Das alte Gemäuer wurde von der Paulinenpflege Winnenden angemietet. Foto: privat

Auf Burg Reichenberg bei Oppenweiler hat die Paulinenpflege Winnenden eine Internatsgruppe eröffnet. Gemeinsam wird dort Alltag geübt und gelebt.

Corona ist an vielem schuld und hat zahlreiche Dinge ins Negative verkehrt. Dass es auch etwas Gutes haben kann, zeigt sich wohl am Fall der Paulinenpflege Winnenden. Weil die Einrichtung aufgrund der Pandemie über viel zu wenig Einzelzimmer verfügte, musste neuer Wohnraum angemietet werden. „Die Gefahr einer Ansteckung war im Doppelzimmer einfach viel zu hoch, also hörten wir uns um und fanden einen ganz besonderen Ort“, sagt Christine Nagel und meint damit die Burg Reichenberg bei Oppenweiler. Da es immer wieder Quarantänen und Isolierungen gegeben habe, sei die Burg mit ihrer Weitläufigkeit genau richtig gewesen, sagt die Geschäftsführerin im Bereich Internat bei der Paulinenpflege Winnenden.

 

Vier Mädchen und zwei Jungs haben es sich in der Burg gemütlich gemacht

Die Größe und den Charme des alten Gemäuers wissen auch die aktuellen Bewohner zu schätzen. Nachdem die ursprünglichen Burgbewohner ins Haus Plattenwald nach Backnang umgezogen sind, gibt es seit Anfang des Jahres „neues Leben“ auf Burg Reichenberg. Es wurde eine Internatsgruppe eröffnet. Eine neue Truppe bestehend aus sechs Auszubildenden des Berufsbildungswerks Winnenden sowie Schüler der Schule beim Jakobsweg sind eingezogen. Vier Mädchen und zwei Jungs. Mit ihnen ist auch das Team komplett neu zusammengestellt worden. „Das Klientel ist hier bunt gemischt. Einige der Neuen machen eine Ausbildung, sind in den berufsvorbereitenden Bildungsmaßnahmen oder besuchen die Schulberufskollegs“, sagt Christine Nagel.

Die Mitarbeiter unterstützen die Bewohner bei der Selbstständigkeit

Autisten sind ebenso wie hör- und sprachbehinderte Jugendliche auf der Burg Reichenberg untergebracht. Doch obwohl die Jugendlichen und jungen Erwachsenen frisch zusammengewürfelt worden sind, kommen sie schon als Gruppe daher. Und Gemeinschaft wird auch großgeschrieben. Sei es beim Einkaufszettel schreiben, beim Einkaufen, beim Kochen und Essen oder beim gemütlichen Filmabend. „Die Mitarbeiter unterstützen die Bewohner dabei, so selbstständig wie möglich zu leben“, sagt Christine Nagel. In Winnenden haben die Klienten der Paulinenpflege verschiedene Förder- und Therapieangebote. Dort sitzen die psychologischen und sozialen Dienste, es gibt logopädische Hilfe und Sportangebote. Auf der Burg dagegen findet einfach Alltag statt – der muss geübt und gelebt werden.

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Der Tag auf der Burg beginnt morgens schon ziemlich früh, nämlich um 6 Uhr. Dann wird über die Signal-App der „Weckruf“ verschickt. Kommt keine Antwort, klopfen die Mitarbeiter, die im Drei-Schicht-Betrieb arbeiten und immer vor Ort sind, auch mal an die Zimmertür. Je nach Bedarf wird dann noch auf der Burg gefrühstückt oder erst später im Berufsbildungswerk beziehungsweise in der Schule beim Jakobsweg in Winnenden. Ein Shuttlebus bringt die sechs Internatsbewohner dorthin. Nach Feierabend geht’s dann mit der Bahn zurück. Auf dem Weg kaufen die Jugendlichen oft noch fürs gemeinsame Abendessen ein. „Ob diese Dinge möglichst selbstständig funktionieren, ist mit eines der Kriterien dafür, ob ein Wohnen im Internat infrage kommt. Und dann müssen die Jugendlichen natürlich in Ausbildung oder Schule bei uns sein“, erklärt die Geschäftsführerin im Bereich Internat und fügt noch etwas Überraschendes hinzu: „Andere Gruppen sind in Winnenden verteilt. Die Burg ist nicht fußläufig zu erreichen, deshalb ist sie schon zum Wohnen begehrt, aber nicht so wie man es bei dem alten Gemäuer mit Charme denken könnte.“

Insgesamt hat das Burg-Internat 20 Wohnplätze

Insgesamt hat das Burg-Internat 20 Wohnplätze. Daher gibt es auch immer wieder Expeditionstouren organisiert vom Winnender Freizeithaus: „Da können sich unsere Azubis und Schüler, die in den Internaten in Winnenden wohnen, anschauen, ob diese Wohnform auf der Burg etwas für sie wäre. Demnächst startet hier das Probewohnen eines Bewohners, der sich vorgenommen hat, mit dem Fahrrad von Winnenden zur Burg zu pendeln. Das wird sicherlich spannend“, sagt Christine Nagel. Egal wie die Vorstellungen sind: Wer Interesse am Wohnen auf der Burg hat, kann jederzeit mit den Mitarbeitern Kontakt aufnehmen. Dann wird für eine Einschätzung mit den Eltern gesprochen, schließlich müssen sie den Abnabelungsprozess unterstützen und natürlich müssen die Leistungsträger mitmachen und den Einzug im Internat befürworten.

Ist das alles geregelt, kann es losgehen mit dem Burgleben. Die Truppe hat sich schnell eingelebt und vergnügt sich mit Musik, Gesellschaftsspielen oder auch mal frisch gelieferter Pizza.