Einst war er mit dem Team Gerolsteiner mittendrin, jetzt ist Hans Holczer nur noch manchmal dabei: als kritischer Beobachter. Foto: Kraufmann

Der frühere Gerolsteiner-Teamchef Hans Holczer über die Tour de France und Doping im Radsport.

Einst war er mit dem Team Gerolsteiner mittendrin, jetzt ist Hans Holczer nur noch manchmal dabei: als Beobachter, der viel weiß über die Tour de France und Doping im Radsport - und der sagt: "Überall im Sport wird manipuliert."

Herr Holczer, in gut zwei Wochen beginnt die Tour de France, Sie werden dann in der Schule sein. Macht Sie das traurig?
Überhaupt nicht, ich bin gerne in der Schule - auch wenn Interviews mit mir früher von Millionen gesehen wurden und ich heute vor 30 Leuten stehe, von denen einige gar nicht interessiert, was ich sage (lacht).

Wissen Ihre Schüler, dass Sie früher am großen Rad gedreht haben?
Einige schon, andere googeln vielleicht mal meinen Namen. Aber für die meisten bin ich ein ganz normaler Lehrer, mit allem, was sie an Paukern mögen oder auch nicht.

Sie unterrichten an einer Böblinger Realschule unter anderem Mathe und Geschichte. Wie bauen Sie da den Radsport ein?
In meiner Mountainbike-Neigungsgruppe. Und wenn es um gesellschaftliche Themen wie Facebook, Medien oder Öffentlichkeit geht. Da gebe ich meine Erfahrungen aus zehn Jahren Profi-Radsport weiter, und das sind dann auch Geschichten, die ziehen.

Was erzählen Sie über die Tour de France?
Dass ich mich der Faszination dieses Rennens nicht entziehen kann.

Sie reisen also doch hin?
Ja, an zwei oder drei Wochenenden, bei Skoda bin ich eine Mischung aus Gast und Experte für Kunden und Journalisten. Unter anderem fahren wir in den Pyrenäen aufs Plateau de Beille. Mit dem Rad.

Was begeistert Sie an der Tour?
Die Masse von Leuten, die immer größer wird, auch wenn das den Behauptungen in Deutschland widerspricht. Das völkerverständigende Element ohne Randale. Der internationale Geist. Einfach die ganze Atmosphäre dieses Rennens.

Hört sich an, als wären Sie immer noch liebend gerne Teil der Szene.
Nein, es ist wesentlich angenehmer, die Tour aus der Distanz zu erleben. Ich bin wie ein Pensionär, der mal eine gut gehende Abteilung geleitet hat - und dem nun alle erzählen, wie toll sich die Firma entwickelt hat.

Glauben Sie das?
Ich habe meine Zweifel.

"Stimmt, Doping ist nicht zu verhindern"

 Weil munter weiter gedopt wird?
Meine Erfahrung lehrt mich, dass überall im Sport manipuliert wird, insbesondere im Ausdauersport. Wer sich dem nicht bewusst aussetzen will, der muss seinen Fernseher abschalten. Komplett. Den Gedanken, dass Doping durch Kontrollen abgeschafft werden kann, habe ich völlig aufgegeben.

Bleibt also nur die Kapitulation?
Die Frage ist doch, was schlimmer ist: Die Vergabe einer Weltmeisterschaft, bei der sich manche auf dem Rücken der Fans die Taschen mit Millionen vollstopfen, oder eine Manipulation der körperlichen Leistung, die in der Spitze zwar verbreitet ist, die aber sicherlich nicht kollektiv geschieht.

Ihre Antwort?
Mich fasziniert die Leistungsfähigkeit vieler Radsportler. Durch die Manipulationen der Vergangenheit entstand ja bei manchen das Bild, dass da irgendwelche Couchpotatos zu Junkies werden und deshalb plötzlich schnell Rad fahren. Aber das ist natürlich eine völlig irrige Vorstellung. Sonst könnte man ja auch aus jedem C-Klasse-Kicker einen Bundesliga-Torjäger machen.

Das ändert allerdings nichts am Dopingproblem des Radsports.
Stimmt, Doping ist nicht zu verhindern. Aber es gibt da eine Besonderheit. Die Verfehlungen im Radsport werden mit einer Intensität wahrgenommen, die nicht mehr objektiv ist - denn im Radsport wird mehr kontrolliert als in jeder anderen Sportart. Daraus lernen andere Verbände: Sie werden den Teufel tun, denselben Weg zu gehen.

Und dann hat der Radsport auch noch das Problem Alberto Contador.
Dieser Mann ist natürlich ein Segen für den Radsport (verzieht das Gesicht).

Der dreimalige Tour-Sieger und seine Anwälte haben es geschafft, nach dem positiven Test auf Clenbuterol die entscheidende Verhandlung vor dem Internationalen Sportgerichtshof auf die Zeit nach der Frankreich-Rundfahrt verlegen zu lassen.
Dass er seinen Start mit juristischen Mitteln durchdrückt, zeigt nur, wie wenig er an die Sportart denkt, von der er lebt, und wie wenig an seine Kollegen, die von ihr leben.

Er ist auch schon den Giro d'Italia gefahren - und hat natürlich gewonnen.
Contador zeigt blanken, grenzenlosen Egoismus, und dann diskreditiert er mit der Erklärung, er habe ein verseuchtes Steak gegessen, auch noch die ganze spanische Fleischindustrie. Aber das passt 100 Prozent zu der Parallelwelt, in der solche Leuten leben.

Was können die Tour-Veranstalter tun?
Nichts, außer ihn noch mal erwischen. Das wäre der größte Sieg für die Tour.

"Tour de France lässt sich von Leuten wie Contador nicht kaputtmachen"

Kann das passieren?
Fest steht für mich, dass Contador nichts nimmt, ehe er davon überzeugt ist, dass es nicht entdeckt wird. Insofern wird er nun etwas unsicher sein - denn das Kölner Labor hat das Clenbuterol gefunden, das von dem Labor, in dem er sich vermutlich vorher hat testen lassen, nicht entdeckt worden ist. Er wird also jetzt bei der Tour 2011 megavorsichtig sein, zumal er kontrolliert werden wird wie kein anderer. Ich bin gespannt, was er noch zu leisten imstande sein wird.

Und wenn er doch wieder vorneweg fährt?
Dann werden die anderen wie bekloppt um Platz zwei fahren, in der Hoffnung, dass Contador nachträglich gesperrt wird.

Das hätte dann gewisse Parallelen zum Fall Armstrong, dem Ähnliches droht.
Ja, und das zeigt auch wieder die abstruse Situation, in der der Radsport steckt. Denn sollte Armstrong überführt und ihm der eine oder andere Tour-Sieg aberkannt werden, können wir in Deutschland dann einige Tour-Siege mehr verbuchen?

Alles also nur noch eine Tour de Farce?
Ganz sicher nicht. Die Tour de France ist so stark, dass sie sich von Leuten wie Contador nicht kaputtmachen lässt.

Haben Sie eigentlich noch Kontakt zu den gedopten Gerolsteiner-Profis Stefan Schumacher, Danilo Hondo und Davide Rebellin?
Nein, ich fahre lieber selbst Rad. Im letzten Sommer habe ich Schumacher sogar mal mit meiner Freizeitgruppe im Neckartal eingeholt. Er ist spazieren gefahren - und zum Pinkeln auf den nächsten Parkplatz abgebogen. Aber es hätte ohnehin keinen Redebedarf gegeben.

Alle drei sind wieder Profis. Ist das okay?
Ja, denn das Prinzip der Resozialisierung gilt auch für alle Straffälligen in der Gesellschaft, und die haben noch ganz andere Dinge zu verantworten, als beim Sport betrogen zu haben.

Sind dann zwei Jahre Sperre genug?
Ich bin für längere Sperren, wenn wir gleichzeitig in der Lage sind zu akzeptieren, dass die Schuld der Athleten damit gesühnt ist und sie wieder da sind. Dem Zuschauer fällt das leicht, die Sportjournalisten tun sich da viel schwerer.