Peter Tauber bezeichnet die große Koalition als „Lebensabschnittspartnerschaft mit festem Enddatum“. Foto: dpa

CDU-Generalsekretär Peter Tauber ist den unionsinternen Streit leid. Im Gespräch mit dieser Zeitung fordert er die CSU auf, sich wieder der Zukunft zuzuwenden statt in der Flüchtlingspolitik nachzukarten.

Stuttgart - 
Herr Tauber, ein langjähriger Wähler Ihrer Partei hat mir kürzlich berichtet, er sei durch mit der CDU. Wegen Angela Merkels Flüchtlingspolitik, die die Verfassung gebrochen und den Staatsnotstand ausgelöst habe. Nehmen Sie wahr, dass es deswegen nicht nur Ärger gibt mit der CSU, sondern auch in der eigenen Partei?
Durch ständiges Wiederholen werden diese Behauptungen ja nicht richtiger. Alles, was die Bundesregierung entschieden hat, geschah im Rahmen geltenden Rechts. Die staatliche Ordnung ist auch nicht zusammengebrochen. Im Gegenteil: Wir konnten 850000 Flüchtlingen ein Dach über dem Kopf geben, sie mit Essen versorgen. Wir kommen gut voran bei der Registrierung und entscheiden, wer bleiben darf und wer wieder gehen muss. Das alles haben wir geschafft. Jetzt geht es um die noch größere Aufgabe, wie Integration gelingen kann.
Die CSU, aber auch manch einer in der CDU will erst die Vergangenheit aufarbeiten. Es geht um die Frage, ob die Grenzöffnung Anfang September ein Fehler war.
Die Grenze wurde ja gar nicht geöffnet – die Bundesregierung hat entschieden, sie nicht zu schließen. Warum wir das damals gemacht haben und hunderttausende Mitbürger auch heute noch jeden Tag helfen, hat einen guten Grund: Artikel 1 unseres Grundgesetzes erklärt die Würde jedes Menschen für unantastbar – und wir haben ein Grundrecht auf Asyl. Wir können doch nicht einfach sagen, das Grundgesetz gilt nicht mehr, wenn es etwas von uns abverlangt. Für die CDU kommt hinzu: Wir sind die Partei mit dem C, und das nehmen wir ernst. Im Übrigen hing diese Entscheidung auch mit unserem deutschen Interesse in Europa zusammen. Sie war deshalb nicht nur eine humanitäre Geste. Auf diese Zusammenhänge müssen wir noch stärker hinweisen.
Sie räumen also ein, dass Sie mit Ihrer Botschaft auch die eigene Klientel nicht ganz erreichen?
In Zeiten wie diesen, in denen es so viel Verunsicherung und Ängste gibt, ist das normal. Wir müssen umso besser erklären, warum wir was tun – und dürfen uns nicht im Streit verheddern. Das wollen die Menschen auch nicht. Im Übrigen schadet es auch nicht, wenn wir als Union öfter über die vielen Gemeinsamkeiten reden – beispielsweise was wir zusammen erreicht haben, um Deutschland voranzubringen. Unser Land steht gut da, was man an den deutlichen Steigerungen bei Löhnen und Renten sieht.
Würden Sie sich wünschen, dass Ihre Parteivorsitzende mal richtig auf den Tisch haut, um den unionsinternen Zwist zu beenden, statt die teils heftigen Vorwürfe quasi zu ignorieren und sie damit im Raum stehen zu lassen?
Jeder muss so mit Kritik umgehen, wie es zu seinem Typ passt. Und ich glaube, eine polternde Angela Merkel können sich die meisten nur schwer vorstellen, und sie wünschen sich das auch nicht. Die Bundeskanzlerin schaut sich die Dinge in Ruhe an und arbeitet dann auf die Lösung hin, die am besten für die deutschen Interessen ist. Dass sich dabei manche vielleicht noch mehr Erklärung wünschen, ist doch normal.
Hat sie ihre Politik denn zumindest Herrn Seehofer inzwischen gut genug erklärt?
Er hat gerade gesagt, dass er eine neue Vertrauensgrundlage sieht. Und wir als CDU erwarten auch, dass nach vorne geschaut und überlegt wird, was jetzt gemeinsam zu tun ist: Wie geht es mit Europa weiter? Wie bleibt Deutschland ein innovatives und wirtschaftsstarkes Land? Wie können wir die innere Sicherheit weiter verbessern? Da haben wir genug zu tun.
Das sollen die Themen der Arbeitstagung von CDU und CSU Ende nächster Woche in Potsdam werden. Dürfen wir am Ende eine grobe Skizze des Wahlprogramms erwarten?
Ein Teil der Ergebnisse wird sicher in unser Wahlprogramm einfließen. Vor allem aber soll es darum gehen, wie sich die Union zu den großen Fragen Globalisierung, Digitalisierung, Migration und Europa verhält. Jeder spürt doch, dass sich die Welt verändert. Wir wollen das klare Signal aussenden, dass wir als Union diesen Entwicklungen eine gute Richtung geben, dass wir uns kümmern – um innere, äußere und soziale Sicherheit, um die Wahrung von Wohlstand und Wettbewerbsfähigkeit.
Wie wollen Sie das machen?
Bei der inneren Sicherheit haben wir bei der Terrorbekämpfung oder mit dem Integrationsgesetz schon vieles angestoßen. Ein anderes wichtiges Thema ist die Banden- und Einbruchskriminalität. Da muss mehr geschehen, da darf es keine Verharmlosung geben. Die Polizei muss deutlich besser ausgestattet werden. Die SPD macht es sich aber viel zu einfach, wenn sie nach mehr Bundespolizei ruft, in den von ihr regierten Ländern aber nichts geschieht. In Baden-Württemberg ist es dank Thomas Strobl dagegen gelungen, mehr für die innere Sicherheit zu tun – mit 1500 neuen Polizeistellen. Da funktioniert Grün-Schwarz gut.
Inwiefern ist Baden-Württemberg der Feldversuch für eine mögliche Koalition auf Bundesebene? Werden Sie da in den nächsten Monaten genauer hinschauen?
Wir schauen uns schon genau an, wie sich die Grünen im Bundesrat verhalten, wenn es um die Entscheidung geht, die nordafrikanischen Maghreb-Staaten zu sicheren Herkunftsländern zu erklären. Die Grünen müssen beweisen, ob sie auch auf Bundesebene regierungsfähig sind. Wenn ich im Bund regieren will, muss ich nämlich auch unbequeme und schwierige Entscheidungen treffen – manchmal auch solche, die den eigenen Anhängern und Wählern etwas zumuten. Die Grünen haben das schon mal gekonnt: Sie haben unter Joschka Fischer den Kriegseinsatz der Bundeswehr auf dem Balkan und die Agenda 2010 mitgetragen. Was nun im Bundesrat verlangt ist, stellt verglichen damit eine relativ niedrige Hürde dar. Wenn die Grünen über die nicht springen, sehe ich nicht, dass das in Berlin was werden kann.
Und wenn sie es doch tun?
Dann sind die Grünen zu pragmatischer Politik fähig.
Und interessant für die CDU. Inwiefern muss man sich bei der Bundespräsidentenwahl im Februar auf einen weiteren schwarz-grünen Probelauf einstellen? Gerüchteweise heißt es, Merkel hätte Interesse, den grünen Star Winfried Kretschmann aus Stuttgart wegzuloben.
Die Union wird einen eigenen Kandidaten vorschlagen. Ich sehe nicht, dass wir einen Sozialdemokraten mittragen, aber es muss auch nicht zwingend ein CDU-Mitglied sein. Es geht vor allem darum, eine Persönlichkeit zu finden, die in Zeiten wie diesen die Gesellschaft zusammenführen kann, aber den Bürgern auch sagt, dass jeder eine eigene Verantwortung nicht nur für sich, sondern die Allgemeinheit hat.
Den Bundestagswahlkampf der CDU werden Sie ganz direkt verantworten. Müssen wir uns auf einen Lagerwahlkampf einstellen, weil eine Neuauflage der großen Koalition, die die politischen Ränder gestärkt hat, unerwünscht ist?
Es geht nicht um links oder rechts, sondern um vorwärts oder zurück. Aber eines ist klar: Eine große Koalition ist keine Traumhochzeit, eher eine Lebensabschnittspartnerschaft mit festem Enddatum. Denn es ist in der Tat gut, wenn die großen Volksparteien Alternativen zueinander beschreiben. Und da gibt es entgegen der landläufigen Meinung große Unterschiede zwischen uns und den Sozialdemokraten – Gott sei Dank.
Zählen Sie die doch mal welche auf.
Nehmen Sie die Rente. Da diskutiert die SPD, ob man das Rentenniveau anheben muss. Wir sagen dagegen: Die Bundesregierung hat so viel wie lange nicht mehr für die Rentner getan. Es wäre gut, wir redeten mal darüber, wie wir die Rente für meine Generation und die noch Jüngeren zukunftsfest machen mit mehr privater Vorsorge und einer Stärkung der betrieblichen Rente.
Mit Verlaub: die Forderung bezüglich des Rentenniveaus kommt doch aus der Union, namentlich von Horst Seehofer.
Die Union redet auch über die Altersvorsorge. Aber wir als CDU sind überzeugt, dass es eine kluge Mischung braucht. Nur zu glauben, dass die gesetzliche Rente allein den Lebensstandard im Alter erhalten wird, ist nicht ehrlich.
Wie ehrlich ist es, nun Steuersenkungen zu versprechen, wie das aus Ihrer Partei schon zu hören ist? Solche Ankündigungen gab es schon oft.
Wir haben das dritte Jahr in Folge einen Bundeshaushalt ohne neue Schulden – das ist kein Mantra, sondern notwendig, damit Deutschland in Zukunft handlungsfähig bleibt. Dem ordnet sich alles unter, was wir tun müssen: Wir brauchen Investitionen in die Infrastruktur, bei der Bundeswehr, bei Bildung und Forschung. Und wenn wir nicht wollen, dass Millionen Menschen zu uns fliehen, müssen wir uns entwicklungspolitisch stärker engagieren. Daneben haben wir ja schon etwas gemacht – beispielsweise beim Abbau der kalten Progression. Die Herausforderung wird sein, all die genannten berechtigten Anliegen in einem überzeugenden Konzept zusammenzubinden. Aber daran arbeiten wir.
Haben Sie nicht Sorge, dass Ihnen ein Brexit-Votum in der Nacht zuvor das Potsdamer Treffen verhageln könnte?
Ich hoffe, dass die Briten für den Verbleib stimmen – weil das gut für Europa und Großbritannien wäre. Wir müssen aber unabhängig davon mehr über Europa sprechen. Gut 70 Jahre nach Kriegsende wächst in Deutschland einerseits eine Generation auf, die Krieg und Grenzen nicht mehr kennt und Europa als Selbstverständlichkeit wahrnimmt. Andererseits fragen sich immer mehr Menschen, ob die EU noch richtig organisiert ist. Die CDU als Europapartei muss eine Antwort darauf geben. Uns Deutschen geht es schließlich nicht allein deshalb so gut, weil wir so fleißig sind, tolle Ideen haben und gute Politik machen. Es liegt auch daran, dass wir Teil Europas sind.