Schwarz-Weiß-Malerei wird dem Thema nicht gerecht, sagt Baubürgermeister Peter Pätzold. Foto: Lichtgut/Max Kovalenko

Der Stuttgarter Architekt Roland Ostertag hat der Stadtpolitik jüngst ein vernichtendes Zeugnis ausgestellt: In Stuttgart wüte in großen Wellen der Abriss-Furor. Zu den Adressaten der Kritik gehört auch Baubürgermeister Pätzold. Der sieht die Dinge anders.

Stuttgart -

Herr Pätzold, unserem Thema ist derzeit eine Ausstellung in der Weißenhof-Galerie gewidmet. Ihr Titel: „Stuttgart reißt sich ab“. Waren Sie schon dort?
Nein, aber ich werd’ sie mir noch anschauen. Ich finde es richtig, dass man den Umgang mit markanten Alltagsbauten zum Thema macht. Die Diskussion, die Herr Ostertag angestoßen hat, ist wichtig. Über Denkmäler wird ausreichend gesprochen, nicht aber über Gebäude, die Alltagsarchitektur repräsentieren und das Stadtbild prägen. Diese „Schwarzbrotdebatte“ müssen wir gesellschaftlich führen.
Herr Ostertag übt Fundamentalkritik an der Stadtpolitik. Seine These ist: In Stuttgart tobt der Abrissfuror. Seit Kriegsende seien mehrere Abrisswellen über die Stadt hinweggegangen – aktuell wieder eine. Stuttgart tue alles, um seinen Ruf als Stadt des Abrisses zu festigen.
Ich halte das für überspitzt. Schwarz-Weiß-Malerei wird dem Thema nicht gerecht. Richtig ist, Stuttgart ist eine Stadt im Wandel. Von einer Stadt des Abrisses kann man aber sicher nicht sprechen. Auch im Rückblick nicht. Ein Beispiel: 2013 haben wir die Diskussion über die nach dem Architekten Karl Beer bezeichneten Gebäude Wagenburgstraße 149–153 geführt, ein Beispiel für stadtbildprägende Alltagsarchitektur. Als damaliger Grünen-Fraktionschef habe ich viel Prügel bekommen, weil ich mich für den Erhalt eingesetzt habe. Der Bau- und Heimstättenverein hat das Gebäude dann verkauft. Immerhin steht es heute noch. Man braucht eben immer auch ein Verständnis der Eigentümer.
Gibt es in Stuttgart ein Bewusstsein für die Bedeutung von Gebäuden, die nicht denkmalgeschützt sind und doch wichtig für die Stadt?
Das kommt wieder – auch durch streitbare Beiträge. Solche Diskussionen sind wichtig. Klar ist: Es gibt Alltagsarchitektur, die stadtbildprägend ist und die eine Qualität besitzt. Die gilt es zu schützen.
Bisher lautet die Frage doch: Steht ein Gebäude unter Denkmalschutz oder nicht. Wenn nicht, darf es abgerissen werden, vereinfacht gesagt. Ist das nicht eine verengte Sichtweise?
Ja, das ist es. Vor zwei Monaten erschien in „der architekt“ ein interessanter Artikel des Stuttgarter Architekten Lederer. Darin schreibt er: Wir sind die erste Generation, die abreißt. Früher wurde vieles umgenutzt, weil die Bausubstanz zu wertvoll war, um sie abzureißen. Manchmal läuft es zum Glück aber auch anders. Das Gebäude Nadlerstraße 4 hinter dem Rathaus beispielsweise bleibt im Rohbau stehen und erhält nur eine andere Fassade und eine andere Nutzung. Das Haus ist ein Beispiel dafür, wie man mit einem Gebäude aus den Sechzigern, das nicht unbedingt schön ist, sinnvoll umgehen kann. Früher war das gang und gäbe. Da gab es allerdings auch noch keinen Denkmalschutz. Hätte es den schon gegeben, wäre manches gar nicht möglich gewesen, zum Beispiel die gotische Ergänzung von romanischen Basiliken. Oder denken Sie nur an unsere Markthalle. Jeder ist heute froh darüber. Für deren Bau vor über 100 Jahren musste aber auch eine kleinteilige mittelalterliche Struktur weichen. Auch das ist Stadtentwicklung.