Die Demenzfachberater Monika Amann und Thomas Herrmann wollen über die Krankheit und den Umgang mit Betroffenen aufklären. Foto: Landratsamt

In den kommenden Jahrzehnten wird die Zahl der Erkrankten sich verdoppeln, sagen die Demenzfachberater des Rems-Murr Kreises. Im Interview sprechen Monika Amann und Thomas Herrmann über gesellschaftliche Herausforderungen dadurch.

Demenz – mitten unter uns“ – so nennt Thomas Herrmann einen Vortrag, den er im Rahmen des Projekts „Demenzfreundliche Kommune Weinstadt“ halten wird. Im Interview mit unserer Zeitung erklären der Demenzfachberater und seine Kollegin Monika Amann was dahinter steckt.
Herr Herrmann, Frau Amann, inwiefern ist die Krankheit unter uns?
Herrmann Unter uns ist sie in jedem Fall zahlenmäßig. Die Zahl der Betroffenen wird sich voraussichtlich bis ins Jahr 2050 verdoppeln. Betroffen sind davon in erste Linie die Angehörigen. Wo sie noch nicht so angekommen ist, sind manche Teile des öffentlichen Lebens, in Vereinen etwa.
Amann Angekommen ist Demenz dort sehr wohl, nur nicht bewusst. Denn die Betroffenen ziehen sich zurück, fühlen sich nicht mehr gut aufgehoben, da viele Dinge des täglichen Lebens nicht mehr so gehen.
Herrmann Mitten unter uns ist Demenz, wenn wir den Blick schärfen für die Möglichkeiten, die es gibt. Etwa indem man den Verein anders aufstellt, das Repertoire im Gesangsverein zum Beispiel umstellt, immer auch ein paar alte Lieder singt, nicht nur neue, so dass Demenzkranke weiterhin am Vereinsleben teilnehmen können.
Wie viele Demenzkranke gibt es im Kreis derzeit und welchen Einfluss hat der demografische Wandel?
Amann Pi mal Daumen sind es alle verschiedenen Demenzformen zusammengenommen 10 000. Die Zahl ist in den vergangenen Jahren bereits dramatisch gestiegen.
Herrmann Mit der demografischen Entwicklung steigt auch das Demenzrisiko. Ein Zusammenhang zwischen der älter werdenenden Gesellschaft und Demenz ist belegt. Aber auch Jüngere können daran erkranken.
Amann Für deren Angehörige ist es noch deutlicher spürbar.
Herrmann Vor allem, wenn es bisher so war, dass der Vater die klassische Ernährerrolle inne hatte und nun nicht mehr arbeiten kann.
Welche Herausforderungen ergeben sie durch Demenz für die Gesellschaft?
Herrmann Zunächst stellt sich die Frage der Pflegebedürftigkeit, und wie die Familie das stemmen kann . . .
Amann . . . sowohl menschlich als auch finanziell.
Herrmann Wenn beispielsweise ein verwitweter Elternteil erkrankt, dann stellt sich für die Kinder auch die Frage der Vereinbarkeit von Pflege und Beruf.
Amann Eine große Herausforderung ist aber auch die gesellschaftliche Akzeptanz. Leider ist Demenz in weiten Teilen ein Tabuthema und schambesetzt. Das erschwert den Umgang zusätzlich.
Und auch ein Grund, warum Betroffene sich zurückziehen?
Amann Ja, denn sie fühlen sich ständig abgelehnt.
Herrmann In einer Gesellschaft, in der vieles einfach funktionieren muss, stört Demenz extrem . . .
Amann . . . wenn es uns nicht gelingt einen anderen Blick darauf zu bekommen. Es braucht eine gewisse Toleranz. Herrmann Etwa kann es sein, dass sich jemand nicht mehr so korrekt anzieht und sich beim Essen in einer Gaststätte nicht mehr so sittsam benimmt, die Etikette nicht mehr so stimmt.
Amann Weil einfach das Wissen, wie man sich benimmt, vergessen ist.
Was sind noch Anzeichen?
Amann In der Regel merken es Angehörige daran, dass Termine vergessen, Dinge verlegt werden, Schlüssel sich etwa im Kühlschrank oder im Bett wieder finden. Und so etwas gehäuft auftritt.
Herrmann In der Medizin unterscheidet man dazu die Bereiche Kognition, Alltagsbewältigung und Verhalten. Wenn sich in diesen länger als sechs Monate Veränderungen zeigen, ist es an der Zeit, den Hausarzt zu besuchen, um die Ursache abklären zu lassen.
Wie sollte man reagieren, wenn man auf der Straße eine verwirrte Person antrifft, die möglicher Weise dement ist?
Amann Man sollte denjenigen ganz freundliche ansprechen, ob man ihm eventuell helfen kann, versuchen in einen Dialog reinzukommen, um zu erfahren, wo derjenige hingehört. Und wenn man dabei überhaupt nichts ergründen kann, dann darf man sich auch an die Polizei wenden.