Stuttgarts Schauspielintendant Armin Petras verabschiedet „private Ästhetiken“. Foto: Lichtgut/Leif Piechowski

Beim Intendantentreffen in Stuttgart diskutierten Armin Petras, Jossi Wieler und 60 andere Kollegen darüber, ob auf der Bühne Ästhetik weniger wichtig sein soll als Themen wie Terror und Flüchtlinge.

StuttgartTheater war Tingeltangel vor den Terroranschlägen 2015 in Paris und bevor die Flüchtlingsthematik die Menschen im Herzen Europas erreicht hat. Diesen Eindruck könnte man bekommen, wenn man zurzeit Theatermenschen zuhört. Der berühmte Elfenbeinturm kommt zur Sprache, der sonst von Kritikern bemüht wird, um Wirklichkeitsfremdkeit von Künstlern zu beklagen. Man hört die Forderung nach gesellschaftlichem, sozialem Engagement, das wichtiger sei als Ästhetik zu debattieren. „Theater spüren eine Dringlichkeit, in einer angstbesetzten Gesellschaft einen Raum zu bieten, in dem man über eine Utopie von Gemeinschaft diskutiert“, sagt der Intendant des Deutschen Theaters Berlin, Ulrich Khuon. Stuttgarts Intendant Armin Petras bekräftigt: „Ich habe den Eindruck, die Zeiten der privaten Ästhetiken sind vorbei.“

Das klingt erschreckend nach Selbstbezichtigung. Was haben Theater denn bitte schön zuvor getan?, fragt man sich. Es ist doch ein politischer, gesellschaftlicher Anspruch der Kern aller Kunst. Jetzt aber eben mit „Dringlichkeit“ und „langfristig“ gedacht, wie es Ulrich Khuon in seiner Eigenschaft als Leiter der Intendantengruppe im Deutschen Bühnenverein verkündete, die sich jetzt in Stuttgart getroffen hat. Rund 60 Intendanten hatten sich am 18. und 19. Januar auch darüber ausgetauscht, wie sie sich gegen rechtes Gedankengut positionieren. Das Theater in Mainz etwa wendete sich mit Beethoven-Gesängen gegen AfD-Aufmärsche. Von Parteien vereinnahmen lasse man sich dadurch aber nicht, sagte Khuon. Ob in Stuttgart auch gegen Rechts gesungen werde, bestätigten die Stuttgarter Intendanten nicht. Stuttgarts Opernchef Jossi Wieler sagte aber: „Wir planen, unsere Haltung zu bewahren.“

Petras: „Lernen, mit Fundamentalismen umzugehen“

Theater, so sagte Ulrich Khuon zum Abschluss des Treffens, solle der zunehmenden Gesprächsunfähigkeit in der Gesellschaft begegnen und einen Raum für Diskussion schaffen. Das Theater darf da auch mal zur Lernanstalt werden. Petras: „Das Theater ist ein Ort, an dem man lernen kann, mit Fundamentalismen – dass nur die eigene Meinung zugelassen wird – umzugehen.“

Theater stehe grundsätzlich vor der Gefahr, in Sozialarbeit aufzugehen und dem Kunstanspruch nicht zu genügen oder im Elfenbeinturm die Wirklichkeit zu ignorieren, sagte Khuon. Wenngleich man wohl im Moment im Zweifel lieber den Sozialarbeitsvorwurf in Kauf nehmen wird, so Khuon. Im glücklichen Fall werden Künstler eingeladen wie Kirill Serebrennikov, der in der Stuttgarter Oper kürzlich eine politisch aktuell wirkende „Salome“-Inszenierung zeigte, die aber schon einige Jahre vor den Terroranschlägen in Paris so konzipiert wurde. Ein Künstler, sagt Wieler, der „hineinhorcht in das Unbehagen einer Kultur und das sichtbar macht.“ Eine Produktion, die zeigt: Ästhetik ist Politik.