Die Fans von Borussia Mönchengladbach hatten 1971 eine klare Meinung Foto: imago images/WEREK

Borussia Mönchengladbach trifft in der Königsklasse auf Inter Mailand – das Skandalspiel im Europapokal 1971 hallt bis heute nach. Ex-Inter-Stürmer Roberto Boninsegna, damals von einer Dose getroffen und als Schauspieler verschrien, beteuert seine Unschuld.

Stuttgart/Mönchengladbach - Die berühmteste Dose der Fußballgeschichte gibt es noch immer. Ein bisschen verrostet am oberen Alurand ist sie, dazu hat sie eine Delle neben der Öffnung, einige Kratzer gibt es auch. Aber insgesamt ist die 0,35-Liter-Büchse in einem guten Zustand. 49 Jahre nach ihrem legendären Flug auf dem Mönchengladbacher Bökelberg liegt sie im Vereinsmuseum der Borussia neben dem neuen Stadion am Stadtrand hinter Plexiglas. Und schon der Weg dahin zeigt die Dimension, die der damalige Flug der Coladose bis heute annimmt.

Bei einer feierlichen Übergabe wurde die Büchse im Jahr 2013 auf ein Samtkissen gebettet und nach Mönchengladbach gebracht – nachdem sie damals im Jahr 1971 nach dem Skandalspiel gegen Inter Mailand vom niederländischen Schiedsrichter Jef Dorpmans mit nach Arnheim genommen wurde, wo sie dann in einer Vitrine beim örtlichen Club Vitesse stand.

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Die Besucher des Gladbacher Vereinsmuseums werden das berühmte Exponat nun, an diesem Mittwoch, besonders aufmerksam betrachten. Denn die Borussia spielt jetzt im Europapokal wieder gegen Inter – und es ist vermutlich so, dass die älteren Gladbach-Fans den jüngeren rund um die Champions-League-Partie (21 Uhr) die Geschichte von früher erzählen werden. Es ist die Geschichte aus dem Oktober 1971 – bei der dann vermutlich schnell der Name des Inter-Profis fallen wird, der beim Spiel zu Boden fiel. Und das, wie nicht wenige Augenzeugen behaupten: wie ein sterbender Schwan.

Glaubensfragen rund um den Skandal

Es ist der 20. Oktober 1971, die berühmte Fohlenelf der Borussia stürmt an jenem Abend unter Flutlicht über das große Inter Mailand auf dem Bökelberg hinweg. Am Ende steht es 7:1, und viele Borussen sprechen noch heute vom größten Spiel der Vereinsgeschichte, das Günter Netzer, Jupp Heynckes, Berti Vogts, Rainer Bonhof und Kollegen da abliefern. Doch dann kommt schnell das „Aber“ – das auf den Namen Roberto Boninsegna hört. Denn beim Stand von 2:1 für Gladbach fliegt die ominöse Dose von der Haupttribüne aus auf das Spielfeld und trifft, genau: Boninsegna. Der Inter-Stürmer sinkt, manche sagen: wie von einer Abrissbirne gefällt, zu Boden.

Ob die Büchse leer oder voll war, wo und wie heftig sie Boninsegna traf, diese Fragen wurden zu Glaubensfragen. Und sie sind es bis heute. Das Problem: Abgesehen von kurzen Ausschnitten gibt es keine Fernsehbilder. Und die Augenzeugenberichte gehen weit auseinander.

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„Ich konnte klar sehen, dass die Dose ihn nicht am Kopf getroffen hat“, sagt etwa Volker Klüttermann, damals Ordner am Bökelberg. Sein Fazit: „Schauspielerei.“ Das sah auch Boninsegnas damaliger Gegenspieler Luggi Müller so: Erst auf Zuruf eines Mitspielers habe sich der Stürmer fallen lassen wie ein gefällter Baum. „Ich habe gesehen, wie die Dose Boninsegna an der Schulter traf. Zunächst schaute er nur ganz verdutzt.“ Als der Inter-Mannschaftsarzt und ein Betreuer aufs Feld kamen, wollte Boninsegna laut Müller „aufstehen, aber der italienische Betreuer drückte ihn wieder runter“. Für Profis und Fans der Borussia war es ein unwürdiges Schauspiel.

Roberto Boninsegna dagegen beteuert seine Unschuld, auch 49 Jahre nach dem Büchsenwurf. „Immer wieder wird mir in Deutschland unterstellt, die Verletzung nur gespielt zu haben. Das stimmt nicht“, sagt der heute 76-Jährige. „Bewusstlos“ sei er geworden an jenem 20. Oktober 1971, „das hat auch der französische Uefa-Kommissar bestätigt, der mich in der Kabine untersucht hat“, sagt Boninsegna über die Vorkommnisse beim Skandalspiel, das in Italien nur „Partita della lattina“ – Das Büchsenspiel – genannt wird. Nach dem es dann bitter wurde für die Borussia.

Terence Hill entdeckt einen neuen Kollegen

Denn die Uefa ordnete nach dem Dosenwurf ein Wiederholungsspiel auf neutralem Platz an und annullierte so das 7:1. In Berlin kam die Borussia nur zu einem 0:0 – was nach dem 2:4 im Rückspiel von Mailand das Aus im damaligen Europapokal der Landesmeister bedeutete.

Und Boninsegna? Der war fortan, na klar, berühmt, und das nicht nur in Fußballkreisen. So war der legendäre Regisseur Terence Hill nach der Einlage von Mönchengladbach angetan. „So eine Begabung sollte man nicht verkümmern lassen“, sagte der kongeniale Partner von Bud Spencer und entdeckte im Star von Inter einen neuen Schauspielerkollegen. Davon wollte Boninsegna nichts wissen – was ihn aber nicht davon abhielt, einige Jahre nach dem Skandal vom Bökelberg bei der Neuverfilmung von „Don Camillo und Peppone“ unter der Leitung von Hill vor der Kamera zu stehen und den Schauspieler zu geben. Im Film unterstützte Boninsegna die vom Priester trainierte Mannschaft „Die Engel“ bei einer Partie gegen die Kommunisten-Truppe des Bürgermeisters Peppone. Deren Name: „die Teufel“.

Da wäre Boninsegna besser aufgehoben gewesen, sagen sie in Mönchengladbach bis heute. Oder, um es mit Weltmeister Bonhof, der 1971 beim Spiel auf dem Platz stand und heute Vizepräsident der Borussia ist, zu sagen: „Das war damals eine Riesen-Unverschämtheit – und das werde ich Boninsegna nie verzeihen.“