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Donaueschingens OB Thorsten Frei über die Auswirkungen von S21 auf andere Kommunen.

Stuttgart - Oberbürgermeister und Bürgermeister aus dem Land treffen sich an diesem Samstag zur Landestagung in Kornwestheim. Dabei wird es auch um Konsequenzen aus Stuttgart 21 gehen. Thorsten Frei, OB von Donaueschingen und Landeschef der kommunalpolitischen Vereinigung, fordert ein Umdenken.

Herr Frei, die halbe Nation redet über Stuttgart 21. Welche Auswirkungen hat die Diskussion auf andere Kommunen im Land?

Ich mache mir große Sorgen, wie die Diskussion in der Öffentlichkeit geführt wird, und bin erschrocken ob der Art und Weise, wie man in dem Thema miteinander umgeht. Ich hatte mir auch als Kommunalpolitiker bisher immer etwas darauf eingebildet, relativ nahe bei den Menschen zu sein. Jetzt aber erleben wir eine Eskalation, die ich so nicht für möglich gehalten hätte.

Ist die Entwicklung ein Einzelfall?

In der Vergangenheit gingen Genehmigungsverfahren von Großprojekten oftmals relativ spurlos an der Bevölkerung vorbei. Erst wenn formale Baubeschlüsse gefasst sind, weckt das meist das Interesse der Bürger. Das ändert sich zunehmend. Denken Sie an zwei Großprojekte in diesem Jahr: Konstanz wollte ein Konzerthaus bauen, es scheiterte an einem Bürgerentscheid. Auch der Stadthallenbau in Heidelberg wurde so gekippt. Oder nehmen Sie große private Bauvorhaben wie das Boss-Lager in Metzingen, das für den Weltkonzern dringend notwendig war, dort aber nicht gewünscht ist. Immer wieder wurden Entscheidungen, die zuvor in kommunalen Gremien getroffen waren, infrage gestellt oder sogar gestoppt.

Das ist doch der Beleg, dass sich Regierende und Regierte immer weiter voneinander entfernt haben.

Es ist einerseits positiv zu werten, dass es ein zunehmendes Interesse der Bürger an der Zukunftsentwicklung der eigenen Stadt gibt. Andererseits leidet darunter aber die Verlässlichkeit für Investoren. Planungsprozesse werden in die Länge gezogen, und öffentliche Diskussionsprozesse finden zweimal statt. Aus meiner Sicht muss es das Ziel sein, auch Großprojekte in einer überschaubaren Zeit realisieren zu können. Da geht es auch um unsere internationale Wettbewerbsfähigkeit.

Woher kommt die neue Protestwelle?

Die Diskussion um Stuttgart 21 ist für viele Menschen ein Ventil geworden für einen anderen, tief sitzenden politischen Frust. Wir müssen uns Gedanken machen, wie wir mit diesem Trend umgehen. Für mich ist eines klar: Die Politik hat mehr denn je eine Bringschuld. Dabei ist es völlig unerheblich, ob es sich um Bundes-, Landes- oder Kommunalpolitik handelt.

"Wir sind in der Pflicht, die Bürger rechtzeitig zu informieren"

  Die Entwicklung war doch absehbar. Seit Jahren sinken die Wahlbeteiligungen, und bei Gemeinderatssitzungen sind in der Regel die Zuhörer an einer Hand abzuzählen.

Sie haben recht. Es ist nur die Frage, wie man darauf reagiert. Wir sind in der Pflicht, die Bürger rechtzeitig zu informieren. Aber ein demokratisches Gemeinwesen lebt auch davon, dass sich der mündige Bürger einmischt und einbringt. Also, ein Stück weit ist das auch eine Wechselbeziehung.

Warum kommt niemand in der Politik auf die Idee, die Abläufe transparenter zu machen, auf dass der Bürger sie wieder versteht.

Natürlich frage ich mich immer wieder, ob die Planverfahren nicht zu bürokratisch und zu abgehoben sind. Für manche Projekte brauchen wir inzwischen Jahre oder Jahrzehnte, bis ein Baurecht vorliegt. Das ist eine Schieflage, wie Stuttgart 21 zeigt. Es sind ja nicht Ministerpräsident Mappus und Stuttgarts OB Schuster, die das Projekt gestartet haben und die politischen Initiatoren waren. Das geschah schon zu Zeiten von Erwin Teufel und Manfred Rommel. Solche langen Verfahren bergen die Gefahr, dass der öffentliche Diskurs zu spät einsetzt und die Einordnungen förmlich verrutschen.

Was müssen die Kommunen daraus lernen?

Eine Folge wird sein, dass die Umsetzung von Projekten nicht schneller und auch nicht billiger gehen wird. Es wird verstärkte Anstrengungen geben müssen, die Menschen frühzeitig in die Diskussionsprozesse einzubinden. Deshalb werden die einzelnen politischen Ebenen, aber auch die Städte nicht nur das Budget für die eigentliche Baumaßnahme einplanen, sondern auch neue Strategien und Geld für die richtige Öffentlichkeitsarbeit bereitstellen müssen.

Aber reicht das? Viele Bürger haben resigniert nach dem Motto: Wir hier unten können gegen die da oben sowieso nichts ausrichten.

Ich glaube, dass die Wurzel für den Unmut in der Finanz- und Wirtschaftskrise liegt. Wir sind zwar alle viel besser aus der Krise herausgekommen als gedacht, aber bei vielen Bürgern bleibt eine tiefe Unzufriedenheit zurück. Wenn jemand sein Erspartes angelegt hatte, es verloren hat und nun sieht, wie Banken vom Staat erst mit Milliardenhilfen am Leben gehalten wurden und die Manager dennoch riesige Boni-Zahlungen bekommen, ist das schon schwer nachvollziehbar. Oder das Beispiel Griechenland. Dort fließt viel Geld hin, damit der Staat und damit das gesamte miteinander verflochtene System in der EU gestützt wird. Für diese Hilfsaktion gibt es also durchaus vernünftige Erklärungen. Das begreifen viele Menschen auch, aber intuitiv spüren sie, dass da was schiefläuft. Wenn die politisch Verantwortlichen dann gleichzeitig sagen, ihr Handeln sei alternativlos, führt das in der Öffentlichkeit leicht zu Frust.

Und wie ist der zu beheben?

Regierte und Regierende müssen wieder näher zusammenkommen. Die Bürger dürfen nicht nur die Ergebnisse präsentiert, sie müssen auch stärker die Entwicklungen erklärt bekommen. Das haben wir alle in den vergangenen Jahren nicht hinreichend getan, wie man jetzt am Beispiel Stuttgart 21 sieht. Ich bin mir sicher, dass auf die Frage, wie Zukunftsprojekte in unserem Land umgesetzt werden können, ganz neue Antworten gesucht werden müssen.