Drei Jahre hat der gebürtige Stuttgarter Regisseur Andres Veiel recherchiert. An diesem Donnerstag läuft nun „Beuys“ an, sein Blick auf das Schaffen und das Denken des Künstlers und Selbstinszenierers.
Stuttgart - Für Andres Veiel steht fest, dass Joseph Beuys (1921–1986) alles andere als ein Spinner war, sondern eher ein getriebener Mensch. Bei den Recherchen für seinen Dokumentarfilm „Beuys“ ist dem Filmemacher erst bewusst geworden, wie heutig das Denken des Künstlers war.
Herr Veiel, ist es nicht undankbar, einen Film über Beuys zu drehen? Für die einen ist er ein Heiliger, für andere ein Spinner.
Ich habe aus 400 Stunden Material zwei Stunden ausgewählt, deshalb ist es meine Sicht – und mir war klar, dass es viele gibt, die etwas vermissen werden oder einen anderen Beuys in Erinnerung haben. So ein Film muss auch Enttäuschung und Widerspruch provozieren, aber das gehört zu Beuys dazu.
Was hat Sie mehr als dreißig Jahre nach seinem Tod an ihm interessiert?
Der Ausgangspunkt war 2008 die Beuys-Ausstellung im Hamburger Bahnhof in Berlin, in der sehr viel Archivmaterial gezeigt wurde. Dort habe ich einen sehr heutigen Beuys entdeckt, der Fragen stellte wie: Kann man Arbeit und Einkommen getrennt denken? Damit war er sehr früh beim bedingungslosen Grundeinkommen, auch wenn er das anders nannte. „Jeder Mensch ist ein Künstler“ hieß für ihn ja nicht, dass jeder Maler, Bildhauer, Komponist ist, sondern dass jeder Mensch die Fähigkeit zu sozialer Gestaltung hat.
Sie haben drei Jahre lang recherchiert. Hat Sie das Material überrollt?
Es hat sich verselbstständigt. Wir haben 15 000 Fotografien, die in einer Spedition lagerten, herausgeholt und digitalisiert. Wir haben aus Kellern alte Tonbandspulen gerettet. Es waren zehn, fünfzehn Leute permanent mit Transkribieren und Digitalisieren beschäftigt.
Sie zeigen Beuys als faszinierenden Menschen, humorvoll, tiefgründig, traurig – eigentlich eine perfekte Filmfigur, oder?
Ja, es gab viele Regisseure, die einen Spielfilm über ihn machen wollten. Das ist mir nie in den Sinn gekommen. Beuys hat eine sehr deutsche Biografie mit Prägung durch den Zweiten Weltkrieg und die fünfziger, sechziger Jahre. Aber er hatte auch etwas sehr Undeutsches durch seinen Humor und das Hasenhafte, bei dem man nie weiß, ob er jetzt wieder einen Haken aus der Argumentationskette herausschlägt.
Ihr Film macht deutlich, wie stark Beuys attackiert wurde. Hat ihm das nicht zugesetzt? Warum hat er sich diesen Diskussionen immer wieder gestellt?
Das habe ich mich auch gefragt. Ich glaube, das hat stark mit der eigenen Wunde und Verletzung zu tun. Die Erfahrung, nach seinem Flugzeugabsturz als Soldat das Leben noch einmal geschenkt bekommen zu haben, schaffte eine große Energie. In dem Sinne hat er die Kerze an zwei Enden angezündet und starb eben früh.
Mitte der fünfziger Jahre hatte er eine schwere Krise und zog sich aus allem zurück. War er depressiv?
Ja, heute würde man es posttraumatische reaktive Depression nennen. Es lag sicher auch am mangelnden Erfolg, aber ich glaube, dass die Kriegsereignisse ihm da erst richtig bewusst wurden.
Nachdem Ihr Film auf der Berlinale lief, monierten einzelne Kritiker, dass Sie Beuys zu sehr feiern würden. Gibt es keine Schattenseiten in seiner Biografie – oder wollten Sie diese nicht zeigen?
Es gibt den Vorwurf, Beuys sei im völkischen Sumpf stecken geblieben. Das hat mich gewundert, deshalb bin ich dem nachgegangen. Er verpflichtet sich für zwölf Jahre bei der Luftwaffe. Im Film gibt es aber den markanten Satz: „Im Krieg bin ich zurechtgeschossen worden“, was heißt, dass er den Flugzeugabsturz und die Verletzung brauchte, um etwas zu erkennen. Ihn als Bewahrer eines völkischen Gedankens aufzubauen, dafür haben mir einfach die Belege gefehlt.
„Warum hat man ihn aus der Anstalt entlassen?“, kommentierte ein Ausstellungsbesucher in New York. Haben Sie auch mal gedacht, dass Beuys irgendwie verrückt war?
Ich glaube, er war vernünftig und klar in seinem Denken. Er war gleichzeitig aber auch ein Getriebener. Ich maße mir nicht an, ihn zu beurteilen, aber hinter dieser wahnsinnigen Energie steckt die Frage: Was treibt einen an? Ist es der eigene Schatten, die Tatsache, dass der Tod ihn schon gegriffen hatte?
Was war für Sie die besondere Leistung des Künstlers Joseph Beuys?
Dass er aus der Kunst heraus die Museumsmauern aufgebrochen hat und in Ideenräume hineingedacht und dabei den Menschen mit all seinen Bedürfnissen und Nöten gesehen hat. Er musste aus seiner Biografie heraus diese Kunst machen und hat aus der inneren Notwendigkeit heraus die Gestaltung von Ideenräumen entwickelt.
Beuys kultivierte die Legende, dass er nach seinem Flugzeugabsturz auf der Krim von Tataren gepflegt wurden, die ihn mit Fett einrieben und in Filz wickelten. Was glauben Sie: Mythos oder Wahrheit?
Ich finde, ein Künstler darf, muss, kann seine Biografie zum Material machen. Es ist eine Erzählung. Da wäre es eher klein kariert, den Finger zu heben und zu sagen: Jetzt lügst du! Die Erzählung ist Teil von ihm – und das, was er erlebt hat, hat er in eine starke Kunst transformiert.