Mathias Peterle (l.) ist stellvertretender Leiter des KMBD. Hier steht er vor einer entschärften 500-Kilo-Bombe in Gundelfingen. Foto: privat

Falls am Samstag in der Südstadt eine Weltkriegsbombe entschärft werden muss, wird das Mathias Peterle vom Kampfmittelbeseitigungsdienst machen. Eine Bombensorte ist dabei besonders tückisch.

Ludwigsburg - Am Freitag entscheidet sich, ob der Metallgegenstand, der im Erdreich der Ludwigsburger Südstadt entdeckt wurde, eine Weltkriegsbombe ist oder nicht. Wenn es eine ist, will sie Mathias Peterle vom Kampfmittelbeseitigungsdienst (KMBD) Baden-Württemberg entschärfen. Im Interview erklärt der 39-Jährige, warum Weltkriegsbomben heute sogar noch gefährlicher sind als damals und warum er einen Bürojob gegen die Arbeit des Entschärfers getauscht hat.

Herr Peterle, falls es sich in der Ludwigsburger Südstadt um eine Bombe aus dem Zweiten Weltkrieg handeln sollte, wie wird am Samstag die Entschärfung ablaufen?

Ich werde mit drei Mitarbeitern vor Ort sein. Falls es eine 50-Kilogramm-Bombe ist, werden wir im Umkreis von 300 Metern die einzigen Menschen sein. Wenn sie schwerer ist, im Umkreis von 500 Metern.

Was ist der gefährlichste Moment beim Entschärfen?

Der Moment, in dem der Zünder entfernt wird. Falls eine herkömmliche Entschärfung zu gefährlich sein sollte, würden wir auf Fernentschärfungsgeräte zurückgreifen. Falls auch das nicht geht, werden wir die Bombe vor Ort sprengen müssen. Ein Abtransport einer scharfen Bombe ist zu gefährlich.

Wieso detonieren diese Bomben überhaupt noch? Sie sind über 75 Jahre alt und waren während des Kriegs ja schon Blindgänger.

Leider sieht die Realität anders aus. Im Laufe der Jahre brechen die Hüllen der Zünder langsam weg – Bomben waren ja im wahrsten Sinne des Wortes Wegwerfware und nicht für die Ewigkeit gemacht. So kann der Sprengstoff auch nach dieser langen Zeit noch detonieren. Die Kampfmittel werden so gesehen sogar immer gefährlicher, je länger sie im Erdreich liegen. Ohne Zünder hingegen sind die Bomben eher harmlos, denn der Sprengstoff darin ist sehr träge. Er explodiert auch dann nicht, wenn man ein Feuerzeug daranhält.

Was muss man beim Zünder beachten?

Es gibt zwei Arten von Zündern. Einmal die mechanischen Aufschlagzünder, die bei etwa 95 Prozent aller Bomben verbaut wurden. Darin befindet sich eine Zündnadel, die durch eine Feder auf Abstand zum Detonator gehalten wird. Beim Aufschlag soll der Detonator angestochen werden, sodass eine Initialzündung, eine kleine Explosion, ausgelöst werden soll, die dann die Hauptladung zur Umsetzung bringt.

Und es gibt den chemischen Langzeitzünder. Diese Bomben sollten erst ins Erdreich eindringen und verzögert auslösen, bis zu 144 Stunden nach dem Aufschlag. Hier halten Scheiben aus Zelluloid den Schlagbolzen fest. Beim Aufprall zerbricht eine Glas-Ampulle mit dem Lösungmittel Aceton, das das Zelluloid langsam auflöst – bis der vorgespannte Schlagbolzen ausgelöst wird.

Für die Entschärfer sind diese Zünder die gefährlichsten, denn sie verfügen immer über eine Ausbausperre. Sprich: Sobald man daran dreht, löst die Bombe aus. Von den 100 000 Tonnen Spreng- und Brandbomben, die im Krieg über Baden-Württemberg abgeworfen wurden, sind allerdings nur ein Prozent Bomben mit chemischem Auslöser.

Was passiert nach der Entschärfung?

Die Bombe ist dann für den Transport sicher. Wir transportieren sie zu unserer Dienststelle im Sindelfinger Wald und lagern sie dort in einem Munitionsbunker ein. Danach wird sie an einen privaten Zerlegebetrieb übergeben. Dort wird die Bombe in kleine Teile zersägt und anschließend in einer Anlage verbrannt, die die dabei entstehenden Giftstoffe filtert.

Wie viele Bomben haben Sie schon entschärft? Führen Sie da eine Strichliste?

Es gibt Kollegen, die machen das. Ich nicht. Ich schätze aber, dass ich in meinen vier Jahren als Entschärfer beim Kampfmittelbeseitigungsdienst zwischen 27 und 30 Bomben entschärft habe.

Vermutlich braucht man für den Job gute Nerven und ein ruhiges Händchen.

Das auf jeden Fall. Wenn man als Truppenführer eines Entschärfungsteams vor einer Bombe steht, die, wenn sie hochgeht, eine Sprengkraft mit einer anfänglichen Umsetzungsgeschwindigkeit von 6000 bis 7000 Metern pro Sekunde entwickelt, ist man auch eine Art Seelsorger, der alle drumrum beruhigt. Wichtig ist, dass man bei jeder Bombe rangeht, als wäre es die erste. Man darf keine Routine aufkommen lassen.

Wo und wie lernt man das Entschärfen?

Bombenentschärfer ist kein Ausbildungsberuf. Ich selbst bin gelernter Verwaltungsfachangestellter, der mehr als zwölf Jahre beim Kampfmittelbeseitigungsdienst angestellt war. In dieser Zeit habe ich mir ein umfangreiches Wissen über Munition angeeignet. Was zum Überleben notwendig ist, lernt man bei uns auf der Dienststelle. Man lernt von den Erfahrungen der alten Truppenführer. Und dann gibt es noch spezielle Lehrgänge bei darauf spezialisierten Sprengschulen.

Sie haben von einem Bürojob umgeschult auf Bombenentschärfer? Warum?

Als Innendienst-Mitarbeiter habe ich jahrelang mitbekommen, wie meine Kollegen zu den Einsätzen fuhren. Mich hat die Vielfalt im Außendienst gereizt, die Möglichkeit, Neues zu entdecken. Und natürlich war es eine berufliche Weiterentwicklung.

Bombenentschärfer zu werden ist nicht gerade die naheliegendste Weiterentwicklung, wenn man sich am Schreibtisch langweilt.

Ich hatte eben ein Faible dafür. Aber natürlich waren beispielsweise meine Eltern nicht gerade begeistert davon. Meine jetzige Lebensgefährtin hat mich aber schon als Bombenentschärfer kennengelernt, sie wusste also, worauf sie sich einlässt. Wir heiraten übrigens im Mai.

Helfer und Hilfe rund um die Bombe

Aufgaben
Der Kampfmittelbeseitigungsdienst in Baden-Württemberg (KMBD) ist verantwortlich für das Entschärfen von Bomben, Granaten und Munition aller Art – im Behördenjargon Kampfmittel genannt. Die am Pfaffenwaldring in Stuttgart sitzende Behörde beschäftigt 33 Mitarbeiter und hat ein jährliches Budget von 2,5 Millionen Euro.

Person
Mathias Peterle ist 39 Jahre alt und lebt in Leinfelden-Echterdingen. Er ist stellvertretender Leiter des KMBD im Land.

Ludwigsburg
Für den Fall einer Evakuierung am Samstag bietet die Friedenskirche am Karlsplatz von acht Uhr an Kaffee und Tee. Die Tierrettung Unterland hilft Besitzern von Haustieren: Von acht Uhr an können Tierhalter ihre Lieben bei der Notunterkunft am Römerhügel 53 unterbringen. Ein Transport kann unter 0 71 32/8 59 97 19 oder evac@tierrettung-unterland.de angefordert werden. Auf www.stuttgarter-zeitung.de wird es am Samstag einen Live-Ticker zur Entschärfung geben.