Bundeskanzlerin Angela Merkel besuchte am Dienstag den Ort des Anschlags in Berlin. Bei dem Attentat mit einem Lastwagen wurden mindestens zwölf Menschen getötet. Foto: dpa

Nach London, Paris, Brüssel und anderen europäischen Hauptstädten ist nun auch Berlin Tatort eines terroristischen Anschlags mit vielen Todesopfern geworden. Viele ausländische Zeitungen kommentieren, welchen politischen Druck der Terror erzeugt – vor allem auf die deutsche Kanzlerin.

Stuttgart - Der Anschlag auf den Weihnachtsmarkt in Berlin hat weit über Deutschland hinaus Betroffenheit ausgelöst. Der terroristische Angriff auf die deutsche Hauptstadtwird von vielen Zeitungen im Ausland kommentiert. Ein Überblick:

„La Repubblica“: Tödliche Bedrohung

Die italienische Tageszeitung „La Repubblica“ bezeichnet die Todesfahrt eines Lastwagens in Berlin als Antwort der Terrormiliz IS an den Westen:

„Erst vor zwei Wochen hat der Sprecher des IS es als Priorität bezeichnet, sich auf die Attentate zu konzentrieren, und den Westen gemahnt: „Erinnert euch an diese Worte.“ Und jetzt scheint die tödliche Bedrohung konkret zu werden. Innerhalb weniger Stunden gab es den Angriff auch auf Touristen in Jordanien, das Blutbad in Berlin, die Ermordung des russischen Botschafters in Ankara und eine Schießerei in Zürich, deren Hintergründe noch im Dunkeln liegen. Es ist schwierig auszumachen, ob die Angriffe unter gleicher Regie geführt wurden, aber wenigstens beim Massaker auf dem Weihnachtsmarkt in Berlin scheint die Schablone klar, die die aggressive Vorgehensweise belegt: Es war dieselbe wie bei dem Blutbad in Nizza.“

„Financial Times“: Merkel muss standhaft bleiben

Die Londoner „Financial Times“ rechnet damit, dass der Druck auf Kanzlerin Angela Merkel in der nächsten Zeit deutlich zunehmen wird, mit harten Maßnahmen auf die Gefahren zu reagieren – und mahnt zur Mäßigung:

„Es wäre unklug, wenn die deutsche Regierung nun auf jeden Anschlag mit der Ausrufung des Kriegs- oder Ausnahmezustands reagieren würde, wie das in Frankreich geschah. Damit wäre das Risiko verbunden, die Erwartung eines definitiven Sieges (über den Terrorismus) zu wecken, den es niemals geben wird. Ebenso unklug sind symbolische Beschränkungen der Freiheit - etwa ein Burkaverbot -, die das Image eines scheinheiligen illiberalen Westens verfestigen, der den Islam attackiert statt den islamischen Terrorismus zu bekämpfen. Deutschland muss seine Bemühungen um Integration fortsetzen. Die Ausweisung der Flüchtlinge, die bereits im Lande sind, oder ihre Isolierung ist weder praktisch machbar noch würde sie den deutschen Wertvorstellungen entsprechen. Der Druck auf Angela Merkel wird in den kommenden Monaten zunehmen. Sie sollte standhaft bleiben, was immer der Preis dafür bei Wahlen sein wird.“

„Tages-Anzeiger“: Der Terror zerrüttet die Gesellschaft

In eine ähnliche Richtung kommentiert der Schweizer „Tages-Anzeiger“:

„Merkels Regierung hat auf die erhöhte Gefahr und die Kritik längst mit mehr Polizei, mehr Kontrolle und härteren Gesetzen reagiert, sodass von der einstigen „Willkommenskultur“ nicht mehr viel übrig geblieben ist. Sollte es in den kommenden Monaten dennoch zu weiteren Anschlägen kommen, kann eine Entwicklung eintreten, wie wir sie in Frankreich erlebt haben. Die französische Gesellschaft ist von der unausgesetzten Reihe islamistischer Attentate mittlerweile derart eingeschüchtert, dass der Kampf gegen den als Bedrohung empfundenen „Islam“ kaum noch Grenzen kennt und Grundrechte wie die Religionsfreiheit zu schleifen droht. Die Extremismen der einen und der anderen Seite schaukeln sich unentwegt hoch und schütteln die ratlose Mitte hin und her. Auf Dauer zerrüttet ein solcher Zustand eine Gesellschaft, politisch, aber auch was das Zusammenleben im Alltag angeht.“

„El País“: Deutschland ist eine reife Demokratie

Gesellschaften dürften sich dem Terror nicht beugen, schreibt die spanische „El País“ und kritisiert die Reaktion der Rechten auf den Berliner Anschlag:

„Sofort, und mit verachtungswürdigem Opportunismus, hat die extreme fremdenfeindliche Rechte (...) die Asylpolitik von Angela Merkel für die Angriffe verantwortlich gemacht und sie beschuldigt, Blut an ihren Händen zu haben. (...) Es muss aber ganz deutlich gesagt werden, dass jene mit den blutbefleckten Händen nicht Angela Merkel oder Matteo Renzi sind, um nur einige der Politiker zu nennen, die mit ihrer Politik die Würde der europäischen Werte in der Mitte einer gigantischen Asylkrise aufrecht erhalten haben. Sondern jene, die durch den Tod unschuldiger Landsleute an der Wahlurne profitieren wollen.(...) Wir sind überzeugt, dass Deutschland, eine demokratisch reife Gesellschaft und sich seiner Werte und Verantwortung bewusst ist, sich weder den Terroristen beugt, egal, welchen Preis sie fordern, noch jenen, die den Terror nutzen, um an die Macht zu kommen.“

New York Times“: Gefährliche Reaktion

Nach Ansicht der „New York Times“ aus den USA spielen die Rechtspopulisten mit ihrer Argumentation den Islamisten in die Hände:

„Die populistische Rechte hat keine Zeit darauf verschwendet, Fakten über die Identität des Attentäters von Berlin oder ein Motiv abzuwarten, um Kanzlerin Angela Merkel für ihre menschliche Asylpolitik scharf zu kritisieren und die eigene fremdenfeindliche Agenda zu pushen. Diese gefährliche - wenn auch vorhersehbare - Reaktion spielt direkt in die Hände des Islamischen Staats, der nichts mehr will, als einen Krieg zwischen Christen und Muslimen in Europa zu beginnen. (...) Mit jedem neuen Anschlag, ob auf einen Weihnachtsmarkt oder eine Moschee, wird die Herausforderung für Europa schwieriger, Toleranz, Inklusion, Gleichheit und Vernunft zu verteidigen.“

„Rzeczpospolita“: Merkel gilt vielen als Sicherheitsbedrohung

Die konservative polnische Zeitung „Rzeczpospolita“ kommentiert die möglichen Auswirkungen des Attentats auf die kommenden Wahlen:

„Der Anschlag in Berlin wird die Bundestagswahlen im September 2017 beeinflussen. Angela Merkel bemüht sich um ihre vierte Wiederwahl. Ihre Flüchtlingspolitik wird von vielen Deutschen nicht unterstützt. In vielen Kreisen gilt sie gar als größte und sogar tödliche Sicherheitsbedrohung. Unter diesen Umständen kann die fremdenfeindliche Alternative für Deutschland (AfD) an Beliebtheit gewinnen. Chancen, die Wahlen zu gewinnen und eine Regierung zu bilden, hat sie nicht. Aber Deutschland wird nach Berlin nicht mehr dasselbe sein.“

Die Presse“: Kühlen Kopf bewahren

Auch „Die Presse“ aus Wien befasst sich mit den Wahlaussichten von Angela Merkel:

„In den kommenden Wochen und Monaten wird es essenziell sein, einen kühlen Kopf zu bewahren. Nicht nur in Deutschland. Ein Anschlag ist zu jeder Zeit an jedem Ort möglich, auch in Österreich. Die deutsche Kanzlerin, Angela Merkel, aber steht im Wahljahr 2017 vor ihrem größten Härtetest. Sollte sich bewahrheiten, dass ein Flüchtling hinter dem Attentat steckt, steht sie stärker unter Druck denn je. Denn die CDU-Chefin ist an führender Stelle mitverantwortlich dafür, dass die Balkanroute im Vorjahr dermaßen lang unkontrolliert offen stand. Umgekehrt wäre es inhuman und unangemessen, nun sämtliche Flüchtlinge unter Pauschalverdacht zu stellen und hetzerisch anzuschwärzen.“