Zwei Künstler bei der Arbeit: Sopranistin Anna Voshege singt die Wahnsinnsarie der Ophelia aus „Hamlet“, Thomas Hampson demonstriert, wie es klingen sollte. Foto: Gottfried Stoppel

Bei der Opernwerkstatt Waiblingen erleben Besucher die Arbeit mit Nachwuchstalenten hautnah. Die Sopranistin Melanie Diener und Bariton Thomas Hampson fordern vollen Einsatz von ihren Meisterschülern – und arbeiten auch mit ungewöhnlichen Methoden.

Rrr-rrr-rrrr“ – das Geräusch, das im Welfensaal des Waiblinger Bürgerzentrums ertönt, klingt so, als würde jemand seine morgendliche Toilette im Bad absolvieren und kräftig gurgeln. Tatsächlich aber entdeckt gerade der Nachwuchsopernsänger Daehwan Kim unter Anleitung der Sopranistin Melanie Diener sein Gaumenzäpfchen. Letzteres kommt beim Artikulieren mancher Konsonanten zum Einsatz, und so ist es für den südkoreanischen Tenor bei der Aussprache der von ihm einstudierten Arie hilfreich zu wissen, wo es sich befindet.

Beim Besuch der 3. Internationalen Opernwerkstatt Waiblingen, eines öffentlichen Meisterkurses für Nachwuchstalente der Opernsparte, wird schnell klar: Singen ist eine Angelegenheit, bei welcher der gesamte Körper zum Einsatz kommt– vom Kopf bis zu den Zehen. Und so stehen auf den zwei Bühnen in den vorübergehend zu Klassenzimmern umfunktionierten Sälen des Bürgerzentrums nicht nur jeweils ein großer schwarzer Flügel, sondern auch Ganzkörperspiegel, in denen sich die Sängerinnen und Sänger betrachten können.

Mehr Baucharbeit bringt bessere Ergebnisse

Während Melanie Diener den Stipendiaten Daehwan Kim im Welfensaal bittet, nun mal etwas mehr nasal zu singen, fordert ihr Co-Couch, der US-amerikanische Opernsänger Thomas Hampson, im Ghibellinensaal die aus der Ukraine stammende Sopranistin Yuliya Pogrebnyak dazu auf, vor den Spiegel zu treten. „Ich weiß, dass ich nerve“, sagt der Bariton auf Englisch – beharrt aber darauf, dass die junge Sängerin ihren Oberkörper beim Singen leicht zurücklehnt. Mehr Baucharbeit sei nötig, ergänzt der Bariton und korrigiert nebenher auch gleich noch die Kopfhaltung der jungen Frau, die zusammen mit Hampson eine Arie aus Puccinis „La Bohème“ erarbeitet.

Yuliya Pogrebnyak singt den Part der armen Näherin Lucia, die Mimi genannt wird. „Ich will ihr Herz hören“, sagt Thomas Hampson zu Yuliya Pogrebnyak alias Lucia-Mimi: „Denke darüber nach, wer diese Lucia ist.“ Für die Sängerinnen und Sänger gelte es, die Charaktere zu verkörpern und ihre Lage mit der Stimme und dem Körper darzustellen.

Wie fühlt man sich im Delirium?

Genau das wünscht sich Thomas Hampson auch von der australischen Sopranistin Anna Voshege, die an diesem Werkstatttag die Wahnsinnsarie der Ophelia aus der Oper „Hamlet“ mit ihm durchgeht. „Du hast die ganze Nacht nicht geschlafen und bist in einer Art Delirium“, beschreibt Thomas Hampson die Situation der Ophelia – all das müsse für das Publikum zu sehen und zu hören sein. Auch an Anna Vosheges Körperhaltung nimmt Hampson Korrekturen vor und rät dazu, beim Singen einige Schritte rückwärtszugehen, um so in die gewünschte Position zu kommen. Die Arie sei noch nicht ganz in Herz und Kopf drinnen, lautet das Fazit nach einer guten halben Stunde Coaching. Hampson ermuntert Anna Voshege, weiter dranzubleiben und zu feilen. Dann ist die belgische Mezzosopranistin Linsey Coppens an der Reihe. Auch sie fordert der Profi dazu auf, beim Singen den Körper aufzurichten: „Get your ribs out of your hips.“

Hardcore-Fans im Publikum

Das Publikum in beiden Sälen sitzt, lauscht und beobachtet. Die meisten der Besucherinnen und Besucher haben sich Tageskarten für beide öffentlichen Werkstatttage gesichert und sind jeweils von 10 bis 17 Uhr mit dabei. Das gilt auch für Birgit Hahn-Woernle aus Esslingen. „Ich würde auch aus Berlin nach Waiblingen kommen“, sagt sie und outet sich als großer und langjähriger Fan von Thomas Hampson. An diesem schätze sie seine Gedanken zur Musik und zur Gesellschaft.

Glühende Fans von Thomas Hampson, sogenannte „Hampsonites“, gebe es etliche im Publikum, verrät Brigitta Diel vom Kulturamt Waiblingen, die das Projekt Opernwerkstatt leitet. Sie freut sich, dass im Zuge des Projekts auch jede Menge Schülerinnen und Schüler Kontakt zur Opernwelt bekommen und Stars der Gegenwart und Zukunft erleben können. In diesem Jahr nutzten rund 400 Kinder und Jugendliche das Angebot, an einem Werkstatttag dabei zu sein: „Es wäre natürlich schön, wenn einige von ihnen irgendwann auch unser „Junges Abo“nutzen und zu uns ins Konzert kommen würden.“

Wo man die Nachwuchsstars erleben kann

Konzert
Bei der Veranstaltung „Waiblingen erfrischt“, die um 17 Uhr beginnt, geben die Teilnehmenden der Opernwerkstatt an diesem Donnerstag, 6. Oktober, von 18.30 Uhr an auf dem Marktplatz in Waiblingen ein Konzert, das bis 20 Uhr dauert. Dazu serviert das Weingut Kuhnle aus Strümpfelbach Wein, das Lokal Vorratskammer kleine Speisen.

Abschlussevent
Die 3. Internationale Opernwerkstatt endet mit einem Konzert am Samstag, 8. Oktober, im Waiblinger Bürgerzentrum. Die Veranstaltung beginnt um 20 Uhr, Karten kosten 38 Euro und sind hier erhältlich. Auf der Bühne stehen neben Melanie Diener, Thomas Hampson und den Teilnehmenden der Opernwerkstatt die Musiker der Württembergischen Philharmonie Reutlingen mit ihrem Leiter Vlad Iftinca.