Der stellvertretende Bundesvorsitzende Alexander Gauland sagt, die AfD verzeichne in ursozialdemokratischen Wahlkreisen große Erfolge. Foto: dpa-Zentralbild

Am kommenden Wochenende trifft sich die Alternative für Deutschland (AfD) zum Bundesparteitag in Stuttgart. Der Bundesvize Alexander Gauland spricht über das Profil der Partei und seine stille Rache an der Union.

Stuttgart - Herr Gauland, was hat sich in der AfD seit der Abspaltung des Flügels um Bernd Lucke verändert?

Verbessert hat sich für uns, dass wir keine grundsätzlichen Auseinandersetzungen mehr führen müssen. Die Mitglieder des Bundesvorstandes ziehen gemeinsam an einem Strang. Klar, jeder hat seinen persönlichen Stil und es gibt auch Differenzen in der Sache. Insgesamt wirkt die AfD aber geschlossen.
In Ihren politischen Leitlinien von 2014 – also der Zeit, als Bernd Lucke noch an Bord war – steht: „Als Gäste des Landes sollen Asylanten würdig behandelt und als Mitmenschen akzeptiert werden.“ Solch ein Satz taucht im Entwurf des Vorstands zum neuen Parteiprogramm nicht mehr auf. Ist die AfD radikaler geworden?
Nein, überhaupt nicht. Wir sagen deutlich, dass politisch Verfolgte bei uns Asyl erhalten. Ich weiß nicht, warum dieser Satz nicht mehr auftaucht. Ich muss gestehen, auch ich habe den dicken Programmentwurf noch nicht bis aufs letzte Komma durchgearbeitet. An unseren Leitlinien hat sich nichts geändert. Vieles an unserem Programmentwurf ist noch nicht aus einem Guss. Das liegt daran, dass die diversen Fachausschüsse unterschiedlich gearbeitet haben. Ich könnte Punkte nennen, die ebenfalls noch nicht enthalten sind, die aber dringend ins Programm gehören. Das letzte Wort hat der Parteitag in Stuttgart.
Mit provokativen Aussagen bekommen Sie bei einem Teil des Publikums viel Beifall. Erst Frau Petry mit dem Satz zum Schießbefehl gegen Flüchtlinge, dann bezeichnet Frau Storch den Islam als grundgesetzwidrig. Ihre Kritiker sagen, die AfD trete die Verfassung mit Füßen, wenn Sie das Recht auf freie Religionsausübung aberkennen will.
Das ist falsch. Frau von Storch und ich haben etwas ausgesprochen, was Teil unserer gesellschaftlichen Diskussion ist. Der politische Islam kennt keine Trennung von Staat und Kirche. Das ist in der Scharia nachzulesen. Solange sich der Islam von der Scharia nicht löst, ist er mit dem Grundgesetz – ich will es vorsichtig sagen - sehr schwer vereinbar. Dazu stehen wir. Wir fügen aber auch hinzu, dass muslimische Mitbürger mit ihrem Glauben und Leben selbstverständlich Teil Deutschlands sind. Der Islam als kulturelle Tradition ist aber kein Teil Deutschlands. Die Islamverbände, die uns heftig kritisieren, könnten ja leicht versichern, dass sie auf die Regeln der Scharia verzichten. Dann würde sich auch die AfD neu zum Islam stellen.
Ist ihre Aussage nicht ein Affront gegenüber den meisten Muslimen, die friedlich Deutschland leben?
Nein. Wir haben immer gesagt, dass wir den einzelnen muslimischen Bürger akzeptieren.
Die AfD ist als wirtschaftsliberale Professorenpartei gestartet. Sie sagen, die AfD müsse die Partei des kleinen Mannes sein. Was heißt das konkret?
Wir sind nicht als Professorenpartei gestartet. Ich und viele führende AfD-Leute sind keine Professoren.
Anfangs war aber der wirtschaftsliberale Flügel sehr stark.
Wir haben in der Partei unterschiedliche Schwerpunkte. Es gibt den wirtschaftsliberalen Flügel. Dafür ist unser Bundessprecher Jörg Meuthen ein guter Vertreter. Vielen Mitgliedern liegen beispielsweise unsere Positionen zur Russland-Frage und zum Islam besonders am Herzen. Die Medien bezeichnen das als den nationalkonservativen Flügel. Ich bin bei solchen Zuschreibungen immer skeptisch. Die AfD hat gezeigt, dass die beiden Flügel gut zusammenwirken.
Was verstehen Sie unter Politik für den kleinen Mann?
Ich habe nach den jüngsten Wahlergebnissen gesagt, die AfD müsse auch eine Politik für den kleinen Mann machen. Die Wahlanalysen in Hamburg, in Baden-Württemberg und Sachsen-Anhalt zeigen uns, dass wir viel Zustimmung von den kleinen Leuten erhalten. Der Wahlkreis Mannheim-Nord, ein ursozialdemokratisches Pflaster, ist an die AfD gefallen. Gleiches gilt für Pforzheim. Wir müssen versuchen, soviel soziale Gerechtigkeit wie möglich umzusetzen. Die AfD darf nicht die Menschen am unteren Ende der sozialen Skala allein lassen.
Ursprünglich stand im Programmentwurf, die Arbeitslosenversicherung und die Unfallversicherung zu privatisieren. Ist das rausgefallen, weil sie nicht mit sozialen Härten verbunden werden wollen?
Ich habe an diesen Punkten interveniert und gesagt, das läuft mit mir nicht. Hinter die bismarckschen Sozialreformen gehen wir nicht zurück. Solche Vorhaben würden darauf hinauslaufen, dass die kleinen Leute weniger geschützt sind. Aus diesem Grund halten wir auch am Mindestlohn fest, den Vertreter des wirtschaftsliberalen Flügels kritisch sehen.
Das sozialpolitische Profil ist noch ausbaufähig. Im Vorschlag des Vorstands zum künftigen Parteiprogramm haben wir gerade einmal fünf Sätze zur Rente gefunden. Haben Sie das Thema unterschätzt?
Das Thema unterschätzen wir nicht. Der Programmentwurf ist nicht von einer zentralen Kommission verfasst worden, sondern es handelt sich um die Basisarbeit vieler Fachausschüsse. In diesen Gremien war die Rente kein vorrangiges Thema. An einigen Stellen bestehen im Programm noch Schwächen. Das werden wir spätestens bis zur Bundestagswahl nacharbeiten.
Ist es dann nicht verlogen, wenn die AfD der Bundesregierung in einer Presseerklärung vorwirft, sie habe das Thema Rente verschlafen? Die AfD selbst hat ja keine Alternativen.
Wir sehen das Thema und werden dazu Vorschläge erarbeiten. Jörg Meuthen hat vorgeschlagen, eine Rentenreform nach Schweizer Vorbild zu machen.
In vielen Punkten bleibt die AfD vage. Sie sind grundsätzlich für Freihandelsabkommen mit anderen Staaten, sprechen sich aber gegen das europäisch-amerikanische Handelsabkommen TTIP aus. Ist die AfD eine Partei, die sich je nach Stimmungslage die Rosinen herauspickt?
Nein, es gibt viele gute Argumente gegen TTIP. Ich bin noch aus einem anderen Grund dagegen. Ein Handelsabkommen mit den USA würde die Spaltung Europas vergrößern. Die AfD tritt dafür ein, die politische Ordnung nach dem Kalten Krieg zu ersetzen und Russland einzubeziehen. TTIP macht an den Grenzen Russlands halt. Das halte ich geostrategisch für falsch.
Die AfD will künftig mit rechtsnationalen Parteien in Europa zusammenarbeiten. Sie haben sich für eine Kooperation mit dem französischen Rechtsausleger Front National ausgesprochen. Zu dieser Frage sagte die Bundesvorsitzende Petry vor einiger Zeit im Interview mit der Stuttgarter Zeitung: „Der Front National hat in vielen Punkten eine sozialistische Ausrichtung und passt nicht zur AfD.“ Was gilt denn nun?
Da sehe ich keinen Widerspruch. Ich habe nicht gesagt, die AfD solle bilateral mit dem Front National zusammenarbeiten. Es geht um eine andere Frage. Wenn sich im Europäischen Parlament eine gemeinsame Anti-Euro-Fraktion zusammenfindet, dann stellt sich die Frage, wie sich die AfD dazu verhält. Wenn es zu solch einer Fraktion kommt, sollten unsere beiden AfD-Europaabgeordneten nicht außen vor bleiben. Auf der europäischen Ebene sollten wir deshalb auch mit dem Front National zusammenwirken. Das heißt aber nicht, dass ich mit den Programmen von Frau Le Pen für die französische Innenpolitik einverstanden bin.
Wenn sie eine gemeinsame Fraktion mit Rechtsparteien im Europaparlament eingehen, dann kooperieren sie mit diesen.
Das ist auf der europäischen Ebene etwas anderes. Auf Straßburger und Brüsseler Ebene kommt es weniger darauf an, welche Positionen die Parteien in einer Fraktion in den jeweiligen Mitgliedsstaaten vertreten. Es geht nur um das punktuelle Zusammenwirken in Europa.
Der AfD muss mit dem Vorwurf leben, rechte Gewalt zu verharmlosen. Das zeigen viele Facebook-Einträge. Der thüringische AfD-Abgeordnete Stefan Möller kommentierte den jüngsten Großeinsatz der GSG 9 gegen rechte Gewalttäter im sächsischen Freital so: “Für die paar Skinheads mit Feuerwerkskörpern aus Osteuropa hätten früher vermutlich auch ein paar Dorfpolizisten gereicht.“ Was unternehmen Sie gegen solche gefährlichen Sprüche?
Ich kenne Herrn Möller nicht, ich kenne die Eintragung nicht. Ich äußere mich nicht zu Dingen, die mir fremd sind.
Ist es für die AfD kein Problem, wenn sich Mandatsträger so äußern?
Wir haben eine klare Abgrenzung nach rechts. Wir wollen keine ehemaligen NPD- und DVU-Mitglieder. Das ist ein klares Signal. Auf Facebook wird bekanntlich auch viel Stuss gepostet.
Die Wahlerfolge bei den Landtagswahlen führen dazu, dass ihre Anhänger hohe Erwartungen in Sie setzen. Wie wollen Sie die einlösen? Als Opposition können Sie nur wenig gestalten.
Das sehe ich anders. Als Opposition gestalten wir mehr als wir das in einer Regierung können. Anders als der frühere SPD-Vorsitzende Franz Müntefering glaube ich nicht, dass Opposition Mist ist. Wir entfalten starke Wirkung als Opposition, denn wir verändern die Republik. Die anderen Parteien ändern ihre Politik, weil die AfD so stark ist.
Vor knapp einem Jahr standen Sie in den Umfragen noch bei fünf Prozent, jetzt liegen sie zweistellig. Was macht Sie sicher, dass sie nicht wie die Piraten wieder in der Versenkung verschwinden?
Sicher macht mich nie etwas. Politik ist immer Kampf und Auseinandersetzung. Es ist der Versuch, das aufzugreifen, was von den anderen Parteien liegengelassen wurde. Dabei kann man scheitern oder gewinnen. Bisher waren wir auf der Gewinnerseite.
Sie waren über Jahrzehnte hinweg in der CDU engagiert. Empfinden Sie Genugtuung darüber, dass die CDU an Rückhalt bei den Wählern verliert?
Ja, das erfüllt mich mit Genugtuung. Ich gehörte damals dem Berliner Kreis der Union an und versuchte, intern mit Ländervertretern der Unionsführung zu vermitteln, dass es so nicht geht. Man kann als Volkspartei die konservativen Wähler nicht nach dem Motto behandeln, ihr könnt ja gar nichts anders wählen. Uns wurde damals von der Unionsführung entgegnet, wir sollten uns um unsere Kreisverbände kümmern. Ich bin sehr zufrieden, dass der Nachweis gelungen ist, wie sehr sich die Union geirrt hat.