Regisseurin Karin Boyd hat das Theaterstück „Geächtet“ inszeniert. Foto: Veranstalter (Henry Husen)

Die Schauspielerin und Regisseurin Karin Boyd hat das mehrfach preisgekrönte Theaterstück „Geächtet“ inszeniert, das am Sonntag in der Fellbacher Schwabenlandhalle zu sehen ist. Ein Schwerpunkt ist, wie sich Menschen durch Vorurteile das Leben schwer machen.

Fellbach - Im Jahr 2013 war es der Hit am Broadway. Jetzt kommt das Theaterstück „Geächtet“ auf Einladung des Kulturamts nach Fellbach. Inszeniert wurde das ebenso unterhaltsame wie tiefsinnige Werk von der bekannten Film-, Fernseh- und Theaterschauspielerin Karin Boyd.

Frau Boyd, als wir „Geächtet“ in Ihrer Inszenierung vor rund einem Jahr gesehen haben, hat sie uns recht ratlos gemacht: Man findet keine Antwort, wie man die Abwärtsspirale der Figur Amir hätte aufhalten können.

Das Stück behandelt eine ewig aktuelle Problematik, nämlich wie sich Menschen durch Vorurteile gegenseitig das Leben schwer machen. Der Autor Ayad Akhtar handelt dieses Thema auf sehr spannende Art an der aktuellen Islam-Diskussion ab. Es geht in dieser Geschichte also nicht vordergründig um Religionen, sondern darum, wie in einer zugespitzten Situation, in der die Gemüter hochkochen, selbst bei weltoffenen, toleranten, hochgebildeten Menschen plötzlich vorurteilsbeladene Klischees und Verhaltensweisen hervorbrechen, die verletzend und zerstörerisch sein können.

Wo ist die Lösung?

Antworten auf komplexe gesellschaftliche Fragen kann ein Theaterstück nicht geben. Was Theater aber kann, ist Fragen, die sich uns stellen, auf der Bühne spielerisch vorzutragen, um sie so zur Diskussion zu stellen und zum Nachdenken anzuregen. Vielleicht findet man so Antworten oder betrachtet die aufgeworfene Problematik mal aus einem anderen Blickwinkel als nur aus dem eigenen.

Also keine Antworten?

Es gibt auf die wichtigen Fragen des Lebens keine endgültigen Antworten. Wir müssen die Antworten, die wir glauben gefunden zu haben, immer wieder aufs Neue überprüfen und hinterfragen. Das Wichtigste dabei ist jedenfalls, dass wir den Diskurs mit Andersdenkenden – egal zu welchem Thema – möglichst vorurteilsfrei und auf der Ebene des gegenseitigen Respekts führen.

In Fellbach kennt man Sie durch Ihre Regiearbeit von „Tagträumer“ mit Jörg Schüttauf und Susann Uplegger und auch als Schauspielerin in der Lügenkomödie „Die Wahrheit“. Ist die Regie mittlerweile Ihr Metier?

Ich mache beides sehr gern: Theaterrollen spielen und Theaterstücke inszenieren. Und wenn mir eine mir angebotene Rolle gefällt, sieht man mich auch immer mal wieder auf der Bühne. An der Regie reizt mich, dass ich viel stärker darauf Einfluss nehmen kann, wie dem Zuschauer die Geschichte erzählt und nahegebracht wird.

Wie war’s bei „Geächtet“?

Bei „Geächtet“ war es uns wichtig, dem Zuschauer nicht nur intellektuell, sondern möglichst emotional erfahrbar zu machen, wie es den Menschen da oben in dieser Geschichte geht. Das ist für mich ein spannender Aspekt beim Theatermachen: Dass man Menschen nicht allein über den Kopf, sondern auch über die Emotion erreichen kann. Natalie O’Hara, die in „Geächtet“ die Emily spielt, hat mir berichtet, dass die Zuschauer meist so gefesselt und berührt sind, das am Ende der Aufführung zunächst für einen Moment absolute Stille im Publikum herrscht, bevor der Applaus einsetzt.

Sind Schauspieler die besseren Regisseure?

Das wäre zu einfach. Aber die Erfahrungen, die man auf der Bühne als Schauspieler gemacht hat, können beim Regieführen durchaus hilfreich sein. Letztlich bringen sich ja viel mehr Menschen mit ihrem Können und ihrer Kreativität in eine Inszenierung ein. Als Regisseurin habe ich das Privileg, all die Kräfte, all das Können, die Kreativität der Mitwirkenden zu einem möglichst guten Ganzen zusammenzufügen.

Wie ein typischer Regie-Diktator, der keine Rücksicht nimmt, wirken Sie nicht.

Ich glaube nicht daran, dass man Schauspieler zu einem Erfolg peitschen kann. Ich halte mehr von Inspiration, Vertrauen in die Kräfte und das Können der Mitwirkenden und – wie schon oben erwähnt – von Respekt, der bei jedem Kontakt mit anderen Menschen oberstes Gebot sein sollte. Außerdem halte ich mich auch nicht für eine Allwissende, die allein weiß, was gut für eine Inszenierung ist. Es geht um eine Ensembleleistung, die jedem das Optimum abverlangt, – und nicht das Werk eines selbstherrlichen Egomanen.

Als Regisseurin von Fernsehfilmen oder TV-Serien haben wir Sie noch nicht registriert.

Das wird auch nicht passieren. Ich spiele auch immer mal wieder gern eine Film- oder Fernsehrolle, wenn sie mir zusagt. Aber eigentlich bin ich ein Theatertier. Das Theater ist für mich eine Herzenssache. Ich liebe den Probenprozess, in dem wie bei einem Bildhauer nach und nach ein lebendiges Werk entsteht. Beim Theater ist dieses Werk aber nie ganz abgeschlossen. Mit jeder Aufführung wachsen die Figuren weiter, wird die Geschichte noch reichhaltiger. Nicht zu vergessen der direkte Publikumskontakt. Der Zuschauer ist ja Teil einer jeden Aufführung.

Wer in den üblichen Internet-Suchmaschinen Ihren Namen eingibt, landet an zweiter Stelle bei Ihrer Rolle als Juliette Martens in „Mephisto“. Wenn das so lange im kollektiven Gedächtnis bleibt: Fluch oder Segen?

Natürlich kein Fluch: Es ist ein sehr guter, vielfach ausgezeichneter Film. Die Arbeit mit dem sensiblen, wunderbaren Regisseur István Szábo war sehr inspirierend und hat Spaß gemacht. Ein echtes Vorbild als Mensch und in Sachen Regie. Seine Art, mit Schauspielern zu arbeiten, war ein Segen. Szábo erklärte seine Arbeitsweise mal mit der Aussage: „Ich gebe dem Schauspieler die Zeit, die er braucht, um gut zu sein.“ Um eine Figur auf der Bühne – oder auch vor der Kamera – entwickeln, entstehen lassen zu können, muss ein Schauspieler sich öffnen, er wird verletzlich. Er gibt sich vertrauensvoll in die Hände des Regisseurs oder der Regisseurin, damit wir gemeinsam aus der Rolle einen möglichst lebendigen Charakter mit all seinen Facetten formen können. Selbstverständlich gehe ich in diesem Prozess sensibel und respektvoll mit dem Darsteller um. Den Schauspielern unserer Inszenierung „Geächtet“ ist es so gut gelungen, ihre Rollen auszufüllen und weiterzuentwickeln, dass ich, obwohl ich jede Facette des Entstehungsprozesses kenne, immer wieder von ihrer Darstellung mitgerissen und berührt werde.