„Ein leeres Theater ist ja etwas Schlimmes“, so Katja Spiess. Sie freut sich, dass das Theater wieder öffnet und dem Publikum 13 Produktionen präsentiert. Foto: Lichtgut/Max Kovalenko

„Step Out“ heißt eine Festivalreihe mit 13 Produktionen, mit der das Figurentheater Fitz Stuttgart jetzt an den Start geht. Im Interview spricht Fitz-Chefin Katja Spiess darüber, wie das kleine Theater so ein ambitioniertes Programm in Zeiten von Kurzarbeit und Corona stemmen kann.

Stuttgart - Das Figurentheater Fitz veranstaltet an vier Wochenenden das Festival „Step Out“. 13 Produktionen sind in der Zeit vom 28. August bis zum 20. September zu sehen. Ein Gespräch mit der Theaterleiterin Katja Spiess über ausfallende Ferien, Künstlerförderungen und Theaterglück.

Frau Spiess, alle anderen Theater haben Kurzarbeit oder Ferien. Sie organisieren ein Festival. Wie geht das?

(lacht). Das frage ich mich auch. Wir haben die Idee für das Kurzstücke-Festival während des Shutdown ab Mitte März entwickelt. Unsere Theaterferien nehmen wir schichtweise, haben sie teilweise vorgezogen. Wir freuen uns, als Theater wieder eine Lebendigkeit zu spüren.

Sie zeigen viele Stücke, aber jedes einzelne jeweils nur an zwei Abenden. Ist das nicht etwas verschwenderisch?

Das wäre es in der Tat! Wir zeigen Kurzformate, die man danach im Repertoire behalten oder zu einem größeren Stück weiterentwickeln kann. Es gibt „coronakompatible“ Neubearbeitungen, aber der Großteil sind Uraufführungen.

Nach welchen Kriterien haben Sie die Künstler ausgewählt?

Wir haben konkret Künstler angesprochen, mit denen wir auch sonst in regem Kontakt sind. Inhaltlich haben sich dann, ohne dass wir das den Künstlern vorgegeben haben, ein paar Themenschwerpunkte ergeben.

Welche?

„Ich bin mit mir allein und was passiert nun mit mir?“, das ist ein Thema. Auch „Wie leben und kommunizieren wir?“. Grundsätzlich die Frage, was macht die Corona-Zeit mit uns. Daher habe ich auch den so hinreißend doppeldeutigen englischen Titel „Step Out“ gewählt, der sich im Deutschen so nicht gleich erschließen würde.

Wie meinen Sie das?

„Step Out“ im Sinne von herausgehen, sich hervorwagen – aber eben auch: ich steige aus, denke über Alternativen nach. Dazu gibt es auch Projekte. Das von Laura Oppenhäuser etwa, die das Geld neu verteilen will. Joachim Fleischers und Rafi Martins „Übungen im Verschwinden“, Florian Feisel und Antje Töpfer mit ihren Flugversuchen und Vogelfantasien. Und Stefanie Oberhoff mit dem letzten Abend am 19. und 20. September, der um globale Verteilungsgerechtigkeit kreist und darum, dass die Krise ja nicht neu ist: globale Krisen sind omnipräsent.

Hat das Figurentheater mit seinem höheren Abstraktionsgrad es derzeit leichter als das klassische Theater, das jetzt dauernd nach Monologen und anderen möglichst kontaktlosen Spielformen suchen muss?

Ich vermute: ja. Denn vieles, was im Schauspiel ein Solo wäre, ist bei uns ein Ensemblestück mit Figuren, Objekten oder Material. Und zwischen Spieler und Figur ist ja eine große – auch körperliche – Nähe und Innigkeit möglich. Bei „Pas de Deux der Selbstbewusstseine“ kommuniziert Eva Baumann mit ihrem eigenen Spiegelbild. Im Schauspielsolo „Atem/Stoß“ mit Johanna Niedermüller gibt es neben einem starken Text auch starke Objekte. Das Ensemble Materialtheater spielt vereinzelt in Telefonzellen und fragt, was passiert mit unserer Kommunikationsmöglichkeit, wenn wir auf Körperkontakt verzichten müssen, also eine Art Solo-Ensemble-Abend.

Das Schauspiel Stuttgart hat vor seiner Kurzarbeit schon mal kurz wieder vor Publikum gespielt, Sie mit dem Fitz auch schon Ende Juni. Wie waren Ihre Erfahrungen?

Für uns als Veranstalter wie für die Tänzerkollegin Sawako Nunotani, die übrigens auch als letzte vor dem Shutdown gespielt hat, war es sehr besonders. Man hat gemerkt, es ist etwas Kostbares, das man teilt. Die Zuschauer sagten: es ist wunderbar, dass wir wieder Liveerlebnisse haben dürfen. Wir hatten auch Digital-Premieren zuvor, aber Live ist nicht zu ersetzen. Da kann man noch so tolle alte Inszenierungen streamen wie Peter Steins „Peer Gynt“ von Ibsen oder Lars Eidinger als „Richard III“ an der Berliner Schaubühne.

Wie haben Sie die Zeit der geschlossenen Theater erlebt?

Es war uns wichtig, dass immer jemand da ist. Ein leeres Theater ist ja etwas Schlimmes. Wir hatten viele Solo-Proben in der Zeit, und unser Technikteam hat sich unter anderem um die Aufzeichnung und den Schnitt der Digitalpremieren gekümmert. Da wir eine, euphemistisch gesagt, schlanke Verwaltung haben, und nicht so hohe laufende Personalkosten, standen wir nicht sofort unter so großem finanziellen Druck wie ein großes Haus. Die Künstler, deren Vorstellungen ausfallen mussten, haben fast alle Corona- Soforthilfe bekommen, das war eine große Erleichterung. In Baden-Württemberg ist die Künstlerhilfe viel besser gelaufen als in den meisten anderen Bundesländern.

Wer finanziert denn das Festival?

Das Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst hat das Förderprogramm Kultur Sommer 2020 aufgelegt, maximale Fördersumme pro Projekt war 50 000 Euro, wir haben 41 000 Euro bekommen, die fast ausschließlich in die Künstlerhonorare gehen. Wir als Theater geben etwas dazu, auch an Werbung und Technik.

Wie geht es weiter im Fitz?

Der Spielplan ist reduziert, aber nicht drastisch. Wir haben uns darauf eingestellt, dass wir für 20 Leute im Saal im Abendprogramm spielen statt für 100. Wir bieten auch Vorstellungen für Kinder und Schulen an. Die Gruppen kommen exklusiv, also nur ein Kindergarten oder eine Schulklasse zum Beispiel, die dann mindestens 14 Karten abnimmt. Und ab Herbst gibt es eine neue Reihe gemeinsam mit dem Filmwinter und dem Produktionszentrum Tanz und Performance: Wir arbeiten alle genreübergreifend, haben viele Berührungspunkte, können voneinander lernen. Wir zeigen dann an einem Abend zwei Performances und ein bis zwei Kurzfilme. Und wir sind eine Allianz mit Figurentheaterhäusern in Leipzig und Berlin eingegangen, kooperieren bei Projekten und zeigen interessante Arbeiten der anderen Häuser.

Kurz vor Corona war noch das große erfolgreiche internationale Festival im Fitz. Normalerweise würden Sie jetzt herumreisen und Produktionen fürs nächste Festival 2022 sichten. Fällt das aus?

Nein. Vieles hat sich in der Kunst beschleunigt in den vergangenen Jahren. Es tut der Kunst vielleicht auch gut, darüber nachzudenken, wozu ein Festival da ist. Was brauchen die Künstler, was das Publikum? Das nächste Festival wird unter anderen Vorzeichen stattfinden, wir denken über neue Modelle nach, etwas reduzierter, was die Zahl der Künstler betrifft. Denkbar wären kleine Werkschauen, also dass eine Gruppe mehrere Arbeiten zeigt. Höher, schneller, weiter ist gerade nicht das, was wir erstrebenswert finden.

Gibt es noch weitere Neujustierungen resultierend aus Corona?

Wir haben seit März ein regelmäßiges Intendantentreffen online per Zoom, initiiert und moderiert vom Chef der Schauspielbühnen Axel Preuß. Das ist Gold wert, wir sprechen darüber, wer welche Schwierigkeiten hat, lernen einander noch mal anders und neu kennen, das sind vertrauensvolle und solidarische Gespräche. Man hilft sich auch, zum Beispiel, wenn ein Kollege für eine Produktion einen größeren Raum braucht, weil die Nachfrage groß ist.

Info zum Ablauf des Festivals

So läuft der Abend ab: Die Zuschauer bewegen sich nicht frei im Haus, sondern werden von Spielort zu Spielort geführt. Jeder Theaterabend kann wegen der geltenden Abstands- und Hygieneregeln von maximal 20 Menschen besucht werden. Eine Kartenbuchung ist empfehlenswert. Restkarten gibt es gegebenenfalls an der Abendkasse.

Alle Spielorte befinden sich im Kulturareal „Unterm Turm“ (Eberhardstr. 61, 70173 Stuttgart). Es wird sowohl indoor als auch outdoor gespielt. Für ausreichenden Abstand und regelmäßige Lüftung in den Wartebereichen und den Sälen ist gesorgt.

Karten sind nur für den Gesamtabend, nicht für Einzelveranstaltungen erhältlich. Telefonisch unter 07 11 / 24 15 41 oder per E-Mail über karten@fitz-stuttgart.de sowie an den bekannten Reservix-Vorverkaufsstellen.

Info zum Auftakt-Programm

Das Auftaktprogramm am 28. und 29. August ab 20 Uhr: „Confetti“ von Emilien Truche & Guillaume Auzépy (Zwei Figuren sitzen einander in einem dunklen Raum gegenüber – Doppelgänger? Mensch und Puppe? Ein Rätsel!). „atem/stoß“ von Bernhard Eusterschulte und Tomo Mirko Pavlovic (Eine atemlose Erzählung über sich opfernde Supermänner, gespielt von der Schauspielerin Johanna Niedermüller. „Pas de Deux der Selbstbewusstseine“ von Eva Baumann (Eine installative Tanzperformance, die sich zudem mit der Philosophie Hegels auseinandersetzt).

Programm an den weiteren Wochenenden

4. + 5. September: „Im Notfall nicht die Scheibe einschlagen“ von Ensemble Materialtheater. „Nein danke“ von Laura Oppenhäuser. „Gänse(e)ngel“ von Florian Feisel und Antje Töpfer. „Ob Scene“ von Dekoltas Handwerk. 11.+13. September: „Hau den Artaud“ von TARTproduktion, „Übungen im Verschwinden“ von Joachim Fleischer & Rafi Martin. „Kampagane: on ice“ von Clara Palau y Herrero & Florian Feisel. 19.+20. September: „Explaining Pamela!“ von Gütesiegel Kultur/Stefanie Oberhoff und Max Haarich, „Spuren im Schnee“ von Tenzin Choney Kolsch & Ulrike-Kirsten Hanne, „Pamela, die Moneymaus“ von Gütesiegel Kultur.

Info zur Person

Katja Spiess, 1963 in Stuttgart geboren, studierte Literatur- und Geschichtswissenschaften, programmatische und organisatorische Mitarbeit bei verschiedenen Kulturfestivals (u. a. „Theater der Welt“, „Natur im Kopf – Kongress zum Naturbegriff der Gegenwart“). Dem FITZ! Zentrum für Figurentheater gehört Katja Spiess seit 1993 an, seit 2001 leitet sie das Theater. Katja Spiess ist außerdem Leiterin der Internationalen Figurentheaterfestivals „Imaginale“.