Stefan Flaig will die Kommunen davon überzeugen, alle Grundstücke aufzukaufen und so günstigen Wohnraum und Seniorenwohnungen zu schaffen. Foto: factum/Granville

Braucht die Region Stuttgart dringend mehr Baugebiete, um den Immobilienmarkt zu entzerren? Nein, sagt der BUND-Kreisschef und Landesvize Stefan Flaig – er fordert mehr Sozial- und Seniorenwohnungen.

Kreis Ludwigsburg – - Der BUND-Kreisvorsitzende Stefan Flaig ist ein Experte für Wohnlandpolitik – er berät mit seinem Büro Kommunen, wie sie ohne große neue Baugebiete bezahlbaren Wohnraum schaffen können. Diese Idee kleidet er auch in politische Forderungen. Der Marbacher Ex-Grünen-Gemeinderat glaubt nicht, dass im großen Stil Neubaugebiete entstehen müssen, um die Immobilienpreise zu drücken.
Herr Flaig, es gibt in Ludwigsburg wie in der ganzen Region Stuttgart einen dramatischen Mangel an Wohnraum. Lässt sich das ohne Neubaugebiete überhaupt lösen?
Es wird immer wieder ein grundlegender Fehler begangen. Wir müssen nach Zielgruppen unterscheiden. Wo gibt es tatsächlich eine echte Wohnungsnot? Die gibt es nur bei Mietwohnungen im unteren Preissegment, nicht beim Eigentum. Auf dem Immobilienmarkt ist das Angebot sehr knapp und die Preise für den Kauf sind hoch, aber das ist keine Wohnungsnot.
Normalverdiener haben doch kaum eine Chance, Wohneigentum zu erwerben.
Das mag sein – aber diese Leute sitzen nicht auf der Straße, sie wohnen bereits. Um das bildhaft zu vergleichen: Viele Menschen haben Durst und brauchen dringend eine Flasche Wasser. Sie bekommen jetzt eine Wanne voll duftendem Badewasser angeboten. Das können sie sich nicht leisten, und trinken kann man es auch nicht. Genau so sieht es auf dem Wohnungsmarkt aus.
Was wäre aus Ihrer Sicht nötig? Kleinere Badewannen mit Trinkwasser?
Wir brauchen preiswerten Wohnraum und deutlich mehr Altenwohnungen – beides wird nicht in ausreichendem Maß zur Verfügung gestellt. Und für beides sind Neubaugebiete ungeeignet. Seniorenwohnungen brauchen eine zentrale Lage und Nahverkehrsanbindung. Wenn man in Neubaugebieten nur Sozialwohnungen baut, entsteht ein sozialer Brennpunkt.
Es gibt objektiv gesehen eine riesige Nachfrage nach Immobilien auf dem Markt.
Ein- und Zweifamilienhäuser lösen aber unser Problem nicht, so groß das Bedürfnis danach auch sein mag. Ich habe im Kreis Böblingen viele Kommunen im Rahmen eines Landesprogramms beraten, dabei haben wir neu Zugezogene befragt, wie lange sie gesucht haben. Bei einer Mietwohnung waren es nur ein bis zwei Monate, beim Eigentum oft über ein Jahr. Hier geht es aber um die Erfüllung von Wohnungsträumen, nicht um echte Wohnungsnot.
Aber wie ist günstiger Wohnraum zu erreichen? Selbst die kommunalen Wohnbauunternehmen tun sich schwer bei den aktuellen Immobilienpreisen.
Das Entscheidende sind die Grundstückspreise. Das Haus zu bauen, kostet vielleicht 20 Prozent mehr als in Brandenburg. Aber dramatisch unterschiedlich sind die Baulandpreise – hier 800 oder 1000 Euro, in Ostdeutschland oder im Schwarzwald 50. Es bringt aber nichts, mit Steuergeldern überteuerte Sozialwohnungen zu bauen. Denn die astronomischen Preise rühren nicht von fehlendem Bauland her.
Woher Ihrer Ansicht nach dann?
Das Problem ist, dass die Gebäude und Grundstücke nicht auf den Markt kommen. Kein Eigentümer will verkaufen, weil der Erlös auf dem Bankkonto kaum Zinsen abwirft. Bei unseren Untersuchungen im Kreis Böblingen haben wir festgestellt, dass etwa fünf Prozent aller Wohngebäude leer stehen. Bis 2030 kommen durch den demografischen Wandel noch einmal rund zehn Prozent dazu – weil dann viele ältere Menschen gestorben sind und ihre großen Wohnungen leer stehen.