wird. Ich muss aber sagen, dass sich die Ausnahmen, die vom Regierungspräsidium Stuttgart genehmigt wurden, sehr in Grenzen halten.
Die Fluglärmkommission und ihr Vorsitzender
Zur Person
Der 57-jährige Kommunalpolitiker Christof Bolay ist seit 2005 Oberbürgermeister von Ostfildern. 2009 wurde er zum Vorsitzenden der Fluglärmkommission (FLK) für den Flughafen Stuttgart gewählt und seitdem immer wieder in diesem Amt bestätigt. Zuvor war Bolay im baden-württembergischen Wirtschaftsministerium unter anderem als Büroleiter des Staatssekretärs sowie als Referent für Fragen der beruflichen Bildung und für Technologiepolitik tätig. 2002 war er zehn Monate lang im Büro des Bundesgeschäftsführers der SPD für Finanzen und Personal zuständig.
Die Fluglärmkommission
Der Kommission für den Flughafen Stuttgart gehören 17 Mitglieder an. Dies sind die Städte Filderstadt, Leinfelden-Echterdingen, Esslingen, Ostfildern und Stuttgart, die Gemeinden Denkendorf, Steinenbronn, Neuhausen, Schönaich, Deizisau und Altbach sowie die Bundesvereinigung gegen Fluglärm, die Flughafen Stuttgart GmbH, die Luftfahrtunternehmen, die Industrie- und Handelskammer der Region Stuttgart, die US-Streitkräfte in Baden-Württemberg und das Ministerium für Verkehr. Die Genehmigungsbehörde, die Flugsicherungsorganisation und der Lärmschutzbeauftragte für den Flughafen nehmen regelmäßig an den Sitzungen teil, die in der Regel zweimal im Jahr stattfinden.