Das vergangene Jahr war ein schwieriges für Bosch – nun befinde man sich jedoch auf einem erfolgreichen Weg, sagt Volkmar Denner, Chef des Zulieferkonzerns. Foto: Ullstein

Volkmar Denner, der Chef des Technologiekonzerns Bosch, spricht über die Anschuldigungen im VW-Abgasskandal.

Als größter Zulieferer ist Bosch vom Wandel in der Autoindustrie besonders betroffen. Im Interview sagt der Konzernchef Volkmar Denner, was er vom Engagement des Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann hält, wie sich der Nachfragerückgang beim Diesel auf Bosch auswirkt und ob er fürchtet, dass Fahrdienstleister wie Uber der Autoindustrie die Geschäfte vermiesen.

Herr Denner, in Zahlen war 2016 ein gutes Jahr für Bosch. Aber wie war es für Sie persönlich? Sie haben vor Kurzem den Vergleich mit den US-Behörden in trockene Tücher gebracht. Zwischendurch standen Schadenersatzzahlungen in Milliardenhöhe im Raum. Ist dies Ihre härteste Zeit bei Bosch?
Ja. Es ist eine extrem schwierige und belastende Situation.
So sind etwa bei der Staatsanwaltschaft Stuttgart Anzeigen gegen Sie persönlich eingegangen. Wie gehen Sie mit dem Druck um?
Wichtig ist, auch in solchen Situationen fokussiert auf die eigentlichen Aufgaben zu bleiben. Das Unternehmen befindet sich derzeit in einem fundamentalen Wandel. Diesen aktiv zu gestalten, darauf konzentriere ich mich als CEO und CTO. Ansonsten habe ich ein sehr intaktes Familienleben. Dort bekomme ich Unterstützung und die Bestätigung, dass der Weg, den ich gehe, der richtige ist. Gerade im letzten Jahr haben mir aber auch der Zusammenhalt innerhalb der Geschäftsführung und der Zuspruch von vielen Bosch-Mitarbeitern geholfen. Außerdem habe ich schon immer viel Sport gemacht. Das hilft, Stress abzubauen. Ich gebe Ihnen recht, dass 2016 kein leichtes Jahr war. Ich bin aber zuversichtlich, dass Bosch auf einem guten Weg in eine erfolgreiche Zukunft ist.
Dabei hat das Jahr gleich mit einem folgenreichen Beschluss begonnen: Im Land drohen Fahrverbote. Nun versucht der Ministerpräsident den Vertrauensverlust, den die Dieseltechnologie dadurch erlitten hat, wieder aufzufangen. Wie beurteilen Sie nach dem Strategiegipfel die Lernkurve des Ministerpräsidenten?
Ich schätze an Ministerpräsident Winfried Kretschmann, dass er eine hohe Bereitschaft hat, Sachverhalte aus unterschiedlichen Perspektiven zu betrachten, und dass er auf Fakten reagiert. Er hat natürlich seine eigene Meinung, das zeichnet ihn aus. Aber wenn neue Fakten auf den Tisch kommen, korrigiert er bisweilen sein Meinungsbild. Ich wünsche mir, dass wir jetzt eine faktenbezogene Diskussion führen und wegkommen von einer rein emotionalen Debatte. Meine Anregung beim Gipfel war: Die Politik muss Probleme so konkret wie möglich benennen. Und dann sollte der Kreativität der beteiligten Firmen freier Lauf gelassen werden. Also Technologieoffenheit anstelle Vorgabe von Lösungen.
Die Firmen haben inzwischen ein Konzept zur Umrüstung von Euro-5-Autos vorgelegt. Können dadurch Verbote vermieden werden?
Eine Umrüstung von Euro-5-Fahrzeugen ist denkbar. Die Frage ist nur: Mit welchem Ergebnis? Es wird zwar nicht gelingen, aus einem Euro-5-Diesel ein Euro-6-Dieselfahrzeug zu machen. Allerdings erreicht man mit Softwareänderungen an EU-5-Dieselfahrzeugen eventuell mehr für die Luftqualität als mit Fahrverboten. Die Fahrzeughersteller werden entscheiden müssen, für welche Fahrzeuge sie welche Lösung anbieten können. Bosch wird sie dabei unterstützen.
Bei Bosch hängen 50 000 Jobs am Diesel. Wie wirkt sich der Nachfragerückgang bei Dieselfahrzeugen auf Ihre Standorte aus?
Generell müssen wir als Industrieunternehmen reagieren, wenn es einen Nachfragerückgang gibt. In Europa sinkt in den wichtigen Dieselmärkten der Anteil bei den Neuzulassungen kontinuierlich, und der Effekt verstärkt sich durch die Debatte um Einfahrbeschränkungen. Darauf muss sich Bosch einstellen, vor allem an den Dieselstandorten. Die Beschäftigungslage bei uns ist abhängig von der Auftragslage unserer Kunden. Im Moment hilft uns noch unser starkes Nutzfahrzeuggeschäft. Aber im Pkw-Bereich sind die Diesel-marktanteile konstant rückläufig.
Bislang können Sie das kompensieren, indem Sie etwa in Feuerbach oder Homburg befristete Verträge auslaufen lassen. Reicht das?
Aktuell ist die Beschäftigungsentwicklung des Dieselbereichs wegen der starken Nachfrage im Nutzfahrzeugbereich speziell in China stabil, aber wir beobachten die Situation natürlich sehr genau – insbesondere wie die nächsten Monate verlaufen.
Können Sie ausschließen, dass Sie in diesem Jahr an den Dieselstandorten Personal abbauen müssen?
Wie gesagt, die Beschäftigung bei Bosch hängt von den Aufträgen der Kunden ab. Wenn die Dieselmarktanteile weiterhin fallen, werden wir reagieren müssen.
Die Debatte fällt in eine Zeit, in der sich Autohersteller und -zulieferer inmitten eines Technologiewandels befinden. Manche Experten gehen davon aus, dass sich die Gewinne in der Branche künftig hin zu den Zulieferern verlagern. Verschärft das die Beziehung zwischen Herstellern und Zulieferern?
Das glaube ich nicht. Gerade die deutsche Automobilindustrie ist stark, weil Hersteller und Zulieferer gemeinsam an Zukunftsthemen arbeiten. Das automatisierte Fahren beispielsweise wird in Schritten kommen. Die autonomen Fahrzeuge, in denen kein Fahrer mehr nötig ist, werden frühestens Anfang des nächsten Jahrzehnts auf die Straße kommen. Bis dahin wird sich die Wertschöpfungskette ordnen.
Sie haben dafür mit Daimler eine Partnerschaft vereinbart. Zuvor hatten sowohl Daimler als auch Bosch für sich in Anspruch genommen, das „Gehirn“ der automatisierten Fahrzeuge selbst zu entwickeln. Wie sind die Kompetenzen nun verteilt?
Ich gehe davon aus, dass die Sensoren und die Kameras, also Augen und Ohren des selbstfahrenden Autos ein Thema für Zulieferer wie Bosch sein werden. Künftig wird es deutlich mehr Sensorik geben, da liegt unsere Stärke. Die Radarsensoren und die Videokameras werden viel leistungsfähiger sein als heute. Wir als Zulieferer werden künftig eine noch größere Kompetenz haben, die Signale der Sensoren auszuwerten und zu interpretieren. Die autonomen Fahrzeuge müssen ja unterscheiden können zwischen einem Menschen und einer Mülltonne. Dabei wird auch künstliche Intelligenz eine wesentliche Rolle spielen.
Und wo kommt der Hersteller ins Spiel?
Wenn es um die Frage geht, wie das Auto auf Basis der Sensorinformationen reagiert. Fahrstrategien werden Hersteller und Zulieferer gemeinsam entwickeln. Vor allem aber ist die Kompetenz des Herstellers bei der Integration des Gesamtsystems ins Fahrzeug gefordert sowie bei allen Validierungsfragen. Derzeit wird oft unterschätzt, was es bedeutet, ein automatisiertes Fahrzeug für den öffentlichen Verkehr freizugeben. Es ist ein relativ kleiner Aufwand, einen Prototypen zu bauen und fahren zu lassen. Das können heute viele Firmen. Bosch ist hier allerdings Pionier. Wir waren der erste Zulieferer, der die Erlaubnis erhielt, automatisierte Fahrzeuge auf öffentlichen Straßen in Deutschland zu testen. Der Weg aber von einem Prototypen zu einem Fahrzeug, das man vollständig validiert in Kundenhand geben kann, ist ein riesiger Schritt. Und da spielt die Kompetenz eines Fahrzeugherstellers eine wesentliche Rolle.
Die Autos, die Daimler in dieser Kooperation baut, sind zunächst gedacht für Fahrdienstleister wie beispielsweise Uber. Haben Sie sich mal Gedanken darüber gemacht, was diese Geschäftsmodelle für Ihre Kunden – die Hersteller – bedeuten?
Auf der einen Seite wissen wir, dass es einen verstärkten Trend zu anderen Nutzungsverhalten geben wird, zum Beispiel Carsharing. Das führt dazu, dass Kunden weniger Fahrzeuge nachfragen. Auf der anderen Seite wird so ein Fahrzeug aber viel intensiver betrieben werden als heute. Somit werden Verschleiß und Erneuerungsbedarf höher sein als bei heutigen Fahrzeugen, die einen Großteil der Zeit auf dem Firmenparkplatz oder in der heimischen Garage stehen. Zudem wird die Ausstattung eines autonomen Autos mit Sensorik und Software wertmäßig höher sein als heute mit herkömmlichen Fahrassistenzsystemen. Insofern wird der Umsatz pro Auto wesentlich höher sein als heute.