Johannes M. Fischer, der neue Kopf der EZ-Redaktion, spricht über die Bedeutung regionaler Berichterstattung, sein Verständnis von Journalismus, die Zukunft des Digitalen und sein neues Buch.

Esslingen - Wie viele andere Unternehmen stehen Zeitungsverlage vor einem tiefgreifenden Wandel. Was bedeutet die zunehmende Digitalisierung? Wo liegen die Chancen des Online-Journalismus? Und wie ist die Zukunft der gedruckten Zeitung? Antworten darauf gibt Johannes M. Fischer, der neue Chefredakteur der Eßlinger Zeitung.

Sie kennen die Aufgabe von anderen Verlagen. Was bedeutet es für Sie als Moselaner, der viel im Osten der Republik unterwegs war, Chefredakteur der Eßlinger Zeitung zu sein?

Ja, ich war beruflich in vielen Städten unterwegs, vor allem in den östlichen Bundesländern. Und ja, ich bin ein Flusskind. Esslingen ist für mich wie ein Nach-Hause-Kommen. Der Neckar, die Weinberge – ein ganz ähnliches, vertrautes Bild. Vieles hier erinnert mich an meine Heimat.

In welcher Rolle sehen Sie die EZ in der medienstarken Region Stuttgart?

Was die Welt-, Bundes- und Landesthemen angeht, kooperieren wir sehr gut mit Agenturen und unseren Medienpartnern. Über das Medienhaus in Stuttgart profitieren die EZ-Leser, zum Beispiel von den Korrespondenten aus aller Welt, dem Hauptstadtbüro in Berlin, den Wissenschaftsredakteuren. Umgekehrt sind wir als Gemeinschaftsredaktion auch eine wichtige lokale Quelle für die Stuttgarter Zeitung und die Stuttgarter Nachrichten. Denn was wir hier im Landkreis Esslingen tun, ist alles handgemacht, das kommt aus der eigenen Redaktion. Ein Produkt unseres Reporterteams. Kein anderes Medium ist im Landkreis so präsent wie wir. Kein anderer Verlag durchdringt die lokalen Themen so stark wie wir. Auch was die Qualität angeht, haben wir einen hohen Anspruch. Wir wollen schon zu den Besten gehören.

Warum sind Sie Journalist geworden?

Das ist relativ simpel zu erklären. Von Kindheit an war für mich immer das Fernweh deutlich größer als das Heimweh. Die Sehnsucht, etwas Neues und Fremdes zu entdecken, hinter die Vorhänge zu schauen, Türen aufzumachen. Für mich ist die Welt wie ein großes Schloss mit tausend Türen. Und hinter jeder versteckt sich etwas anderes. Das war der eigentliche Impuls. Dann spielt für mich Aufklärung eine große Rolle. Ich möchte Öffentlichkeit herstellen, Zusammenhänge erklären und zeigen, wie etwas funktioniert und warum. Das ist, glaube ich, das Ethos eines jeden Journalisten.

In wenigen Sätzen: Wie ist Ihre journalistische Philosophie?

Wie bereits gesagt: Aufklärung im allerbesten Sinne ist eine wichtige Triebfeder. Für mich ist sehr wichtig, dass wir die Menschen mit unseren Storys ins Gespräch bringen, dass wir für Gemeinschaft sorgen. Mein Ziel ist, dass wir mit unterschiedlichsten Darstellungsformen von der Nachricht bis zur Reportage Assoziationen wecken, Dinge in neuer Perspektive zeigen, Menschen auf neue Gedanken bringen, Erkenntnisse verschaffen.

Welchen Part spielen Sie selbst in der Redaktion?

Ich bin Teil des Teams. Für mich ist es das Wichtigste, die Redaktion so zu organisieren und die Themen so zu setzen, dass jeder für sich das Beste herausholen kann. Andere stark zu machen, bereitet mir eine Riesenfreude. Natürlich habe ich großen Spaß daran, auch selber journalistisch zu arbeiten. Aber ich sehe mich als Servicekraft – für das Team, für die EZ.

Warum lohnt es sich, jeden Tag die EZ und im Speziellen ihr Kernstück, den Lokalteil, zu studieren?

Keiner ist so vernetzt wie wir in der Region. Keiner ist so tief drin in den Themen und in der Gesellschaft wie wir. Wenn ich als Leser oder Leserin in diesem Landkreis lebe und Teil der Gesellschaft sein möchte, ist es gut, informiert zu sein und mitreden zu können. Diese Gesprächsthemen liefern wir massenweise. Da ist es wichtig zu wissen, was vor meiner Haustür passiert. Ich würde fast sagen: Wenn wir uns genau angucken, wie unser Leben verläuft, liegt uns das, was in der Umgebung läuft, sehr viel näher als das Geschehen sonst wo auf der Welt oder im Land. Unsere Alltagsgespräche betreffen eigentlich immer das Lokale.

Der Zug bei allen Medien geht mehr und mehr Richtung online. Wo steht die EZ da aktuell? Und an welchen Weiterentwicklungen arbeiten Sie?

Wir sind als Medienhaus voll drin in dieser digitalen Transformation. Der ganze Verlag, das ganze Team arbeitet sehr daran, dass wir zunehmend starke digitale Inhalte anbieten. Da sind wir schon sehr weit. Im Team ist das Verständnis da, dass wir für unsere Artikel durch das Digitale eine deutlich höhere Reichweite erzielen. Wir haben so viele Leserinnen und Leser wie noch nie. Was will man mehr als Reporter, als möglichst viel gelesen zu werden? Bei der digitalen Transformation arbeiten wir an vielen Dingen. Ich will das an der Graffiti-Halle der Eßlinger Zeitung erläutern, in der wir gerade stehen. Da kamen von überall her bekannte Graffiti-Künstler zusammen, aus Stuttgart, aus Berlin, darunter Leute, die in Kanada gesprüht haben. Dazu gibt es eine schöne crossmediale Story, wie diese Halle entstanden ist. Ein anderes Beispiel ist ein E-Sport-Turnier, das wir gerade mit Partnern auf die Beine stellen. Gespielt wird mit der Fußball-Simulation „FIFA 21“. Mit solchen Inhalten gewinnen wir ganz neue Leser und Nutzer. Auch dieses Interview, das es ja auch als Video gibt, zeigt: Wir sind nicht nur Papier, sondern machen viel, viel mehr. Zum Beispiel über 100 Videos pro Jahr, allein aus der Redaktion heraus. Wir sind schon gut dabei, aber wir haben den Anspruch, jeden Tag ein bisschen besser zu werden.

Wird es irgendwann nur noch die papierlose Zeitung geben?

Nein, das glaube ich nicht. Papier-Zeitung wird ein Luxusgut, etwas Besonderes. Für mich persönlich ist sie das heute schon. Ein Buch in der Hand ist ebenfalls etwas Besonderes. Da lehne ich mich zurück, darin blättere ich, das nehme ich mit in den Urlaub. Zeitung aus Papier verändert sich, aber sie wird nicht sterben.

Und wie muss das Printprodukt aussehen, um dauerhaft gegen die Internet-Konkurrenz zu bestehen?

Ich sehe das nicht als Konkurrenz, sondern als eine wunderbare Erweiterung unserer Möglichkeiten. Wir machen Journalismus für alle Sinne, zum Sehen, zum Lesen, zum Hören. Zum Riechen noch nicht, aber vielleicht kommt das noch (lacht). Dieser Rundum-Journalismus ist total faszinierend. Print behauptet sich in diesem großen Spektrum – wenn wir weiterhin konsequent auf das Lokale setzen.

Im Juni kommt Ihr Buch „. . . und manchmal platzt der Kragen“ im Verlag „edition überland“ heraus – eine Biografie über den thüringischen Ministerpräsidenten Bodo Ramelow. Was treibt Sie an, neben der aufreibenden Arbeit als Mann der schnellen Tagesnachricht auch auf dem literarischen Feld tätig zu sein?

Schreiben ist mein Leben. Ich kann nicht anders, auch in der Freizeit. Das war schon immer so und wird so bleiben, solange meine Gesundheit das zulässt. Ich kann mir gar nichts anderes vorstellen. Ich habe vorher schon verschiedene Beiträge in Anthologien geschrieben, unter anderem Kurzkrimis. Das neue Buch ist, wenn man so will, das große Porträt eines Menschen, der viele Widersprüche in sich vereint. Es spiegelt über ein halbes Jahrhundert deutsche Geschichte, insbesondere die 30 Jahre seit der Wiedervereinigung, in einer Person voller Ecken, Kanten und Abschürfungen – eben in der Person von Bodo Ramelow. Mich interessierte bei diesem Projekt auch die große Strecke. Als Journalisten sind wir normalerweise Kurz- oder Mittelstreckenläufer. Klar bleiben wir an Geschichten dran, diese Biografie war aber so etwas wie ein journalistischer Marathon, der mich viel Kraft und viel Recherche- und Schreibzeit gekostet hat, aber ich habe das genossen.

Sind Sie nach zwei Jahren schon Esslinger geworden?

Wenn mich Esslinger so bezeichnen würden, wäre ich darüber sehr glücklich. Es wäre mir eine Ehre. So würde ich es mal ausdrücken. Ich rechne noch mit vielen spannenden Jahren in dieser tollen Stadt und in dieser tollen Region.

Das Interview führte Chefreporter Harald Flößer.

Zur Person

Johannes M. Fischer ist neuer Chefredakteur der Eßlinger Zeitung. Der 60-Jährige folgt auf Gerd Schneider, der sich anderen Aufgaben widmet. Im Sommer 2019 kam Fischer zur EZ und verantwortet seitdem als Mitglied der Chefredaktion unter anderem die Erstellung lokaler multimedialer Inhalte. Vor seinem Wechsel nach Esslingen war er Chefredakteur bei der Lausitzer Rundschau und der Thüringer Allgemeinen.